Duisburg. Die Absage einer Kundgebung mit Sahra Wagenknecht wird zum Possenspiel: Warum Parteimitglieder der Linken in Duisburg Nazimethoden vorwerfen.

Die Duisburger Linke zerfleischt sich gerade selbst: Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye kämpft als Vertrauer Sahra Wagenknechts gegen den Duisburger Kreisvorstand, dessen Alt-Mitglieder wittern Nazi-Methoden und Wagenknecht selbst zieht sich mit einem Machtwort aus dem „Schmierentheater“ zurück.

Auslöser der Polit-Posse ist eine Veranstaltung, die am Montag auf der Facebook-Seite der Bundestagsfraktion Die Linke noch beworben wurde: Am 18. November sollte Sahra Wagenknecht zusammen mit Christian Leye bei einer Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz in Duisburg auftreten. „Genug ist genug!“ lautete das Motto, im Aufruf geht es um die krisenbedingte „Umverteilung von unten nach oben“, um Tankrabatt und 9-Euro-Ticket.

In Wagenknechts Terminkalender ist dieser Auftritt allerdings gestrichen, und die Kommunikation rund um die Duisburger Veranstaltung und die Absage leuchtet den tiefen Riss in der Partei mächtig aus.

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Die Linke: Christian Leye verärgert über „Durchstecherei an die Presse“

Wir erwischen Christian Leye in Berlin, es ist Sitzungswoche. Er berichtet, dass er in einer Mail die beiden Kreisvorsitzenden Matthias Brachvogel und Helena Hayer um eine Einschätzung gebeten habe, weil er innerparteilichen Unmut beobachtete.

Er glaubt dennoch, dass sich viele Mitglieder auf Wagenknechts Besuch gefreut hätten, „sie wollten die Veranstaltung“. Sie hätten darin eine Chance gesehen zur Debatte, zu etwas, das einem „heißen Herbst“ zumindest nahekomme. Aus linker Sicht lasse der auf sich warten, „als Linke dringen wir kaum durch“. Es sei unstrittig, dass er Frau Wagenknecht politisch nahestehe, ihre ablehnende Haltung zum „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ sei sachlich richtig. „Die Gesellschaft ist tief gespalten, wer kann sich die Folgen von zehn Prozent Inflation denn leisten?“, fragt der Linken-Politiker. Er ist hörbar verärgert und betont, dass er lieber mit einer großen Veranstaltung in den Medien gestanden hätte als mit so einer „Durchstecherei an die Presse“.

Duisburger Linke erteilten Wagenknecht schon 2021 eine Absage

Matthias Brachvogel, Kreissprecher der Linken, erklärt schriftlich, dass die Fronten schon im Vorfeld „verhärtet“ waren. Bereits 2021 hatte ein Auftritt von Sahra Wagenknecht Die Linke in Duisburg strapaziert, bei einer Mitgliederversammlung votierte damals die Mehrheit gegen eine Kundgebung mit der prominenten Politikerin.

Aus Sicht der Duisburger Kreisgruppe hat Leye, wider besseren Wissens, die Veranstaltung aus Berlin heraus organisiert und dann vom lokalen Vorstand nicht mehr als die Selbstverpflichtung bekommen, dass man der Kundgebung „keine Steine in den Weg“ legen werde.

Auch diesmal gab es gleich nach den ersten Ankündigungen teils heftige Reaktionen, in internen Whatsapp-Gruppen und öffentlich in den sozialen Netzwerken. Während die einen empfahlen, Wagenknecht könne am besten gleich auf dem Roten Platz in Moskau ihre Reden halten und müsse aus der Partei ausgeschlossen werden, bezeichneten andere sie als einzig wahre Linke und Wahlgrund für die Partei.

Christian Leye hat 2021 im Nord-Wahlkreis Duisburg II (116) zur Wahl für den Deutschen Bundestag kandidiert. Trotz des schlechten Abschneidens rutschte er über den Listenplatz nach Berlin.
Christian Leye hat 2021 im Nord-Wahlkreis Duisburg II (116) zur Wahl für den Deutschen Bundestag kandidiert. Trotz des schlechten Abschneidens rutschte er über den Listenplatz nach Berlin. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Demotivierte, frustrierte und kaum mehr mobilisierbare Mitglieder“

Daraufhin habe Christian Leye den Kreisvorstand angeschrieben und „uns unterm Strich gebeten“, zu entscheiden, ob die Kundgebung stattfinden soll, schreibt Brachvogel. Man habe dies jedoch der Bundestagsfraktion als Veranstalter überlassen wollen und teilte dies Leye mit.

