Duisburg. Am Hauptbahnhof Duisburg sind viele Berufspendler vom Streik bei der DVG überrascht worden. Wie Gestrandete reagierten – und wer profitierte.

Der Fußgängertunnel auf der Nordseite des Hauptbahnhofs und die DVG-Haltestelle dort sind an diesem Dienstagmorgen Inseln der im ÖPNV Gestrandeten – Treffpunkte kalt Erwischter: Zwischen 7 und 8 Uhr wird hier deutlich, wie viele Menschen, die auf Busse und Bahnen der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) angewiesen sind, vom ganztägigen Verdi-Warnstreik bis zu diesem Zeitpunkt nichts gehört hatten. Es sind erstaunlich viele. Betroffen sind vor allem Berufspendler, die aus anderen Städten nach Duisburg fahren. Und einige dieser Angestellten bringt der Warnstreik beruflich in Bedrängnis.

Andreas Dabrowa ist einer von diesen Arbeitnehmern, die an diesem Tag zu den Leidtragenden des Arbeitskampfes im öffentlichen Dienst zählen – die auf dem Weg zur Arbeit jäh ausgebremst werden. Der 53-Jährige wohnt in Mülheim-Saarn und muss ins Büro nach Duisburg-Ruhrort. Der Buchhalter prüft ungläubig die heruntergelassenen Lamellen des Rolltors im Fußgängertunnel: Der Weg nach unten, zu den Stationen von U79, 901 und 903, ist heute versperrt.

Streiks im öffentlichen Dienst: Erst Mülheim, dann Duisburg und Oberhausen

Auf den Streik der Ruhrbahn in Mülheim am Montag, da war Dabrowa eingestellt gewesen, aber vor dem Stillstand bei der DVG hatte ihn niemand gewarnt: „Ich bin eigentlich immer gut informiert.“ Nun aber überlegt er, nach Hause ins „Mobile Office“ zurückzukehren. Von zu Hause aus habe er bereits am Vortag wegen des Ruhrbahn-Streiks gearbeitet. Trotz der Umstände findet er es „okay“, dass die DVG-Belegschaft streikt, „auch wenn man schon sagen muss, dass das leider auf unsere Kosten geht“.

Zählte zu den betroffenen Berufspendlern, die vom Duisburger Hauptbahnhof aus nicht weiter kamen: Andreas Dabrowa aus Mülheim.
Zählte zu den betroffenen Berufspendlern, die vom Duisburger Hauptbahnhof aus nicht weiter kamen: Andreas Dabrowa aus Mülheim. © Philipp Wahl

Ein paar Meter weiter telefoniert Lars, 25. Er ist ratlos, „schon ein bisschen genervt“. Der Student ist mit der S-Bahn aus Düsseldorf gekommen und weiß nicht, wie’s nun weitergehen soll. Sein plötzlich weit entferntes Ziel: Thyssenkrupp Steel in Bruckhausen, wo er ein Praktikum macht. „Ich bin gerade im Berg, in der Instandhaltung. Da kann ich ja kein Homeoffice machen. Laufen kann ich aber auch nicht.“ Google Maps zeigt einen knapp zweistündigen Fußweg an. Ähnlich lang wäre der Fußweg einer 29-Jährigen aus Düsseldorf: Sie muss zum Robert-Bosch-Berufskolleg nach Obermarxloh.

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Gebeutelt, fast verzweifelt steht ein junger Oberhausener an der DVG-Haltestelle. Der Azubi ist mit der Deutschen Bahn aus Oberhausen angereist, hatte den Streik der Stoag an seinem Wohnort auf dem Schirm. Jetzt aber muss er unerwartet ohne ÖPNV über den Rhein. „Das ist stressig“, sagt er und hofft auf das Verständnis seines Chefs. Die Tendenz um 7.30 Uhr: „zurück ins Homeoffice“.

Um 4 Uhr vergeblich gewartet

Ein paar Minuten später fährt plötzlich wie aus dem Nichts doch ein Bus ins Linksrheinische vor: Bei den Niederrheinischen Verkehrsbetrieben (NIAG) wird heute zwar auch gestreikt, aber nach Angaben eines NIAG-Sprechers seien nur etwa zehn Prozent der Fahrten ausgefallen. Zu denen, die in den NIAG-Bus einsteigen, zählt ein 49-Jähriger aus Neudorf, der in Ruhrort seine Frühschicht nachholen muss – am Morgen habe er hier „um 4 Uhr“ vergebens auf den Bus gewartet.

