Duisburg. Wie lässt sich das Leben mit einem autistischen Kind einfacher gestalten? Familie Eumann hat vieles ausprobiert und berät nun Eltern und Kitas.

Mats ist schuld: Seine Eltern haben seinetwegen ein Unternehmen gegründet, eine Webseite gebaut, sind umgezogen. Mats ist Autist, und hat – wie eigentlich alle Kinder – das Leben seiner Eltern nachhaltig verändert. Anika und Sebastian Eumann haben drei Kinder, Mats ist der Mittlere und ihr Lebensthema: Er brachte alle an seine Grenzen mit seinem herausfordernden Verhalten. Doch sie lernten den Umgang damit und möchten ihr Wissen nun weitergeben: mit der Firma „Atypical.Life“.

Im letzten Sommer sind die Eumanns aus der Hauptstadt nach Meiderich gezogen. Berlin kann jeder, Duisburg muss man wollen? Es ist wohl umgekehrt: Für ihre drei Kinder haben die berufstätigen Eltern am Rhein durch die Großeltern mehr Unterstützung.

Vater Sebastian ist Maschinenbau-Ingenieur, Mama Anika Krankenschwester. Jetzt macht er nebenberuflich die Webseite, tüftelt an einer künftigen App. Sie bietet Workshops an, studiert parallel noch, wird Fachkraft für Inklusion. Als wäre sie das nicht längst in eigener Sache.

„Atypical.Life“ in Duisburg: Eltern autistischer Kinder Hilfe zur Selbsthilfe anbieten

Als sie 2018 ihr Unternehmen Atypical Life gründeten, hatten sie mit ihren drei Kindern, vor allem mit dem Mittleren, schon einen Ritt hinter sich. Für Mats mussten sie viele Kämpfe ausfechten, jeden Weg selbst freischlagen. Mit den Infos auf ihrer Webseite wollen sie Eltern autistischer Kinder handlungssicherer machen.

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Es gibt Leitfäden zum Download, zum Beispiel über die Pflegeleistungen, die man beantragen kann. Man findet Ratschläge zu Arbeitsmaterialien, Spielzeugempfehlungen; die Eumanns erklären Strategien für Spielplatzbesuche und den mitunter stressigen Alltag. Es gibt einen Newsletter, einen Blog.

Kommunikation über Bildkarten

In Workshops werden außerdem Fachkräfte fortgebildet, damit sie in den Kindertageseinrichtungen den besonderen Kindern gerecht werden können. Kommunikation ist dafür ein Stichwort. Mats beispielsweise hat bis zu seinem dritten Geburtstag kein Wort gesagt. Über Bildkarten, die Dinge anschaulich zeigen, Reihenfolgen verdeutlichen, können Autisten sich ausdrücken, Erzieher sie leichter verstehen.

„Das gesprochene Wort ist schnell aus dem Gedächtnis verschwunden, für die Kinder nicht mehr greifbar“, verdeutlicht Anika Eumann. Die Bildkarten, die mit Klettverschlüssen überall angebracht werden können, haben ihrem Sohn das Sprechenlernen erleichtert. Dinge, die jedes Kind lernen muss, hat Mats damit erfasst: Vor dem Essen die Hände waschen, vor dem Schlafen gehen die Zähne putzen. Klare Bilder, klare Handlung. Inzwischen versteht Mats, was seine Eltern sagen, ganz ohne Hilfsmittel. Bis dahin war es aber ein langer Weg.

Betreuungsprobleme und andere Hürden

Ein inklusiver Kindergarten in Baden-Württemberg, wo sie damals lebten, habe mit Mats nicht professionell umgehen können, weshalb er nicht wiederkommen sollte. Die Familie hatte kurz vor der Geburt des dritten Kindes ein großes Betreuungsproblem. Vor allem aber sei es sehr verletzend gewesen, dass Dritte vom eigenen Kind nur als Belastung sprachen.

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Hilfe fanden die Eumanns in der Schweiz. Regelmäßig fuhren sie zur Frühförderung, suchten aus allen möglichen Angeboten die jeweils besten Hilfen für ihr Kind heraus. Darunter auch Elemente des ABA, eine umstrittene verhaltenstherapeutische Lernmethode. Eumann weiß um die Kritik daran. Sie bedauert, dass Eltern dadurch noch stärker verunsichert werden. Sie glaubt, dass eine individuelle Mischung von Hilfen sinnvoll ist – und die Haltung den Unterschied macht: „Mache es mit Liebe zum Kind, nicht von oben herab.“

Reizarme Umgebung, lärmschluckende Kopfhörer

Immer wieder beobachtet die Familie, dass man durch veränderte Rahmenbedingungen autistischen Kindern das Leben leichter machen kann. Manche von ihnen benötigen viel Ruhe, andere eine reizarme Umgebung. Entlastung können lärmschluckende Kopfhörer bieten, weiße Wände ohne Bilderchaos. Das zu erkennen, benötige gute Beobachtung und das Wissen darum: „Wir wurden am Anfang kompetent gemacht, jetzt kann Mats sogar lesen und schreiben“, sagen die Eumanns dankbar.

Weiterhin sei ihr Ziel, so viel Hilfe wie nötig, aber so wenig wie möglich für Mats zu organisieren. Er geht inzwischen auf eine Förderschule in Duisburg. Und Mama Anika hat Zeit für Atypical.Life. Sie geht zur Beratung in die Kitas, schaut zusammen mit dem Team, wie im Einzelfall konkrete Hilfe aussehen kann. Es könne zum Beispiel helfen, wenn ein autistisches Kind immer den gleichen Platz beim Essen bekommt, eingegrenzt durch ein Tischset. Oder wenn beim Ankommen an seinem Garderobenplatz links und rechts kein Gedränge ist.

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Orientierung durch den Hürdenlauf des deutschen Antragswesens

Eine Pflegeberatung seien sie nicht, auch individuell könnten sie keine Eins-zu-Eins-Beratung machen. Bieten könnten sie indes eine Orientierung durch den Hürdenlauf des deutschen Antragswesens. „Elf Jahre mit Mats haben uns geprägt.“

>> BERATUNG FÜR ELTERN AUTISTISCHER KINDER

  • Auf der Webseite https://atypical.life bieten Anika und Sebastian Eumans viele Informationen und praktische Hilfe für Eltern autistischer Kinder.
  • Betreiber von Kindergärten können Anika Eumans für Fortbildungen buchen.