Duisburg. Eine Lehrerin in Duisburg fordert weniger Bürokratie bei ukrainischen Schülern. Warum eine Siebenjährige zur Schule geht, ihr Bruder (11) nicht.

Sie ist pensionierte Lehrerin, Schulpflicht ist Ute Herwig heilig. Deshalb kann die Duisburgerin überhaupt nicht verstehen, wie es den Kindern einer ukrainischen Familie ergeht, die derzeit bei ihr im Süden wohnen. Zur Einhaltung der Schulpflicht einer Siebenjährigen wird mit Bußgeldern gedroht, ein Recht auf Schule scheint es für den Elfjährigen aber nicht zu geben, beklagt sie.

Ihre Mieterin Oleksandra Marchuk ist Ende vergangenen Jahres aus der Ukraine nach Duisburg geflohen und kam mit ihren beiden Kindern zunächst im Hotel Sittardsberg unter. Die Mutter von Herwig starb vor Weihnachten, die Wohnung im Haus wurde frei und bietet jetzt – inklusive Klavier – den Marchuks ein Zuhause. Herwig selbst engagiert sich als Bildungslotsin der beiden Kinder. Sie organisierte Fahrräder, Helme, Schultaschen, jetzt geht es um das nächste Ziel, einen Schulplatz für den Sohn.

Schulplätze in Duisburg sind knapp für geflüchtete Kinder aus der Ukraine

Die sechsjährige Anhelina besucht seit Anfang Mai die Gemeinschaftsgrundschule Böhmerstraße. Der vorherige Briefverkehr vom Schulamt der Stadt Duisburg ist recht eindeutig: Wenn man der Verpflichtung nicht nachkomme, das Kind binnen zwei Wochen dort anzumelden, müsse „ein Bußgeld eingeleitet werden, welches bis zu 1000 Euro je Erziehungsberechtigten betragen kann“.

Anhelina geht gern zur Schule, auch wenn sich aufgrund der Sprachbarrieren noch Hürden auftun und Missverständnisse entstehen, berichtet Herwig. Und nutzt gleich das Bauernhof-Puzzle, in das die Sechsjährige mit ihrem Bruder vertieft ist, um mit den Kindern Tiernamen zu üben.

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Elfjähriger bekommt Online-Unterricht aus dem Kriegsgebiet

Die Schulleiterin der Grundschule schien nicht abgeneigt, Daniil trotz der fehlenden Sprachkenntnisse in ein viertes Schuljahr aufzunehmen. Dann hätte er schon einmal etwas Deutsch lernen können, und auch Elfjährige gehen durchaus in ein viertes Schuljahr, weil es auch in der Grundschule Wiederholungen gibt. Diese unbürokratische Unterstützung verbot jedoch die Schulaufsicht.

Deshalb schaltet Daniil sich mangels Laptop täglich zum ukrainischen Online-Unterricht per Handy zu. Er lerne neben den üblichen Fächern Deutsch, Englisch und Polnisch, berichtet Herwig. Aber ähnlich wie zu Coronazeiten müsse die Mutter ihr Kind begleiten, motivieren. Die ist aber vier Tage die Woche selbst im Sprachkurs, der verpflichtend ist. Präsenzunterricht an einer Schule würde Oleksandra und ihrem Sohn das Leben leichter machen.

„Deutschland hat doch die UN-Charta unterschrieben. Wenn jemand aus Köln hierher zieht, kann er sein Kind sofort an einer Schule anmelden, das muss für alle anderen doch auch gelten“, findet Ute Herwig. Wegen des Raum- und Lehrermangels müsse zur Not eben im Schichtsystem gelehrt werden. „In Afghanistan lernen die Kinder in drei Schichten.“ Gesundheitlich sei sie zwar angeschlagen, aber stundenweise sei sie durchaus bereit, weiter mit anzupacken und zu unterrichten.

Was Herwig am meisten ärgert, ist, dass das Schulproblem „schon so alt ist, bei der letzten Krise 2015 war es auch schon so.“ Gelernt habe man nichts. Die Alternativ-Angebote hätten Alibi-Charakter und ohne ihr Einschreiten wäre Daniil in die Willkommenskurse gar nicht reingekommen.

Schulaufsicht bedauert „längere Wartezeiten“ für die Jahrgänge 5 bis 7

Die Schulaufsicht lässt über die Pressestelle der Stadt erklären, dass die Aufnahme von Daniil in einer Grundschule nicht altersgemäß sei und er nach kurzer Zeit schon wechseln müsse. Während der 24-monatigen Erstförderung solle es nach Möglichkeit keinen Schulwechsel geben, um sich sozial und sprachlich konstant einleben zu können. „Neu zugewanderte Schüler ohne deutsche Sprachkenntnisse der Jahrgänge 5 bis 7 werden dafür einer Gesamt- oder Sekundarschule in Duisburg zugewiesen. Leider kommt es in genau diesen Jahrgängen aufgrund der anhaltend hohen Bedarfslage zu längeren Wartezeiten.

Stadtsprecher Falko Firlus ergänzt, dass für alle wartenden Kinder und Jugendlichen eine faire Schulplatzvergabe sicherzustellen sei. Eine nicht altersgemäße Beschulung an einer Grundschule wird hierbei aber als kein guter Lösungsansatz verstanden. Für Daniil und alle anderen Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren, die auf einen Schulplatz warten, gebe es an sechs Standorten Willkommenskurse, nicht aber im Duisburger Süden.

Des Weiteren werden in den Schulferien an fünf Standorten in Meiderich, Mitte, Walsum, Marxloh und Rheinhausen „Fit in Deutsch“-Kurse angeboten. Alle Schulen sind bereit, auch Schüler, die nicht an der Schule unterrichtet werden, in dieses Programm aufzunehmen, erläutert Stadtsprecherin Gabi Priem.

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Ute Herwig ist Vermieterin und Bildungslotsin zugleich: Sie hilft der aus der Ukraine geflüchteten Familie Marchuk.
Ute Herwig ist Vermieterin und Bildungslotsin zugleich: Sie hilft der aus der Ukraine geflüchteten Familie Marchuk. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Bezirksregierung: Chancengleichheit für alle zugewanderten Kinder

Eine Sprecherin der Bezirksregierung ergänzt: „Um die Chancengleichheit für alle zugewanderten Kinder und Jugendlichen zu wahren, kann auch in Einzelfällen nicht anders entschieden werden, als Kindern ein Angebot in einer ihrem Alter entsprechenden Schulform zu vermitteln.“ Die unbürokratische Hilfe in der Nachbarschaft, wie sie Ute Herwig vorschwebt, ist damit ad acta gelegt.

Die Marchuks richten sich vorerst in Duisburg ein. In Schytomyr, 120 Kilometer westlich von Kiew, lebt noch der Hund der Familie bei Nachbarn. Eine Heimkehr ist ungewiss. „Ich habe Angst um meine Kinder“, sagt die 29-jährige Mutter. Als Masseurin könne sie in der Ukraine aktuell kein Geld verdienen. Dabei gebe es dort wenigstens eine verlässliche Ganztagsbetreuung für die Kinder.