Duisburg. Nach dem Angriff in einem Duisburger Fitnessstudio: Lamya Kaddor zur syrischen Community, Islamistischen Zellen in Duisburg und Abschiebe-Ideen.

Alarmistisch will sie gar nicht klingen, aber „die islamistische Gefahr ist für unsere Gesellschaft überhaupt nicht gebannt“, sagt Lamya Kaddor. Die Duisburgerin ist Islamwissenschaftlerin, sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und steht seit dem Angriff eines syrischen Tatverdächtigen auf vier Männer in einem Duisburger Fitnessstudio „im engen Austausch mit den Behörden“.

Welche Motive dazu geführt haben könnten, dass jemand in ein Fitnessstudio marschiert und halbnackte Männer angreift, will Kaddor gar nicht analysieren. „Es bringt nichts, sich da hineinzudenken, weil die Denkweise nie nachvollziehbar ist.“ Es gebe bei Extremisten eine grundlegende Ablehnung unserer Gesellschaft, unserer Lebensweise, die sich mit biografischen Elementen verbinden.

Islamismusverdacht: Tatverdächtigen auf Drogen untersuchen

Die grüne Abgeordnete sagt, sie habe die hiesigen Behörden darauf aufmerksam gemacht, den Tatverdächtigen auf Drogen zu untersuchen. IS-Kämpfer würden durch Drogenkonsum bewusst ihre Gewaltschwelle herabsenken. „Das ist ein ziemlich fieses Zeug, Captagon genannt“, sagt Kaddor. In Syrien werde es „im großen Stil hergestellt und dann exportiert“. Der Nachweis könne Hinweise darauf geben, ob es sich um einen Einzeltäter handele oder um ein Netzwerk, einen Auftrag.

In diesem Fitnessstudio in Duisburg wurden vor einer Woche vier Männer durch einen Messerangriff verletzt. Tatverdächtig ist ein syrischer Mann.
In diesem Fitnessstudio in Duisburg wurden vor einer Woche vier Männer durch einen Messerangriff verletzt. Tatverdächtig ist ein syrischer Mann. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Auf Bundesebene beobachte die Politikerin, ob es Parallelen zu ähnlichen Straftaten gibt. Die Frage nach der Struktur müsse man sich immer stellen. Es müsse zudem erforscht werden, ob Fluchterfahrung oder sozioökonomische Hintergründe bei der Radikalisierung eine Rolle spielen, wo diese stattgefunden habe.

Kann es eine IS-Zelle in Duisburg geben? „Ja“, sagt Lamya Kaddor, „das können wir nicht ausschließen. Richtig ist, dass wir islamistische Bestrebungen in Duisburg kennen“, so Kaddor und verweist auf die Razzia in einem Reisebüro in Rheinhausen vor einigen Jahren, wo dem Betreiber der Vorwurf gemacht wurde, junge Menschen für den IS anzuwerben. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es hier Gruppierungen gibt, die auf junge Menschen anziehend wirken und ihnen Orientierung bieten, denkbar ist das immer.“

Zwischen den syrischen Geflüchteten verläuft eine Konfliktlinie

Es gebe in Duisburg ein breites Netz an Moschee-Organisationen, Angeboten für Seelsorge und Bestattung, Frauenvereine. Darüber könnten sich auch muslimische Extremisten vernetzen, ohne irgendeine Gemeinde unter einen Generalverdacht stellen zu wollen.

Während der Corona-Pandemie habe sich die Arbeit der Extremisten in den digitalen Raum verlagert. Es passe ins Bild, dass bei dem Tatverdächtigen islamistische Dateien und Videos gefunden worden sein sollen.

Die syrische Gemeinde in Duisburg sei eng vernetzt. Geflüchtete, die 2015 eingewandert sind, wissen voneinander, begreifen sich als Schicksalsgemeinschaft. Die meisten seien vor dem Diktator Assad geflohen, betont Kaddor, aber auch wegen der Islamisten. Die Minderheit sei vor dem IS geflohen, aber pro Assad. Dazwischen verlaufe die Konfliktlinie der syrischen Diaspora, auch in Duisburg.

Daher sei es auch nicht verwunderlich, dass Syrer gegen andere Syrer wie im aktuellen Fall aussagen. „80 Prozent sind eingedeutscht“, sagt Kaddor, lernten dafür schnell die Sprache. Sie halten den Diktator für unberechenbar, unmenschlich und sehen ihre Zukunft nicht in Syrien.

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„Der IS ist nicht besiegt, allenfalls fragmentiert“

Dass der Tat in den sozialen Netzwerken viele fremdenfeindliche Kommentare folgten, überrascht die Pädagogin nicht. Ihr gehe es ohnehin nicht darum, „Menschen zu überzeugen, die glauben, dass alles Böse von Ausländern, Asylsuchenden, Migranten ausgeht“. Sie möchte jene erreichen, die bereit sind, halbwegs nüchtern auf Fakten zu blicken und nicht gegen „digitale Trollarmeen“ kämpfen.

Die gefährliche Ruhe, weil es schon lange keinen islamistischen Anschlag mehr gab, erscheint auch vor dem Hintergrund der islamistisch motivierten Attentatspläne, die jetzt in Hamburg bekannt wurden, trügerisch.

„Als Berichterstatterin für Irak und Syrien kann ich nur betonen: Der IS ist nicht besiegt, allenfalls fragmentiert. Unsere Sicherheitsbehörden haben diese gegen die Verfassung gerichtete Propaganda scharf im Blick, ein islamistischer Anschlag ist jederzeit denkbar“, so Kaddor.

Was hilft? „Wir haben sehr gute Sicherheitsbehörden und einen funktionierenden Verfassungsschutz. Wir setzen auf die volle Härte des Rechtsstaats, Menschen, die Verschwörungstheorien oder postfaktisches Wissen verteilen, sollte jede und jeder kritisch begegnen. Ein islamistisches oder auch rechtsextremes Weltbild sind ein Problem für die Demokratie: ,Augen auf!’, fordert sie.

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Abschiebungen nach Syrien sind nicht möglich

„Die unerträgliche Tat in meiner Heimatstadt Duisburg verdient die volle Härte des Rechtsstaats – sollte sich der Tatverdacht gegen den Syrer erhärten, erwarte ich ein schnelles Verfahren und das dementsprechende Strafmaß. In Deutschland,“, betont Kaddor mit Verweis auf die Forderung von Oberbürgermeister Sören Link, bei einer Bestätigung des Tatverdachts den Täter schnellstmöglich auszuweisen.

Den „Kollegen Sören Link, SPD“, wolle sie darauf hinweisen, „dass Abschiebungen nach Syrien aufgrund der Gefährdungslage nicht möglich sind. Auch Innenministerin Faeser, ebenfalls SPD, hat sich gegen Abschiebungen nach Syrien ausgesprochen. Wir unterhalten keine diplomatischen Beziehungen zum Assad-Regime – und ich hoffe, das bleibt so. Wenn Herr Link das ändern möchte, soll er das bitte offen sagen.“

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