Duisburg. Im November 1938 holten die Nazis zu einem weiteren Schlag gegen Duisburger Juden aus. Damit erreichte deren Verfolgung einen neuen Höhepunkt.
Am Tag danach, am Freitag, 11. November 1938, trat die Müllabfuhr in Aktion, Straßenkehrer hatten zu tun, Schreiner bekamen Aufträge. Es galt auch in Duisburg, Straßen von zertrümmerten Wohnungs- und Ladeneinrichtungen sowie Glasscherben zu räumen, Fenster und Eingänge mit Brettern zu vernageln. In ihren Zeitungen lasen die Duisburger nur knapp, dass es am Vortag Vorfälle gegen ihre jüdischen Mitbürger gegeben habe. Später kam für diesen antisemitischen Terror der verharmlosende Begriff „Reichskristallnacht“ auf. Dabei hatte die Verfolgung der jüdischen Volksgruppe mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen neuen Höhepunkt erreicht. Denn die Ausschreitungen trafen, von Irrtümern abgesehen, ausschließlich jüdische Geschäfte, Wohnungen und Einrichtungen. Nur wurde die Polizei seltsamerweise nirgends jener Horden von Männern habhaft, die das angerichtet hatten.
Seit mehr als fünfeinhalb Jahren war die Nazipartei NSDAP im Herbst 1938 am Ruder gewesen. Wer sich ihr in den Weg stellte – in Duisburg vor allem Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter –, war längst ausgeschaltet. Die Evangelische Kirche hatte sich ganz schnell auf ihre Seite geschlagen und auch die Katholische Kirche ihren Frieden damit gemacht.
Duisburg im Nationalsozialismus: Die Medien hatten ein Feindbild zu schüren
Im Sommer 1936, bei den Olympischen Spielen in Berlin, hatte die ganze Welt dem Regime des Diktators Adolf Hitler die Ehre erwiesen. Außerdem hatte sich das größte Übel von 1933, das zu beseitigen Hitler versprochen hatte – die sechs Millionen Arbeitslosen – wie in Luft aufgelöst.
Duisburg selbst war nie Nazi-Hochburg. Im Gegenteil. Hier waren die Kommunisten stark. Aber auch in Duisburg verstanden es die Nazis, Eindruck zu machen, wie im März 1938 vor dem Stadttheater, nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland.
In Presse und Radio durfte unter den Nationalsozialisten nur „national gesinnt“ berichtet werden, also nazi-freundlich. Und das bedeutete: Die Medien hatten ein Feindbild zu schüren, das rechtsgerichtete Kreise schon vor dem Ersten Weltkrieg aufgebaut hatten: die deutschen Juden. In Duisburg lebten etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder.
Erfolgreiche jüdische Anwälte und Ärzte, Händler und Apotheker
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurden die Juden zum Sündenbock für die miserable Lage, in der das Land steckte. Denn einige ihrer Angehörigen hatten es in den USA zu großem Reichtum gebracht. Und da Großbritannien und Frankreich nach 1918 ihre Kriegsschulden bei US-Banken abbezahlen mussten und sich das von Deutschland bezahlen ließen, machte die Nazi-Propaganda daraus, das internationale Weltjudentum hätte sich gegen Deutschland verschworen.
Auch in Duisburg gab es erfolgreiche jüdische Geschäftsleute. Wenn sie an Gott glaubten, so lautete doch keines der Zehn Gebote „Du sollst in Armut leben“. Und da ihnen seit dem Mittelalter der Zugang zum Handwerk verwehrt war, zum öffentlichen Dienst ohnehin, entdeckten sie den Handel und später die Industrie für sich. Vom Erfolg dabei zeugte das prachtvolle Warenhaus von Cohen & Epstein an der Beekstraße in der Altstadt. Oder die Hahnschen (Stahl-)Werke in Großenbaum.
Drei religiöse Gemeinden mit Gotteshäusern in der Altstadt, in Ruhrort und in Hamborn bildete die Volksgruppe, ferner bis zu 30 andere Organisationen, vom Bund der ehemaligen Frontsoldaten bis hin zum Sportverein. Beruflich fanden die Männer meist als kleine Gewerbetreibende ihr Auskommen.
Wer auf der Suche nach hochwertigen Textilien und Raumausstattung war, kam an ihnen kaum vorbei. Es gab etliche jüdische Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker in der Stadt.
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1933: 30 SS-Leute treiben Gemeindevorsteher durch Duisburg
Von ihnen muss man die Zuwanderer aus Polen und Russland unterscheiden. Sie wurden angeworben, als im Ersten Weltkrieg hier die Hilfsarbeiter knapp wurden. Eine zweite Welle der Zuwanderung gab es in den 20er Jahren.
Als in Deutschland ab 1930 die Not groß wurde, bauschte die Nazi-Propaganda die jüdische Minderheit als lästige Konkurrenz auf. Nazis beschimpften sie unsäglich („Judensäue“, „Synagogenhunde“).
Auch gab es schon vereinzelte Übergriffe auf ihre Angehörigen und Einrichtungen, denen nicht entschieden entgegengetreten wurde. Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, bekamen seine Parteitruppen SA und SS freie Hand.
Da wurden im Februar 1933 Marktstände jüdischer Händler auf dem Dellplatz umgestoßen. Am 1. März beschloss der Stadtrat, keine Aufträge mehr an jüdische Firmen zu vergeben. Kurz danach gingen einzelne Fensterscheiben und Ladeneinrichtungen in Wanheimerort und Marxloh zu Bruch.
