Duisburg. Warum tötete eine 45-Jährige ihre Nachbarin und schob die Tat einer dementen Frau in die Schuhe? Auf Spurensuche im Duisburger Innenhafen.

Nach der unerwarteten Wende in Duisburger Mordermittlungen sitzt eine 45-Jährige in Untersuchungshaft (wir berichteten). Der dringende Verdacht: Sie soll im August eine 84-Jährige erstochen haben. Ein Teil ihres perfiden Plans: Die Tat schob sie der dementen Mitbewohnerin der Toten in die Schuhe. Doch im Laufe der Ermittlungen der Kripo begann das Konstrukt zu bröckeln. Die Nachbarschaft an der ruhigen Stresemannstraße im Innenhafen ist aufgewühlt und frag nach dem Warum.

„Es ist ein schreckliches Gefühl, dass man der Frau in den vergangenen Wochen auf der Straße begegnet ist. Jemandem, der wohl zu so etwas fähig ist“, sagt eine Anwohnerin, als sie vom Wochenendeinkauf zurückkehrt. Es ist das zweite Mal innerhalb von zwei Monaten, dass die Nachbarschaft in der guten Wohngegend aufgewühlt wird.

Tötungsdelikt im Innenhafen: Alles schien schlüssig

Das erste Mal traf es die Menschen am Morgen des 23. August: Da war gegen 8.30 Uhr eine 84 Jahre alte Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses mit einem Küchenmesser erstochen worden. Der dringende Tatverdacht richtete sich zunächst gegen eine 89-Jährige, die gemeinsam mit dem Opfer in einer Wohngemeinschaft zusammenlebte.

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Den Ermittlern hatte sich in den Minuten und Stunden nach der Bluttat ein schlüssig erscheinendes Bild ergeben: Die 45-Jährige berichtete, sie hätte Schreie aus der Wohnung der Seniorinnen gehört. Da sie im Besitz eines Schlüssels gewesen war, hätte sie nach dem Rechten sehen wollen. Die Frau erklärte weiter, die 89-Jährige hätte das blutverschmierte Küchenmesser in der Hand gehalten, ihre Mitbewohnerin mit schweren Stichverletzungen am Boden gelegen.

Und: Die 89-Jährige hätte auch sie angegriffen. In der Version der Nachbarin will sie selbst die Seniorin dann aufgehalten haben. Dann rief sie die Rettungskräfte, die das Leben der 84-Jährigen nicht mehr retten konnten. Sie starb in der Wohnung.

Ihre Mitbewohnerin wurde festgenommen. Ein Haftrichter ordnete aufgrund der Beweislage die Unterbringung der 89-Jährigen in einer psychiatrischen Einrichtung an. Schon damals ein Problem: Die Frau konnte den Ermittlern keine Informationen über die Ereignisse geben. Zu stark war ihre Demenzerkrankung schon damals fortgeschritten.

Mordkommission ermittelte weiter – und stieß auf Widersprüche

Trotz des klar anmutenden Falls ermittelte eine Mordkommission weiter. „Da sieht man mal, wie wichtig das ist“, sagt ein 34-Jähriger, der in einem Nachbarhaus wohnt, jetzt rückblickend. Aus Kreisen der Kripo ist zu hören, dass jeder Quadratmeter der Wohnung untersucht worden sei. Die Beamten werteten die Spuren aus – und zogen auch einen Experten hinzu, der die physischen und motorischen Fähigkeiten der 89-Jährigen überprüfte.

Die Stresemannstraße im Duisburger Innenhafen ist eigentlich eine ruhige Wohngegend in guter Lage.
Die Stresemannstraße im Duisburger Innenhafen ist eigentlich eine ruhige Wohngegend in guter Lage. © mas

Nach Informationen dieser Redaktion war es dann die Summe der neuen Erkenntnisse, die in der Mordkommission erhebliche Zweifel am vermeintlichen Tatgeschehen aufkommen ließen. Immer stärker geriet dadurch die 45-Jährige in den Fokus. Sie soll sich um die beiden Frauen gekümmert haben, so berichten es mehrere Menschen aus dem Umfeld des Acht-Parteien-Hauses.

Mehrfach befragten die Ermittler die Nachbarin, die sich dann immer mehr in Widersprüche verstrickte. Ihre Wohnung wurde in der Folge durchsucht, ihr Handy sichergestellt. Am Donnerstagvormittag dann nahm die Polizei sie fest. Nach einer Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht am Mittag den Untersuchungshaftbefehl.

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Ermittelt wird nun weiter: Denn das Motiv ist noch nicht klar. Warum tötete die Duisburgerin ihre betagte Nachbarin? Diese Frage stellen sich auch viele Bewohner der Stresemannstraße. Über finanzielle Hintergründe wird in der Nachbarschaft vorsichtig spekuliert. Allerdings dominiert eher die Fassungslosigkeit nach der nicht für möglich gehaltenen Wende in dem Tötungsdelikt. Eine Anwohnerin sagt: „Für uns ist es so, als sei der Mord ein zweites Mal passiert.“

>>89-Jährige ist wieder frei

  • Die Ermittlungsbehörden halten sich zu einem Tatmotiv derzeit noch bedeckt.
  • Nach zwei Monaten in einer geschlossenen Einrichtung ist die 89-Jährige wieder frei. Über die Unterbringung der demenzkranken Frau wurden keine Details bekannt.