Duisburg. In Duisburg legte Horten die Basis für ein Imperium. Über einen Mann, der von der Not der Juden profitierte, aus der NSDAP flog und reich wurde.
Er war der Kaufhaus-König und die Anfänge seines Erfolgs liegen in Duisburg. Über dem Beginn des Märchens liegt aber ein Schatten: Es war vormals jüdisches Eigentum, das er erwarb und damit den Grundstein für ein Milliardenvermögen legte. Die Rede ist von Helmut Horten (1909 bis 1987). Der Historiker Dr. Maximilian Kutzner hat über ihn im Duisburger Stadtarchiv referiert. Die Redaktion sprach mit ihm darüber.
„Horten war ein sehr guter Verkäufer und harter Verhandler“, sagt Kutzner. Der Sohn eines hohen Justizbeamten in Köln wollte nach dem Abitur nicht wie sein Vater Jurist werden. Stattdessen machte er von 1929 bis 1932 im Kaufhaus Tietz in Düsseldorf eine kaufmännische Lehre. Schnell stieg er danach im Kaufhaus Michel in Köln zum Abteilungsleiter und Chef-Einkäufer auf.
Es war die Zeit, als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen (1933). Sie machten jüdische Geschäftsleute im In- und Ausland für die miserable Lage Deutschlands mit verantwortlich. Viele Kaufhäuser, nicht nur Tietz und Michel, gehörten jüdischen Familien. Die Nazis starteten Kampagnen. Die Bevölkerung sollte dort nicht mehr kaufen. Der Druck des Hitler-Regimes war enorm. Die Folge: Die Juden gaben diese Häuser ab, viele zogen ins Ausland.
Helmut Horten erwarb Kaufhaus in Duisburg mit Hilfe der Commerzbank
Als die Commerzbank Duisburg mit ihrem Direktor Wilhelm Reinold (1895 bis 1979) auch einen Käufer für das jüdische Kaufhaus Gebrüder Alsberg der Familien Lauter und Strauß in der Altstadt suchte, kam man auf den jungen Horten. An den Verhandlungen darüber ist er laut Kutzner aber nicht beteiligt gewesen. 5000 Reichsmark an Ersparnissen genügten ihm für den Deal.
Denn 45.000 Mark lieh ihm privat, berichtet Kutzner, ein Onkel, ein Bankier aus Köln. Und weitere 250.000 Mark brachten Reinold und ein weiterer stiller Teilhaber 1936 in die Horten-KG ein. Deren Geschäftsführer und alleinhaftender Gesellschafter wurde Horten. Voraussetzung war, dass er das Kaufhaus arisierte. Also entließ er die jüdischen unter den rund 500 Beschäftigten. Sonst hätte die Gefahr weiterer Boykotts gedroht. Einige von ihnen habe er aber verdeckt weiterbeschäftigt, sagt Kutzner.
Um seine Linientreue zu belegen, trat Horten 1937 in die Hitler-Partei NSDAP ein. Gleichzeitig hielt er weiter Kontakt zu den Voreigentümern. Die Familie Lauter besaß noch bis 1938 die Immobilie. Kutzner: „Das sahen die Nazis gar nicht gern.“ Horten kaufte sie privat für 1,13 Millionen Mark und ebenso die Lauter-Villa an der Prinz-Albrecht-Straße in Duissern. Den nötigen Kredit verschaffte ihm Reinold.
Kein Kauf zum „Schleuderpreis“
„Horten hat den jüdischen Vorbesitzern nichts zu Schleuderpreisen abgekauft“, sagt Historiker Kutzner. Denn dann wäre eine Abgabe an den Staat fällig gewesen. „Da zog er es vor, ihnen mehr zu bezahlen.“ Horten sei stets sehr staatskritisch gewesen. „Steuern zu sparen, war die große Konstante in seinem Leben.“
Die Käufe konnte er sich leisten. Er verdiente als Geschäftsführer 24.000 Mark im Jahr (das Dreizehnfache eines Arbeiters). Und das Kaufhaus an der Münzstraße/Ecke Beekstraße entwickelte sich bestens. Bis 1940/41 verdoppelte sich sein Umsatz auf zehn Millionen Mark im Jahr. Schon zu Beginn lag der Reingewinn bei 250.000 Mark. Da Horten sich seine Gewinnbeteiligung in Geschäftsanteile umwandeln ließ, hielt er 1939 bereits 51 Prozent an der KG.