„Wirklich niemand im Kreisvorstand hat die Motivation die Energie und die Kraft wie im Jahr 2021 die Situation weiter eskalieren zu lassen und den Kreisverband noch mehr zu schwächen, als es aufgrund der vielen Streitigkeiten sowieso schon der Fall war und ist“, schrieben die Genossen vom Rhein an die Spree. Vor allem wollten sie nicht zum Sündenbock gemacht werden: „Christian Leye wollte diese Kundgebung.“

Die Korrespondenz liegt dieser Zeitung vor und zeichnet vom Duisburger Ortsverband ein Bild des Jammers: Es gehe um eine „maximale Schadensbegrenzung für die gesamte Partei und ihre ohnehin schon demotivierten, frustrierten und kaum mehr mobilisierbaren Mitglieder“, so Brachvogel und Co-Sprecherin Helena Hayer.

Nazi-Methoden? Alt-Linke sehen Unterdrückung von Meinungsfreiheit

Damit nicht genug: In einem offenen Brief fordern jetzt Duisburger Gründungsmitglieder der Linken, darunter der ehemalige Verdi-Geschäftsführer Thomas Keuer, dass der Kreisvorstand „zu den Grundsätzen von Meinungsfreiheit und Demokratie zurückkehren“ möge. Sie bezeichnen die Absage an Wagenknecht als ein „Auftritts- und Redeverbot“ und damit eine „Unterdrückung von Meinungsfreiheit“, wie man sie sonst nur bei Rechtsradikalen kenne.

Matthias Brachvogel ist Kreissprecher für Die Linke in Duisburg.
Matthias Brachvogel ist Kreissprecher für Die Linke in Duisburg.

„Die Wortwahl und den Stil der sogenannten Gründungsmitglieder kann ich nur entschieden zurückweisen“, sagt Brachvogel. Mit keiner Silbe habe der Kreisvorstand ein „Auftritts- und Redeverbot der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht, die uns als Kreisvorstand mit Nazi-Methoden in Zusammenhang bringt, erwähnt, sondern lediglich im Rahmen der Meinungsfreiheit unsere Kritik geäußert“. Die Entscheidung zur Absage habe am Ende Sahra Wagenknecht allein getroffen.

Spitzenpolitikerin mit hoher Strahlkraft

Einen anderen Spitzenpolitiker mit vergleichbarer Strahlkraft sieht Leye derzeit nicht in seiner Partei, deshalb hätte er Wagenknecht gern nach Duisburg geholt. „In der Bevölkerung ist ihre Zustimmung signifikant nach oben gegangen und das hätte ich gern auch nach außen vertreten.“ In dieser Krise, in der „die Regierung ihren Job nicht macht, braucht es jemanden, der auf den Tisch haut und Forderungen erhebt“. Das innerparteiliche Debattieren über Außenwirkung sei da wenig hilfreich.

>> LINKES WAGENKNECHT-LAGER

  • Christian Leye hatte von 2014 bis 2021 für Sahra Wagenknecht in deren Wahlkreisbüro in Düsseldorf gearbeitet und parallel zum eigenen Bundestagswahlkampf auch den seiner Chefin organisiert. Am Ende landeten beide über Listenplätze im Bundestag, während die Partei selbst nicht über die 5-Prozent-Hürde kam.
  • Der Umgang mit Russland entzweit die Partei bereits seit Ende Februar: Bundestagsabgeordnete um die ehemalige Fraktionsvorsitzende Wagenknecht hatten eine gemeinsame Erklärung abgegeben – und daran nicht nur den „völkerrechtswidrigen Krieg“ Russlands verurteilt, sondern auch angeblich „ebenfalls völkerrechtswidrige Handlungen der NATO“. Auch Ex-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte das linke Wagenknecht-Lager. Diesem werden auch Christian Leye, Ex-Parteichef Klaus Ernst und die gebürtige Duisburgerin Sevim Dagdelen zugerechnet.
  • Nach einem aktuellen Bericht des Spiegel hat Sahra Wagenknecht im Streit mit der NRW-Linken nun auch das Wahlkreisbüro in Düsseldorf gekündigt.
  • Ihr Vertrauer Leye hatte beim Landesparteitag vor einer Woche erklärt, dass er wie viele der ausgeschiedenen Landesvorstandsmitglieder eine „Aufkündigung des innerparteilichen Pluralismus“ beobachte. Der neue Landesvorstand bestehe aus Mitgliedern, die sich an Kampagnen beteiligt hätten.

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