Duisburg. Nach dem Messerangriff im Fitnessstudio John Reed hagelt es rassistische Posts. Das sagt eine Wissenschaftlerin zu dem syrischen Tatverdächtigen.

Die Messerattacke in dem Duisburger Fitnessstudio John Reed hat in den sozialen Netzwerken viele rassistische und fremdenfeindliche Posts zur Folge gehabt. Dass ein Syrer als tatverdächtig gilt, macht für manchen Kommentator gleich alle Menschen dieser Nation verdächtig.

Das spiegelt die Kriminalitätsstatistik allerdings nicht wider: Im letzten Jahr galten 578 Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft in Duisburg als tatverdächtig, bei einer Summe von 46.371 Straftaten, die von Diebstahl über Drogenhandel bis zu Körperverletzung reichten.

Duisburger Wissenschaftlerin: Tatverdächtige sind häufig jung und männlich

In Duisburg leben über 11.700 Syrerinnen und Syrer. Sie alle unter Generalverdacht zu setzen, wäre nach Aussagen von Wissenschaftlern in höchstem Maß unzulässig. Prof. Anja Weiß von der Universität Duisburg-Essen betont, dass andere Merkmale des festgenommenen Tatverdächtigen viel mehr geeignet seien, Zusammenhänge herzustellen: „Er ist jung und er ist männlich.“ Ob er aus armen Verhältnissen stammt, werden die weiteren Ermittlungen zeigen. Aber diese drei Zuordnungen seien viel häufiger bei Straftätern festzustellen als eine bestimmte ethnische Herkunft, sagt die Soziologie-Professorin.

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Die Gesellschaft müsse sich allerdings damit auseinandersetzen, wie man auf Menschen reagiere, die aus heiterem Himmel „durchdrehen“ beziehungsweise schwerstkriminell werden. Es gebe in allen Bevölkerungsgruppen kriminelle und psychisch kranke Menschen, auch unter jenen, die aus Kriegen geflohen sind. „Wer ein hartes Leben hatte, der wird in einer Flüchtlingsunterkunft, in einer neuen Umgebung nicht unbedingt gesünder“, sagt die Wissenschaftlerin.

Prof. Dr. Anja Weiß von der Universität Duisburg-Essen forscht zu transnationalen Prozessen. Weil nach der Messerattacke in einem Duisburger Fitnessstudio ein syrischer Tatverdächtiger festgenommen wurde, hat die Redaktion sie zur Situation der syrischen Community befragt. 
Prof. Dr. Anja Weiß von der Universität Duisburg-Essen forscht zu transnationalen Prozessen. Weil nach der Messerattacke in einem Duisburger Fitnessstudio ein syrischer Tatverdächtiger festgenommen wurde, hat die Redaktion sie zur Situation der syrischen Community befragt.  © UDE Uni Duisburg-Essen | Stefan Peters

Bei der Flucht-Zuwanderung aus Syrien seien überproportional viele junge Männer über das Mittelmeer gekommen, weil der Weg so gefährlich ist. „Und junge Männer sind im Durchschnitt zur Gesamtbevölkerung häufiger kriminell“, verdeutlicht Weiß, betont aber auch, dass die Forschung in diesem Feld sehr komplex sei.

Der Verdacht, dass im konkreten Fall ein islamistischer Tathintergrund vorliegen könnte, sei eine Fortschreibung dieser Theorie: Sekten und extremistische Vereinigungen machen jungen Männern, die am Rande stehen, Angebote und damit beginnt mitunter ein Radikalisierungsprozess, erklärt Anja Weiß. Die Mechanismen funktionieren allerdings auch für verschiedene politische Richtungen ähnlich. Der Extremist in Hanau, der 2021 neun Menschen tötete, war rechtsextrem. Sie betont, dass Islamismus nicht religiös, sondern eher politisch motiviert sei.

Geflüchtete sollten möglichst schnell arbeiten können

Insgesamt laufe „die Integration syrischer Geflüchteter gar nicht schlecht“. In den Jahrzehnten zuvor wurden allerdings auch genug Erfahrungen gesammelt und Fehler gemacht: In den 90er Jahren durften viele Geflüchtete, etwa aus Ex-Jugoslawien, lange nicht arbeiten und als sie endlich durften, sei vielen nach Jahren des Dahinvegetierens in städtischen Unterkünften der Sprung kaum mehr gelungen.

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Seither sei klar, dass geflüchtete Menschen möglichst schnell Arbeit brauchen und die Kinder möglichst schnell zur Schule gehen sollten. Bei der Flüchtlingswelle 2015 sei das konsequent umgesetzt worden. „Im internationalen Vergleich lief das nicht schlecht“, analysiert Weiß. Mit den ukrainischen Geflüchteten seien die Behörden im letzten Jahr noch mal schneller gewesen.

>>STUDIEN ZU DEN HERAUSFORDERUNGEN FÜR GEFLÜCHTETE

  • Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigte 2020, dass die Herausforderungen für Geflüchtete groß sind: Vor ihnen liege eine ungewisse Zukunft in einem fremden Land mit neuer Sprache, neuem Job, neuer Wohnung. Sie müssten traumatische Erlebnisse und den Verlust geliebter Menschen verarbeiten, den Aufbau neuer sozialer Kontakte organisieren. Gebildete Menschen würden damit oft besser klar kommen als jene ohne Bildung.
  • Durch die Stigmatisierung als Muslim oder Flüchtling fühlen sich manche doppelt entwertet. Um nach einer erzwungenen Migration gut anzukommen, seien persönliche Netzwerke die wichtigste Basis, etwa durch Etablierte aus der eigenen Community. Professionelle Unterstützungsangebote könnten diese individuelle Hilfe ergänzen, nicht aber völlig ersetzen. Die Studie betont, dass es große Unterschiede gibt zwischen freiwilligen Migranten und Kriegsflüchtlingen. Letztere müssen sich „unverschuldet ihr Leben gänzlich neu aufbauen“.
  • In einer anderen Studie des IAB wird herausgearbeitet, dass die Geflüchteten aus Syrien in der ersten Zeit viele Hindernisse erlebten. Wegen fehlender Kinderbetreuung konnten vor allem Frauen häufig keine Arbeit aufnehmen. Weil der Aufenthaltsstatus bei manchen unsicher war, demotivierte es Firmen, diese Menschen anzustellen und umgekehrt demotivierte es beim Erlernen der Sprache. Aber schon 2019 sprach ein Drittel der syrischen Geflüchteten gut Deutsch, ein weiteres Drittel erreichte ein mittleres Level. Dadurch hätten deutlich mehr ihren Weg in den Arbeitsmarkt gefunden als erwartet.