Duisburg. Einst wie auf St. Pauli: Diese herrlichen Dönekes hat eine Kneipen-Kiez-Tour durch Duisburg-Ruhrort zu bieten. Was aber Sorgen bereitet.

Frank Switala ist bestens vorbereitet, als er am Freitagabend die acht Teilnehmer der Kneipen-Kiez-Tour durch Duisburg-Ruhrort am Neumarkt begrüßt. Der freiberufliche Kulturführer hat jede Menge Informationen über den Hafenstadtteil im Kopf und die dazu passenden Fotos in der Umhängetasche.

Neue Tour- Auf den Spuren der Laternenanzünder durch RuhrortSwitala, der an diesem Abend für den Tour-Veranstalter „DU Tours“ im Einsatz ist, ist ein Insider. Da er früher oft seine in Ruhrort lebenden Großeltern besuchte, kennt er den in den 1960er-Jahren pulsierenden Hafenstadtteil aus erster Hand.

Früher 100 Kneipen in Duisburg-Ruhrort – jetzt nur noch fünf

Zur Einstimmung auf die Kneipen-Tour berichtet er, dass es in Ruhrort noch in den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren weit über 100 Kneipen gegeben hat. Kein Wunder, dass Ruhrort einst als das St. Pauli des Ruhrgebiets bezeichnet wurde.

Jetzt macht sich Switala Sorgen, wie lange die Tour durch die Kneipen Ruhrorts überhaupt noch möglich ist: „Fünf Kneipen sind noch übrig geblieben.“ Direkt am Neumarkt gibt es mit der Gaststätte „Zum Itze“ noch eine der alten Schiffer-Kneipen – und auch das erste Bierchen für die Gruppe.

Gerda Verbeck (83) führte die Schiffer-Kneipe „Zum Itze“ im Herzen Ruhrorts viele Jahre mit ihrem vor einigen Jahren verstorbenen Mann Friedrich. Sie lässt es sich nicht nehmen, das Geschehen in ihrer mit zahlreichen Accessoires aus der Binnenschifffahrt ausgestatteten Kneipe im Auge zu behalten.
Gerda Verbeck (83) führte die Schiffer-Kneipe „Zum Itze“ im Herzen Ruhrorts viele Jahre mit ihrem vor einigen Jahren verstorbenen Mann Friedrich. Sie lässt es sich nicht nehmen, das Geschehen in ihrer mit zahlreichen Accessoires aus der Binnenschifffahrt ausgestatteten Kneipe im Auge zu behalten. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Gerda Verbeck (83) lässt es sich nicht nehmen, das Geschehen in ihrer mit zahlreichen Accessoires aus der Binnenschifffahrt ausgestatteten Kneipe im Auge zu behalten. Sie führte die Kneipe im Herzen Ruhrorts viele Jahre mit ihrem vor einigen Jahren verstorbenen Mann Friedrich, in Duisburgs Sportszene eher bekannt unter dem Spitznamen „Itze“.

„Ich hab hier schon 1954 die Weltmeisterschaft geguckt“

Die Theke ist an diesem Abend gut besetzt, allerdings standen dort früher die Gäste in Dreier-Reihen, weiß Stammgast Egon Will zu berichten. „Ich hab hier schon 1954 die Weltmeisterschaft geguckt“, erinnert sich der 86-Jährige. Damals hieß die Gaststätte noch „Alt-Ruhrort“, war ein beliebter Treffpunkt, in dem es auch schon mal zur Sache ging.

Egon Will und Manfred Pankow unterhalten sich in der Ruhrorter Kneipe „Zum Itze“. Will (86) hat dort 1954 schon die Fußball-WM verfolgt.
Egon Will und Manfred Pankow unterhalten sich in der Ruhrorter Kneipe „Zum Itze“. Will (86) hat dort 1954 schon die Fußball-WM verfolgt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Wieso Egon Will immer noch so rüstig und vital wirkt? Seine Thekennachbarn antworten für ihn: „Das kommt allein vom Köpi...“ Darauf wird er auch in Zukunft so schnell nicht verzichten, denn: „Hier sind nette Leute, man kann sich prima unterhalten.“

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Die Tour geht weiter zu einem Ort, der sich zu seiner Blütezeit auch weit über Duisburg hinaus einen – eher zweifelhaften - Namen gemacht hat. Switala bleibt in der Fabrikstraße vor dem Haus mit der Nummer 8 stehen. Am heutigen schönen und gediegenen Bürgerhaus deutet nichts mehr darauf hin, dass sich dort – ausgerechnet zwischen der katholischen St. Maximilian-Kirche und der evangelischen Jakobuskirche – ein Vergnügungsort etabliert hatte, der wohl in jedem Hafen der Welt zu finden ist.