Es blieb nicht dabei. Mit einem Ex-Kollegen aus Köln erwarb er noch ein vormals jüdisches Kaufhaus in Wattenscheid, mit Reinold eines in Königsberg/Ostpreußen und ein weiteres in Marienburg/Westpreußen. 1942 schließlich übernahm er mit dem Bankier ein Flugzeug-Reparaturwerk in Berlin – mitsamt Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen.
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1942 wurde sein Duisburger Kaufhaus aber bei einem Luftangriff zerstört. Er setzte den Verkauf in einem leerstehenden Café fort. Scharf kritisierte er vor Zeugen das Nazi-Regime. 1944 fiel er bei ihm vollends in Ungnade, wurde aus der Partei ausgeschlossen. Er hatte Textilien für Ausgebombte zum eigenen Vorteil verkauft. Bei Kriegsende 1945 lag auch Hortens Unternehmen in Trümmern: das Kaufhaus in Duisburg zerstört, das in Königsberg sowie das Flugzeugwerk von Sowjetrussland beschlagnahmt, das in Marienburg von den Polen. Nur Wattenscheid lief weiter.
Der Aufstieg zum Milliardär begann 1945 wieder mit einem Kaufhaus in Duisburg
Von 1946 bis 1948 war Helmut Horten in Recklinghausen ohne Gerichtsverfahren interniert. Er galt zunächst als Nazi, wurde am Ende aber als unbelastet eingestuft. Nach der Entlassung begann sein eigentlicher Aufstieg zum Milliardär, wieder mit einem Kaufhaus in Duisburg.
Während seiner Haft flossen die Erträge der Horten-KG auf ein Sperrkonto, um für Wiedergutmachungsansprüche der jüdischen Vorbesitzer zur Verfügung zu stehen. Ein Wirtschaftsprüfer war treuhänderisch als Geschäftsführer eingesetzt.
Die Vorbesitzerfamilien Lauter und Strauß forderten schon 1945 Wiedergutmachung. Dazu Kutzner: „Horten einigte sich mit ihnen 1950 auf eine Abfindung von einer Million D-Mark, das entsprach 250.000 US-Dollar.“Damit hätten die in die USA übergesiedelten Familien aber an ihre früheren Vermögen in Deutschland nicht anknüpfen können. Horten selbst habe erst in den 70er Jahren einen kleineren sechsstelligen Betrag als Entschädigung für die Zerstörung erhalten und ihn teilweise an die Lauters abgetreten.
Der Geniestreich vor Weihnachten 1948
Noch vor der Einführung der D-Mark 1948 verkaufte Horten die Lauter-Villa in Duissern, zog nach Mülheim. Sein letzter Wohnsitz in Deutschland sollte von 1955 bis 1971 eine Villa in Düsseldorf-Lohausen sein. Als Geniestreich erwies sich die Eröffnung des neuen Horten-Kaufhauses an der Königstraße am 1. Dezember 1948, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft. Das Gebäude, heute Standort des Forums, ging wegen der kurzen Bauzeit als „Bau der 100 Tage“ in die Stadtgeschichte ein. „In den ersten vier Wochen machte er damit 2,4 Millionen Mark Umsatz. Das Kaufhaus musste zeitweise wegen Überfüllung geschlossen werden“, berichtet Kutzner.
