Duisburg. Ganze Tage in der Schule sitzen, ist Jonathan zu langweilig. Warum der Elfjährige für seine Idee von Unterricht bis in den Landtag marschiert.

Er ist erst elf Jahre alt, aber die schulpolitischen Sprecher der Parteien im Landtag, der Landtagspräsident, Bildungsforscher und Vertreter von Elternverbänden und Landesschülerinnenvertretungen kennen jetzt seinen Namen: Denn über Jonathan Borks Idee von Schule diskutierte jetzt auch der Schulausschuss des NRW-Landtags.

Der Duisburger Schüler ist hochbegabt. Schon in der Grundschule besuchte er Robotik- und Programmierkurse im Gymnasium. Bevor das möglich war, musste er einen Intelligenztest machen. Sein IQ von 145 öffnete ihm dann Türen.

Der Distanzunterricht während der Pandemie war für ihn ein Segen. Auch jetzt noch lernt er das meiste allein daheim, nur für Klassenarbeiten geht er in die Schule. Die besondere Gesetzeslage, die das ermöglicht, läuft nun aber aus, und um seine Schulpflicht zu erfüllen, müsste Jonathan bald ganze Tage im Unterricht sitzen. Eine Horrorvorstellung für den Einser-Schüler.

Duisburger (11) beteiligt sich mit einer Stellungnahme an Debatte im Schulausschuss des Landtags

Weil die FDP-Fraktion im Schulausschuss des Landtags einen Antrag auf individuelle Beschulung von Hoch- und Höchstbegabten gestellt hatte, nutzte Jonathan die Gelegenheit zu einer persönlichen Stellungnahme, die er schriftlich abgab.

Eine individuelle Beschulung fordert auch Jonathan, „aber für alle Kinder“. Er stellt sich das wie ein Kurssystem vor: Fächer, in denen Schüler gut sind, können sie sich zu Hause erarbeiten, Fächer mit mehr Hilfebedarf könnten in der Schule in Präsenz besucht werden.

Die Lehrer hätten so im Unterricht mehr Kapazitäten für die schwächeren Schüler und die Stärkeren müssten sich nicht langweilen und „Zeit absitzen“. Sie könnten stattdessen anderes tun, etwa in Themen eintauchen, die sie wirklich interessieren. Bei Jonathan ist das gerade Erdkunde und Physik. Seine Zeit nutzt er auch gern, um Gitarre und Klavier zu üben, reiten zu gehen oder virtuell Minecraft mit Freunden aus ganz Deutschland zu spielen.

Auf den Internetseiten des Landtags suchte Jonathan sich in den letzten zwei Wochen alle E-Mail-Adressen der schulpolitischen Ansprechpartner zusammen, schrieb jeden an und konnte einige auch schon zum Zoom-Meeting treffen. Seine Vorstellung von Hybrid-Unterricht mit Wahlmöglichkeiten je nach Interesse und Leistungsstand habe Interesse geweckt, glaubt er.

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„Ich bin doch ein stinknormales Kind“

Sein Ziel ist jetzt, dass er vor dem Landtag sprechen kann, um alle vom „effizienteren Lernen“ zu überzeugen. Und zu verhindern, dass er täglich zur Schule muss. Stand jetzt bräuchte er eine Diagnose, um hybrid weiter lernen zu dürfen. „Aber ich bin doch gesund“, betont er. Er komme mit seinen Mitschülern super aus, treffe sich nachmittags mit ihnen zum spielen, oder lernen.

Im jetzigen Schulsystem fühlt er sich wie ein Puzzleteil in einem riesigen Spiel: „Manche Schüler werden reingedrückt, verbogen, manche richtig eingehämmert.“ Elitemodelle würden ihm nicht weiter helfen. „Ich bin doch ein stinknormales Kind.“ Nur eben eines, das flüssig über den Unterschied von Integration und Inklusion referieren kann. Auch das Drehtürmodell sei nichts für ihn. Es gibt Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, in einzelnen Fächern am Unterricht höherer Klassen teilzunehmen. Auch Klassen überspringen will Jonathan nicht: „Ich sitz doch noch in meinem Zimmer und spiele mit Lego, Ältere haben seltsame Themen.“ Er sagt das sehr vehement und guckt ein bisschen angewidert.

Unterricht per Video ist keine Alternative

Am Landfermann-Gymnasium, wo Jonathan die sechste Klasse besucht, laden alle Lehrer ihr Unterrichtsmaterial auf die Internet-Plattform Iserv hoch. „Das nutzen auch Kinder die krank sind, das ist also keine Mehrarbeit“, sagt Jonathan. Er bearbeitet es und schickt es zur Schule. Per Video wie im Distanzunterricht will er nicht zugeschaltet werden. „Dann kann ich ja auch hingehen. Ich will mir einfach keine langen Erklärungen anhören zu Sachen, die ich schon kann.“

Jonathan möchte auch nach der Pandemie weiter hybrid unterrichtet werden. Dafür streitet der Elfjährige aus Duisburg auch im Düsseldorfer Landtag, wo er unter anderem den Landtagspräsidenten André Kuper traf.
Jonathan möchte auch nach der Pandemie weiter hybrid unterrichtet werden. Dafür streitet der Elfjährige aus Duisburg auch im Düsseldorfer Landtag, wo er unter anderem den Landtagspräsidenten André Kuper traf. © Privat | Bork

Andreas Bartsch, den Präsidenten des Lehrerverbands NRW, hat er nach seinem Besuch im Landtag per Mail zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen. „Er hat meine Stellungnahme gar nicht verstanden“, glaubt Jonathan. „Man muss doch nicht im Schulgebäude sitzen, um Lehrer als Vorbilder zu erleben.“ Mit seinem Politiklehrer liefere er sich zum Beispiel seitenlange schriftliche Diskussionen. Und er ahnt, dass sie in der Tiefe den ein oder anderen Mitschüler anöden könnten.

Die Eltern „spielen nur Taxi“

Seine Mutter Julia Bork-Taut betont, dass Jonathan das alles selbst regelt. Die Telefonate mit Politikern, die Gespräche mit Schulleitern und das Aushandeln von Verträgen, die vielen langen E-Mails, „das macht er allein, wir spielen nur Taxi.“

Wie es jetzt für Jonathan weitergeht, weiß er selbst noch nicht. Täglich in der Schule zu sitzen, kann er sich jedenfalls nicht vorstellen. „Mein Kampf geht weiter, egal was andere sagen.“