Pfarrer bezeichnete „Tante Olga“ als den „größte Puff der Welt“

Über das Treiben dort waren die Kirchenmänner überhaupt nicht „amused“. Ein Pfarrer bezeichnete das dort angesiedelte Etablissement mit dem Namen „Tante Olga“ als „größten Puff der Welt“. Auch wenn der Ruhrorter Amüsierbetrieb damit wohl überbewertet war: Ganz so beschaulich wie heute ging es seinerzeit auf der Fabrikstraße sicherlich nicht zu. Auch der junge Udo Lindenberg war während seiner Düsseldorfer Zeit dem Treiben in der Rotlicht-Bar nicht abgeneigt. Um Musik zu machen, soll er jedenfalls nicht nach Ruhrort gekommen sein.

Die vielen Kneipen in Ruhrort erfreuten zwar die Binnenschiffer und Hafenarbeiter, deren Ehefrauen waren sie aber eher ein Dorn im Auge. Immer wenn Zahltag war, wussten sie, wo ihre Männer – und das dringend benötigte Haushaltsgeld – zu finden waren.

Hinterausgang zur Flucht vor den Ehefrauen

Dazu Kneipentour-Führer Switala: „Beliebt bei den Männern waren die D-Zug-Kneipen. Die hatten einen Hinterausgang, der im Ernstfall bei anrückenden Ehefrauen zur Flucht genutzt wurde.“ Die Frauen ließen sich aber nicht lange an der Nase rumführen: „Die standen schnell auch an der Hintertür, um ihre trinkfreudigen Gatten abzufangen.“

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Reichlich Hafenatmosphäre gibt es auch noch in der „Taverne im Deutschen Haus“. Bei den Ruhrortern sind die Inhaber Michael und Gunda Scholz nur als „Mike und Maus“ bekannt. Das bürgerte sich auch bei den Filmteams schnell ein, die Ruhrort als attraktive Kulisse entdeckten. Schauspieler wie Schimanski-Darsteller Götz George und Klaus Löwitsch, der Boxer „Rocky“ Rocchigiani, Startenor Peter Hofmann oder auch Dressurreiterin Nicole Uphoff waren immer wieder gerne in der „Taverne“ zu Gast, waren mit den Wirtsleuten per Du.

Bewegte Zeiten

„Mike und Maus“ sorgten für das Catering am Set, haben viele Geschichten aus dieser Zeit zu erzählen. Gunda Scholz trauert diesen bewegten Zeiten nach: „Wir hatten einen florierenden Restaurantbetrieb.“ Corona war schon ein heftiger Einschnitt: „Seitdem ist nichts mehr wie früher.“

Was bleibt, sind die Erinnerungen. Wenn ihr Mann Michael erst mal ins Erzählen kommt, sprudeln immer neue Geschichten aus ihm heraus. Die Kneipentour-Gruppe genießt aber nicht nur seine Dönekes, sondern auch die leckeren hausgemachten Frikadellen, die schon „Schimmi“ gut geschmeckt haben.

Auf Kneipentour durch Ruhrort mit Frank Switala (2. von links): Die humorvollen Geschichten rund um den alten Hafenstadtteil kamen gut an.
Auf Kneipentour durch Ruhrort mit Frank Switala (2. von links): Die humorvollen Geschichten rund um den alten Hafenstadtteil kamen gut an. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Endstation auf der Runde durch Ruhrort ist die Kult-Kneipe „Zum Hübi“. Bei einem Absacker lassen die Teilnehmer in gemütlicher Runde noch einmal den Abend Revue passieren. Mittendrin ist auch Brigitte Buchholz. Ihr Fazit: „Ich kannte Ruhrort bisher nur von Spaziergängen an der Hafen-Promenade. Heute habe ich viel Neues gesehen und jede Menge Hintergrundwissen erfahren. Das war schon toll.“

Das sieht auch der Meidericher Detlef Brinner so: „Ich kenne Ruhrort eigentlich ganz gut. Die humorvollen Geschichten rund um den alten Hafenstadtteil kannte ich so aber noch nicht, die passten prima zu dem Rundgang.“

>> KNEIPEN-KIEZ-TOUREN DURCH DUISBURG-RUHRORT: DIE TERMINE FÜR 2023

  • 2023 soll es weitere Kneipen-Kiez-Touren des Veranstalters „Du Tours“ durch Ruhrort geben. Die Teilnahme kostet 35 Euro.
  • Die Termine: 3. März, 12. Mai, 30. Juni, 1. September, 20. Oktober und 10. November. Weitere Informationen gibt es online auf du-tours.de