Die Immobilie hatte er selbst gar nicht gebaut. Er kaufte sie aber 1950. Denn sein Nachkriegsvermögen von rund einer Million Reichsmark war durch die Währungsreform im Juli 1948 auf rund 100.000 D-Mark geschrumpft. Damit und anfangs mit Bankkrediten baute er in den folgenden Jahren sein Imperium auf. Zu seinem Firmengeflecht gehörten nach Angaben von Kutzner rund 100 Firmen weltweit, darunter 50 Kaufhäuser der Marken Horten, Merkur und Defaka, dazu Einkaufsgesellschaften, Firmen für Transport und Verteilung seiner Waren, eine Kundenkreditbank sowie Immobilienfirmen für die zahlreichen Liegenschaften. Sie alle dienten dem Kerngeschäft, den Kaufhäusern.
Damit die Steuerlast so gering wie möglich ausfiel, hätten seine Firmen sich untereinander Rechnungen ausstellen oder ihre Gewinne in Form von Geschäftsanteilen steuerfrei auszahlen können. Dabei sei der Unternehmer zwar luxuriösen Zerstreuungen wie der Großwildjagd nachgegangen, ansonsten aber ein Arbeitstier gewesen, so Kutzner. Seine Arbeitszeit habe 60 bis 80 Stunden pro Woche betragen. Kinder habe er auch mit seiner zweiten Frau Heidi ab 1966 (er war in erster Ehe verwitwet) nicht haben wollen. Kutzner: „Horten befürchtete, dass Kinder, die in solchem Reichtum aufwachsen, nur verkommen können oder sich untereinander zerstreiten.“
Helmut Horten spendete für den Duisburger Zoo
Politische Kontakte unterhielt der Unternehmer, soweit es ihm nützlich schien. „Dabei war die FDP die bevorzugte Partei“, sagt Kutzner. Für sie spendete er auch selbst oder gab sich als Strohmann für andere Spender aus. Allerdings war er mit Franz-Josef Strauß (CSU) befreundet. Auch hat Horten sich als großzügiger Sponsor betätigt, etwa für den Duisburger Zoo und eine Tierklinik in Salzburg. 1968 sei er lebensbedrohlich erkrankt, folgte danach dem Rat seiner Ärzte, sich mehr zu schonen. Er trennte sich bis Anfang der 1970er Jahre von der Horten-AG und verlegte auch aus steuerlichen Gründen mit über einer Milliarde DM Vermögen den Wohnsitz in die Schweiz. Dort ging er noch bis zu seinem Tod 1987 Aktien- und Immobiliengeschäften nach, spekulierte mit Währungen.
Kutzners Fazit lautet: „Horten fühlte sich zu Außergewöhnlichem berufen und hat auch Außergewöhnliches geschafft.“ Denn er habe unter großen Risiken ein großes Vermögen gebildet. Er habe Geschäftssinn besessen, pragmatisch und zielbewusst gehandelt. „Das Geschäft war ihm wichtiger als jede Ideologie.“ Dabei habe er von der Not der Juden profitiert und unmittelbar am Krieg verdient.
>> Biographie über Helmut Horten soll im Herbst 2023 erscheinen
- Dr. Maximilian Kutzner hat bei dem Würzburger Historiker Prof. Dr. Peter Hoeres seine Doktorarbeit geschrieben. Dort hat 2018 die Helmut-Horten-Stiftung angefragt, ob Hoeres ein Gutachten über Hortens Rolle in der Nazizeit (1933 bis 1945) schreiben könne. Das Gutachten wurde 2022 in Wien vorgestellt.
- Daraus ist eine Biographie geworden, die im Herbst erscheinen soll. An beidem hat Kutzner mitgearbeitet. In insgesamt 32 verschiedenen Archiven hat er nach Material über Helmut Horten gesucht. Vor allem bei der Stiftung und im NRW-Landesarchiv im Innenhafen wurde er fündig.
- Im Foyer des Stadtarchivs, Karmelplatz 5, ist eine kleine Ausstellung über Helmut Horten zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags, mittwochs und freitags 9 bis 13 Uhr, donnerstags 13 bis 18 Uhr.