Duisburg. Die Duisburger Werkstatt feiert 50-Jähriges. Wie sich die Institution für Menschen mit Behinderung stark macht und sich weiter öffnen will.
Die Duisburger Werkstatt feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Schon die Veränderungen beim Namen zeugen von einer bewegten Geschichte: Gegründet wurde sie als „Duisburger Werkstatt für Behinderte“, 2010 wurde daraus „für Menschen mit Behinderung“, seit zwei Jahren heißt sie Duisburger Werkstatt, der Zusatz wurde im Sinne der Inklusion gestrichen.
Und damit ist auch der zukünftige Weg geebnet: Der neue Fokus richte sich auf inklusive Projekte, sagt Geschäftsführer Alexander Schmanke: „Wir wollen uns öffnen.“ Dazu gehöre auch, den Fokus nicht auf die Handicaps zu lenken, sondern das Gemeinsame zu betonen, die Möglichkeiten. Das habe im vergangenen Jahr beim Weihnachtsbaumverkauf schon gut geklappt und soll erweitert werden. „Die Menschen sollen zu uns kommen, wir sind schließlich Teil des Arbeitslebens.“
Duisburger Werkstatt: Behinderungen sollen nicht hervorgehoben werden
Beim AV Concept-Store, der Produkte der Werkstätten verkauft und zugleich Restaurant ist, sowie beim Restaurant Ziegenpeter stehe bewusst nirgendwo ein Hinweis auf die Verbindung zu den Werkstätten. „Die Inklusion soll nicht in den Vordergrund gerückt werden.“ Künftig soll es ergänzend zu den Angeboten an den neun Standorten auch Begegnungen auf neutralem Boden geben, ohne zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu unterscheiden.
[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]
Anfang des Jahres wurde in Röttgersbach ein Anbau in Betrieb genommen, der weitere 30 Plätze bietet für Menschen mit geistiger Behinderung. Weitere Baumaßnahmen stehen derzeit nicht an, sagt Schmanke. Ein neues Arbeitsfeld wird ebenfalls ins Auge gefasst, weil sich einige Mitarbeiter PC-Arbeitsplätze gewünscht haben. Demnächst sollen sie in der Betriebsstätte Sepos in Großenbaum als Mediengestalter arbeiten können und zum Beispiel Flyer herstellen. Erste Praktika laufen bereits, bericht Schmanke.
Debatte um Honorare für Beschäftigte der Werkstätten
Immer mal wieder erreichen die Redaktion kritische Nachfragen zur Bezahlung in den Werkstätten. Nichts neues für Schmanke: „Wenn ich könnte, würde ich die Gehälter sofort erhöhen. Wir müssten aber auch den Produktionsdruck erheblich erhöhen, bräuchten den vierfachen Ertrag, um Mindestlohn zahlen zu können.“ Das sei aber nicht möglich, die Beschäftigten hätten Leistungseinschränkungen, „sonst könnten sie ja überall arbeiten“.
Er setzt auf eine bundesweite Reform des Entgeltsystems in Werkstätten. Denn die Kritik, dass Beschäftigte zusätzlich Grundsicherung beantragen müssen, um über die Runden zu kommen, findet er berechtigt. Eine größere Lohngerechtigkeit sei wichtig, egal ob das über staatliche Subventionen funktioniere oder über eine gemeinsame Ausschüttung von Lohn und Grundsicherung: „Die Menschen müssen davon leben können.“
Sorgen bereitet ihm der Fachkräftemangel, viele Stellen seien ausgeschrieben. In seiner Zeit sei der Stamm von 245 auf 279 aufgestockt worden, „um die Betreuungsqualität zu erhöhen“. Der Verdienst im öffentlichen Dienst sei nicht verlockend genug. Dabei gebe es im Gegensatz zur Pflege aber verlässliche Arbeitszeiten, keine Wochenend- oder Spätdienste.
Nur wenige wechseln in den ersten Arbeitsmarkt
Den Werkstätten komme weiterhin eine große Bedeutung zu, weil es nur wenige Mitarbeiter auf den ersten Arbeitsmarkt schaffen. „Gelungene Inklusion heißt nicht, dass man im ersten Arbeitsmarkt einen Job bekommt, sondern dass man sich da wertgeschätzt fühlt, wo man ist. Bei uns sind sie oft sogar die Starken.“ Reine Wechslerzahlen hätten kaum Aussagekraft, weil sie nichts über die Rückkehrerzahlen sagen, betont Schmanke. Sie seien ohnehin übersichtlich: 2021 sind fünf Mitarbeiter im ersten Arbeitsmarkt angekommen, 2022 waren es noch weniger.
Und dann verdeutlicht er, wie es um die Menschen bestellt ist, die bei der Werkstatt arbeiten: Sie seien nicht allein körperlich behindert, viele hätten zudem erhebliche psychische Erkrankungen oder einen IQ unter 70. Über 300 der 1100 Mitarbeiter seien schwerst-mehrfach behindert und benötigen rund um die Uhr eine Assistenz. Manche von ihnen könne man kaum eine Stunde am Tag in die Arbeit einbinden. „Wir reden hier nicht von Menschen mit einer depressiven Episode oder einer leichten Angststörung.“
Sinnvolle Beschäftigung in Gruppen
Weil der Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt so selten gelingt, wurde 2007 das Restaurant „Der kleine Prinz“ gegründet, das später im AV Concept Store aufging. Im Rheinpark lockt seit 2012 der Ziegenpeter. Es seien „tolle Projekte für die Mitarbeiter“, aber es sei wegen der aktuellen Preissteigerungen schwer, am Markt zu bestehen. Der Slogan „Gegessen wird immer“ stimme aktuell nicht mehr, bedauert Schmanke.
Für viele der Mitarbeiter seien außerdem Beschäftigungen bei großen Unternehmen wie Kühne und Nagel, Pape oder der Jugendherberge Wedau sinnvoll, wo sie in Gruppen zusammen mit Betreuern arbeiten, als eine Art Vorstufe zum ersten Arbeitsmarkt. „Der Mensch muss können und wollen“, sagt Schmanke, umgekehrt aber auch wollen und können.
>>DIE WERKSTATT IN ZAHLEN
- Der Rat der Stadt hat 1969 beschlossen, eine Behindertenwerkstatt zu bauen. 1975 konnten die ersten 110 Menschen ihre Arbeit aufnehmen.
- 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt.
- Es gibt vier Betriebsstellen zwischen Röttgersbach und Großenbaum, außerdem die FahrradWerkstatt, den Ziegenpeter im Rheinpark und den AV Concept Store in Stadtmitte. Arbeiten können die Mitarbeiter in der Garten-Landschaftspflege, in Wäscherei, Näherei oder Schneiderei, in der Holz- und Metallverarbeitung sowie in der Verpackung und Elektromontage.
- Gesellschafter sind zu 50 Prozent die Stadt Duisburg, zu jeweils 25 Prozent die Lebenshilfe und der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung.