Duisburg. Eine Frau hebt Geld vom Konto ihrer Nachbarin (84) ab und verzockt es im Casino Duisburg. Als das aufzufliegen droht, muss die Seniorin sterben.
Sie verzieht keine Miene: Kein Weinen mehr, kein Kopfschütteln, wie noch so oft an den bisherigen Verhandlungstagen. Apathisch bis gefasst sitzt Nicole K. auf der Anklagebank neben ihren Verteidigern, bis der Vorsitzende Richter Mario Plein der Fünften Großen Strafkammer das Urteil verkündet: Lebenslange Haft wegen Mordes an einer Seniorin (84) für die 46-jährige Nachbarin des Opfers. Das Duisburger Landgericht stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Das heißt: Auch nach Verbüßung einer Haftstrafe von mindestens 15 Jahren kann die Frau zunächst keinen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung stellen. K. nimmt es hin. Dass es bei dem Prozess um alles oder nichts geht, hat sich schon vor der Urteilsverkündung abgezeichnet. Die 46-Jährige hat die Tat bestritten, ihre Verteidiger plädieren am Donnerstag auf Freispruch. Das Gericht folgt mit seinem Urteil dem Antrag von Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin, der Schwester der Getöteten. Deren Rechtsanwalt attestiert der Angeklagten „Oscar-reife schauspielerische Fähigkeiten“.
Laut Überzeugung der Strafkammer hat sich die Tat so abgespielt: Am Morgen des 23. August des vergangenen Jahres geht die 46-Jährige dem dritten Stock des Mehrfamilienhauses an der Stresemannstraße, wo sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen wohnt, ins Erdgeschoss. Dort lebt das spätere Opfer mit einer schwer dementen Freundin (89), die beiden sind seit Jahrzehnten befreundet. Die Angeklagte kümmert sich schon länger um die Seniorinnen, macht Arztgänge mit, putzt, kauft ein, besitzt einen Schlüssel. Als sie die Wohnung betritt, schläft die 84-Jährige sehr wahrscheinlich noch. Die Nachbarin holt ein Fleischermesser aus der Küche. Dann geht sie ins Schlafzimmer, fixiert die 84-Jährige mit ihrem rechten Unterarm am Hals so schwer, dass der Kehlkopf verletzt wird, und sticht mit der linken Hand immer wieder auf die Seniorin ein. Das noch rüstige Opfer wehrt sich, laut Gericht geht das „Kampfgeschehen über mehrere Minuten“ - vergeblich. Mindestens 29 Stiche treffen die 84-Jährige. Die Hiebe müssen heftig gewesen sein, einer durchtrennt eine Rippe. Die Seniorin stirbt später noch in der Wohnung an ihrem massiven Blutverlust. Die Täterin ist Linkshänderin.
Hilfe beim Waschen, Essen, An- und Ausziehen, Toilettengängen
„Perfide“, dieses Wort fällt in der Urteilsbegründung mehrfach, in unterschiedlichen Steigerungsformen. Denn was den Fall noch außergewöhnlicher macht, ist das, was nach dem Mord geschieht. Die Nachbarin telefoniert erst mit ihrem Mann auf der Arbeit und alarmiert dann die 110, also die Polizei, nicht den Rettungsdienst unter der 112. Den Beamten erzählt sie, die 84-Jährige sei bereits leblos gewesen, als sie die Wohnung betreten habe. Von der 89-Jährigen sei sie dann attackiert worden. Die sei also die wahrscheinliche Täterin. „Sie haben nicht nur einen Menschen getötet“, entgegnet ihr Plein am Donnerstag, „sondern gezielt versucht, die Schuld für die blutige Tat einer Frau in die Schuhe zu schieben, die aufgrund ihrer Demenzerkrankung nicht in der Lage war, sich zu verteidigen.“
Die 89-Jährige wird zunächst auch von der Polizei verdächtigt, landet in der geschlossenen Psychiatrie. Zwei Monate lang muss sie dort bleiben, bis akribische Ermittlungen doch noch auf die Spur der wahren Täterin führen. In der Forensik habe die 89-Jährige Hilfe bei allen Dingen des täglichen Lebens benötigt, erzählt eine Krankenschwester der LVR-Klinik Bedburg-Hau als Zeugin noch am Donnerstag vor den Plädoyers: Essen, Waschen, An- und Ausziehen, Toilettengänge. Servietten hätten ihr die Pfleger nicht mehr hingelegt, nachdem sie eine hatte essen wollen. Auch während des laufenden Prozesses haben Zeugen und Sachverständige den schlechten körperlichen und psychischen Gesundheitszustand der 89-Jährigen immer wieder herausgestellt. Plein bilanziert in seiner Begründung: „Frau F. war so demenzkrank, dass sie als Täterin komplett ausscheidet.“
30.000 Euro der Seniorinnen im Casino Duisburg verzockt
Das Motiv, das die Verteidigung nicht sehen will, liegt für das Gericht auf der Hand. Der „Keim“ liege in den Abbuchungen vom Konto beider Seniorinnen, auf das die Nachbarin Zugriff gehabt hat. Das Geld verspielt die 46-Jährige im Casino Duisburg - in rauen Mengen. Es geht um 30.000 Euro über einem Zeitraum von rund 20 Monaten bis zur Tat. Die Angeklagte behauptet, sie habe nie unberechtigt Geld abgehoben, sondern alles sauber etwa für Einkäufe abgerechnet. Dazu passt nicht, dass sie nur Minuten vor dem Betreten der Spielbank neue Scheine aus dem Automaten zieht, teils mehrfach an einem Tag. Laut Nebenklage füllt eine Liste von Casino-Besuchen der 46-Jährigen seit Anfang 2018 bis zur Tat 37 DIN-A4-Seiten.
Die Nachbarin fängt Kontoauszüge ab, um das zu vertuschen. Doch am Tattag hätte die 84-Jährige einen Termin bei ihrer Bank haben sollen, wo die unberechtigten Abbuchungen hätten auffliegen können. Die Angeklagte muss das gewusst haben und dann gehandelt haben. In den Tagen zuvor hat die 46-Jährige wohl noch nach alternativen Tötungs-Methoden im Internet gesucht, mit Anfragen wie „Wann stirbt man durch Schlafmittel“ oder Recherchen über Erstickungstode.
Angeklagte wird durch Vielzahl von Indizien belastet
Der Vorsitzende Richter sagt über die Verhandlung, es gebe eine „derart große Vielzahl von belastenden Indizien, wie ich sie so noch nicht erlebt habe“. Für einen von der Verteidigung ins Spiel gebrachten möglichen unbekannten Dritten als Verantwortlichen für den Mord gebe es „nicht den allergeringsten Anhaltspunkt“. Immer wieder habe sich die Angeklagte zudem in ihren Aussagen während des Ermittlungsverfahrens und während der Hauptverhandlung in Widersprüche verstrickt. Spätestens am Tag vor der Tat sei klar gewesen, dass die Nachbarin ihren Plan umsetzen werde. Vor der Urteilsverkündung wird die 46-Jährige gefragt, ob sie noch etwas sagen wolle: „Ich wollte eigentlich sprechen, ich hatte mir ganz viel aufgeschrieben“, sagt Frau K., „aber ich bin dazu jetzt nicht in der Verfassung.“