Duisburg. Interpol, De Staat, Edwin Rosen: Mit Hexenmeistern und Herzensbrechern geht das 25. Traumzeit-Festival im Landschaftspark Duisburg Nord weiter.
Ausverkaufte Hütte! Tausende Musikfans feiern ein Wochenende lang das 25. Traumzeit-Festival im Landschaftspark. 32 Bands auf drei Bühnen decken alle Generationsbedürfnisse ab: Die Jüngeren dürfen Mayberg und Edwin Rosen anschwärmen, die älteren Gäste zu Interpol abrocken.
Der erste Abend der Traumzeit zeigt wie unter einem Brennglas, wofür das Festival steht: Es vereint Lautes und Leises, Bizarres und Schräges, Sanftes und Mitreißendes. Zur Magie gehört, dass man vorab bei der ein oder anderen Band im Line-up seine Zweifel hat und diese dann live und im Rhythmus der Bässe zu Staub zerfallen sieht.
Traumzeit-Festival in Duisburg erlaubt große Nähe zwischen Stars und Publikum
Die australische Truppe Glass Beam etwa tritt mit Perlenmasken vor den Gesichtern auf, trägt Socken in Gesundheitssandalen, mixt orientalische Klänge mit markanten E-Gitarren-Riffs, und das alles zusammen ist live deutlich überzeugender als aus der Konserve.
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Es ist vielleicht auch die Nähe zu den Künstlern, die das Festival besonders macht. Martin Kohlstedt, der später mit einer kolossalen Improvisation am Klavier das Publikum in seinen „Tunnel“ zieht und tosenden Applaus erntet, trinkt vor seinem Set KöPi und hört sich Glass Beam an, während diese später ohne Maske zu den Abbrunzati Boys wippen, die wiederum … Sie verstehen das Prinzip.
Hauptact Deus spielen so schräg wie die Traverse für die Lichter schief hängt. Beides hat aber auf seine Weise spektakuläre Effekte. Die belgischen Indie-Rocker lassen Geigen quietschen, verfremden ihre Stimmen, es ist nicht in jedermanns Ohren Musik. Deus-Fans würden das umgekehrt wohl auch von Roy Bianco & die Abbrunzati Boys behaupten. Die Satire-Band fackelt ein bierernstes Italo-Schlager-Feuerwerk ab.
Den Campingplatz auf dem Sinterplatz nutzen über 800 Musikfans – ein neuer Rekord nach knapp 700 im Jahr 2019. Überall machen sich Sommergefühle breit: Jungs haben sich die Fingernägel lackiert, Mädchen tragen Glitzer im Gesicht. Die vorderen Reihen lassen sich von der Bühne aus zu immer neuen Moshpit-Tänzen verführen.
Kaffkiez, die für den erkrankten Fil Bo Riva kurzfristig eingesprungen sind, wirbeln auf dem Cowperplatz mächtig Staub auf. Da sie im Vorjahr schon da waren, wirken sie jetzt, als sei die Bühne ihr Zuhause und das Leben ein Fest. Oder um es mit Kaffkiez-Sänger Johannes Eisner zu sagen: „Komm und gib mir deine Hand und dann tanz als wärst du frei“.
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Tag 2 beim Traumzeit mit Interpol und Edwin Rosen
Tag 2 setzt bei den Hauptacts auf ältere Herren: De Staat aus den Niederlanden entzünden den Cowperplatz, Frontmann Torre Florim schwitzt im silbernen Anzug: „Style over comfort“ gibt er die Losung vor – für ein Publikum in Sneakern und Birkenstocksandalen. Florim ist ein wahrer Hexenmeister, der mit minimalistischen Bewegungen Publikumsenergie in Tanz verwandelt.
Hauptact Interpol packen ihr Set gänzlich anders an. Die Postpunk-Indierocker halten zueinander mehr als den Corona-Abstand. Dem professionellen Zusammenspiel schadet es nicht, was Musikfans maximal begeistert und den Auftritt zu ihrem Höhepunkt macht, Feierwütige aber etwas hilflos stehen lässt.
Und dann kommt ganz allein und in kurzen Hosen Edwin Rosen auf die Bühne, Hunderte Teenies kreischen sofort los. Mit Halbplayback und vielen technischen Verstärkern singt er mit tiefer Stimme Hits wie „Vertigo“ – und bricht im Gedränge vor der Bühne mit einem Satz zig Mädchenherzen. Er war nämlich im Landschaftspark (!) mit seiner Freundin (!!) unterwegs, und die Stimmung könnte nicht schneller kippen. Zum Glück gewinnt am Ende die Musik, und wer mag, darf sich Arm in Arm mit Edwin fotografieren lassen – von eben dieser Freundin.
Als Musikarbeiter im besten Sinne erweisen sich die Jungs von Kytes, die im Hellblaumann rhythmusstarke Beats mit federleichten Melodien garnieren, Begeisterung entfachen. Getoppt wird das nur vom Lasergewitter, das Atoem abfackeln. Der Technosound des französischen Elektronik-Duos geht durch Mark und Bein. Wer vorher noch skeptisch sagte, dass das ja nicht seine Musik sei, der wusste wohl nicht, dass Körper ein Eigenleben haben, wenn der richtige Beat den Puls beschleunigt.
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10.000 Schritte später und ein bisschen atemlos weiß das Publikum die tänzerische Leistung der Deutschen Oper am Rhein noch mehr zu würdigen. Erstmals ist die Compagnie beim Festival zu Gast. Ihr Tanzstück „Salt Womb“ wird live begleitet von einem Techno-DJ. Im Stile eines australischen Hakas sind die neun Tänzer zugleich Mensch und Maschine, zuckend und bebend, vor Kraft strotzend. Ihre schweißglänzenden Körper ziehen alle Blicke magisch an. Der frenetische Applaus spricht für eine Wiederholung.
>> 25 JAHRE TRAUMZEIT-FESTIVAL
Dass Sonntagabend die Kölner Karnevals-Combo Querbeat den Rausschmeißer gibt, wird Fans der ersten Stunde wie Frevel vorkommen. Sie feierten noch Stars wie Herbie Hancock oder Al Jarreau. Aber in der Entwicklung des Traumzeit-Festivals ist der Einsatz dieser Truppe nur konsequent.
Jazz und Weltmusik, womit das Festival 1997 einst startete, sind im Programm schon lange nicht mehr zu finden. Zielgruppe ist inzwischen die ganze Familie, die mit deutschem Pop, Indie-Rock, aber auch Elektro und Hip-Hop abgeholt wird.
Selbst der traditionsreiche Auftritt des Knappenchores zum Auftakt ist eine Erfindung der Neuzeit, die mit der Übernahme der Organisation durch Festivalleiter Frank Jebavy 2012 begann. Schnaps und Steigerlied gehören seither genauso dazu wie Seifenblasenpistole und Aftershowparty.