Am 11. März bezog die SA Posten vor fast allen jüdischen Geschäften mit Schildern wie „Kauft nicht bei Juden!“ Posten. Reichsweit organisiert war eine gleiche Kampagne am 1. April.
30 SS-Leute trieben am 23. März drei jüdische Gemeindevorsteher, denen man ihre Bärte abgeschnitten hatte, bis zum Stadttheater, wobei sie „Heil Hitler“ rufen mussten. Eine große Menschenmenge war dabei.
Jüdische Geschäftsleute mussten an Horten und Mannesmann abgeben
Dass die jüdische Minderheit weiter aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet wurde, dafür sorgten ab April 1933 ihr Berufsverbot im öffentlichen Dienst, später auch Beschränkungen bei der Zulassung zu freien Berufen und zum Studium. Viele ihrer Angehörigen wanderten daraufhin aus.
So gaben die Gebrüder Alsberg 1936 ihr Kaufhaus an der Beekstraße an den Kaufmann Helmut Horten ab. Die Hahnschen Werke gingen Anfang 1938 zum Bruchteil ihres Wertes an Mannesmann. Zu diesem Zeitpunkt zählte die jüdische Volksgruppe in der 430.000-Einwohner-Stadt nur noch 1400 Personen.
Reichspogromnacht in Duisburg: Mindestens 40 Geschäfte und 40 Wohnungen betroffen
28. Oktober 1938: Reichsweit werden 17.000 jüdische Flüchtlinge polnischer Herkunft aus ihren Wohnungen geholt und hinter der polnischen Grenze abgesetzt. In Duisburg sind 140 Personen betroffen. 100 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder gibt es ein Lager mit 8000 Insassen.
7. November: Weil auch seine Familie aus Hannover darunter ist, nimmt der 17-jährige Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris Rache und erschießt einen Diplomaten. Die NS-Propaganda macht daraus eine organisierte Aktion jüdischer Kreise.
9. November: Hauptsächlich Dortmunder SA-Männer begeben sich in Zivil nach Duisburg und suchen dort in kleineren Gruppen jüdische Geschäfte und Wohnungen auf, um sie zu demolieren.
Anweisung an die Polizei: „Hiergegen ist nicht einzuschreiten!“
10. November: Kurz nach Mitternacht wird die Duisburger Polizei von Düsseldorf aus darüber informiert. „Hiergegen ist nicht einzuschreiten!“. Die Polizei erhält Anweisung, nur Plünderungen zu unterbinden. Die Feuerwehr darf bloß einschreiten, damit Feuer nicht woanders übergreift.
Auch wird verfügt, viele möglichst Wohlhabende unter den Geschädigten festzunehmen, wie vor Ort in Gefängnissen eben Platz ist.
Es geht die Synagoge an der Junkernstraße in Stadtmitte ebenso in Flammen auf wie die in Ruhrort.
Mindestens 40 Geschäfte und 40 Wohnungen sind betroffen. Es gibt 60 Festnahmen und 37 Fälle von freiwilliger „Schutzhaft“.
11. November: Die gleichgeschaltete Lokalpresse berichtet: „In den frühen Morgenstunden des 10. November kam es zu spontanen Kundgebungen der Bevölkerung, die ihrer Empörung (über das Attentat von Paris) durch Zertrümmern der Fensterscheiben an Geschäften der Juden Luft machte. Maßgebend war hierbei der Wunsch, bald die letzten Vertreter dieses Volkes hier verschwinden zu sehen.“
Misshandelter Kaufmann stirbt, Duisburger Gefangene im KZ Dachau
12. November: Der Duisburger Generalanzeiger übernimmt die Veröffentlichung aus dem Völkischen Beobachter und berichtet, NS-Propagandaminister Joseph Goebbels weise die Lügen der Auslandspresse zurück, wonach es sich um organisierte Machenschaften handele.
Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring verfügt, dass Juden keinen Einzelhandel mehr betreiben beziehungsweise als Firmenleiter tätig werden dürfen. In Duisburg sind 130 Händler, 30 Versandhäuser und 29 Handwerksbetriebe betroffen.
13. November: In der „National-Zeitung“ als Organ der NSDAP wird Görings Verordnung als „Lösung der Judenfrage“ betitelt.
14. November: Der Duisburger Generalanzeiger zitiert Goebbels, bei den Juden handele es sich um „lästige Parasiten, die das deutsche Volk aussaugen“ würden. Die jetzt erlassenen Verordnungen stünden im Einklang mit dem Willen des Volkes.
15. November: Der Duisburger Generalanzeiger gibt Antworten von Goebbels in einem Interview mit der britischen Nachrichtenagentur Reuters wieder. Darin sagt Goebbels, dass von den Juden eine Milliarde Mark als Entschädigung für die entstandenen Kosten eingetrieben würde, diese würden ja über acht Milliarden Mark Vermögen verfügen. Es gehe nicht mehr länger an, dass in einem antijüdisch eingestellten Land ganze Straßenzüge von jüdischen Geschäften besetzt seien.
18. November: Der Kaufmann Ludwig Windmann vom Sonnenwall verstirbt an den am 10. November durch SA-Männer erlittenen Misshandlungen.
Männer des Inlandsgeheimdienstes Gestapo posieren in München für ein Gruppenbild. Sie haben Gefangene aus Duisburg im Konzentrationslager Dachau abgeliefert.