Jeder Regionalexpress und jede S-Bahn, die in der Gleishalle des Hauptbahnhofs hält, spült an diesem Morgen neue Gestrandete an die DVG-Haltestellen. Was fast alle neben der bösen Überraschung in der Morgenkälte eint: Die meisten wissen nicht, worum es den Streikenden geht.

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Taxi-Fahrer haben viel zu tun

Die Profiteure, wenn man so will, sind die Taxi-Fahrer, die an den Bahnhofsvorplätzen stehen – und heute nicht lange auf Kundschaft warten müssen. Einer von ihnen ist Mehmet aus Hamborn. Der 35-Jährige berichtet um kurz vor 8 Uhr, er habe seit Dienstbeginn bereits 15 Fahrgäste kutschiert. Einige hätten geflucht wegen des Streiks. „Für die tut’s mit leid“, sagt der Taxi-Fahrer. Und ergänzt: „Ich hoffe, dass sich das für die Streikenden lohnt.“ Und muss schon wieder weiter.

Die DVG wird bestreikt – die Tore zu den Bahnen bleiben zu.
Die DVG wird bestreikt – die Tore zu den Bahnen bleiben zu. © MartiN Schroers

In eines der Taxis auf dem Portsmouthplatz steigt Volodymyr Slipyi ein. Der 37-Jährige wohnt in Düsseldorf, arbeitet als Zahnarzthelfer in Meiderich und wollte wie sonst vom Hauptbahnhof mit der DVG weiterfahren. 10,5 Prozent mehr Lohn? „Die hätte ich auch gerne“, sagt er lächelnd. „Aber ich darf ja nicht streiken.“ Er sei vor drei Jahren aus der Ukraine hergezogen, sei in seiner Heimat Zahnarzt gewesen. Nun warte er hier auf seine Approbation und habe noch eine Ausbildung zum zahnmedizinischen Fachangestellten absolviert. Slipyi beklagt die deutsche Bürokratie und lobt seinen Arbeitgeber: „Der zahlt mein Taxi.“

>> So kommentieren Facebook-Nutzer den Streik bei der DVG

Wir haben unsere Facebook-Abonnenten gefragt (siehe unten): Haben Sie Verständnis für den Streik? Eine Auswahl der Antworten:

Marius Zima: „Ob 10 Prozent mehr Lohn berechtigt sind, mag ich nicht beurteilen. Trotzdem betrifft natürlich auch die Mitarbeiter beim öffentlichen Nahverkehr die Inflation, jedem, der kein Verständnis für den Streikgrund hat, fehlt es meiner Meinung nach an Empathie. Ob jetzt die Streikart die richtige Form ist, darüber muss jeder selber entscheiden.“

Nico Schütte: „Ich habe Verständnis dafür, dass die Leute mehr Geld fordern. Das kann aber die Lösung nicht sein, die Preise müssen runter und nicht die Gehälter rauf. So wird es immer schwieriger für sozial Schwache, die diese Möglichkeiten nicht haben.“

Ulf Lenkeit: „Es wird viel zu wenig gestreikt. Dazu kommt noch, dass immer mehr Arbeitnehmer gar nicht mehr in der Gewerkschaft sind. Also werden die Gewerkschaften immer schwächer. Um Geld zu sparen, sollten die Leute lieber aus der Kirche austreten und das Geld lieber für die Gewerkschaften nehmen.“

Frank Ulitza: „Ja ich habe Verständnis dafür, wenn der Streik früh genug angekündigt wird, damit man sich darauf einstellen kann, was ja hier auch der Fall war. Solange die Chefetage den Gürtel nicht enger schnallt, sehe ich auch keinen Grund dafür, dass die Beschäftigten leer ausgehen sollen. Im Übrigen ist 10,5 Prozent eine Forderung, das heißt nicht, dass es auch das Ergebnis am Ende sein wird. Denke mal, es wird irgendwas mit 7 Prozent und längerer Laufzeit herauskommen.“

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