Duisburg. Ein Hund beißt 2015 ein Kind (2) fast zu Tode. Wie es der Duisburgerin heute nach 29 Operationen geht. Wie die Familie um Schadenersatz kämpft.

  • Ein Rottweiler beißt im Juli 2015 in Duisburg-Neuenkamp ein damals zwei Jahre altes Kind fast zu Tode.
  • Das Mädchen ist 29 Mal operiert worden.
  • Die gesamte Familie leidet bis heute unter den Folgen der Hunde-Attacke und kämpft um die Höhe der Schadenersatzzahlungen.

Von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. „Der 6. Juli 2015 ist der Tag, an dem unser Leben zerstört wurde“, sagt Jaqueline Salcan (32). Es ist der Tag, an dem ein Rottweiler ihre damals zwei Jahre alte Tochter Dilek (Name von der Redaktion geändert) am Rheinufer in Duisburg-Neuenkamp lebensgefährlich verletzt. Der Hund namens „Pascha“ reißt ihr fast die gesamte Kopfhaut mit Haaren ab und zerfetzt das linke Ohr – direkt neben der Halsschlagader.

Auch interessant

Über sieben Jahre ist das mittlerweile her. Das Strafverfahren ist längst abgeschlossen. Das Amtsgericht in Duisburg verurteilt die Hundehalterin und die Frau, die mit dem Rottweiler damals verbotenerweise ohne Maulkorb und unangeleint Gassi ging, im Mai 2016 zu Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Körperverletzung. Ein halbes Jahr zuvor war „Pascha“ bereits eingeschläfert worden. Doch die Familie Salcan aus Neuenkamp kämpft bis heute noch um die Höhe der Schadenersatzzahlungen und vor allem mit den schwerwiegenden Folgen der Hunde-Attacke.

Nach Rottweiler-Attacke in Duisburg: Dilek (2) kämpft 2015 um ihr Leben

Die kleine Dilek kämpft im Juli 2015 drei Wochen lang auf der Intensivstation der Sana-Kliniken um ihr Leben – mit Erfolg. Allerdings muss sie insgesamt vier Monate lang im Krankenhaus bleiben, wird allein in der Zeit 27 Mal operiert und bekommt Haut vom Rücken auf den Kopf transplantiert.

Ihre Haare können aber nicht nachwachsen. 2017 folgen deshalb zwei weitere Operationen – auch, um „die betonharte Kopfhaut, die sich immer wieder entzündet“, wie Mutter Jaqueline Salcan erklärt, dehnbarer zu machen. Die Versuche scheitern. „Und die Schmerzen waren nach jeder einzelnen OP unfassbar.“

Mutter schreibt 17 Ärzte an – auch im Ausland

Bis heute hat die 32-Jährige nach eigenen Angaben 17 Ärzte, in Deutschland, Österreich, Belgien und in der Türkei, angeschrieben. Und bis heute gibt sie die Hoffnung in die Forschung nicht auf, damit ihre Tochter irgendwann keine Perücke mehr braucht.

„Früher hat meine Tochter ein Kopftuch getragen“, erzählt die Mutter. „Ein Junge hat es hier aber auf dem Schulhof mal weggerissen. Sie ist ausgelacht worden. Zum Glück hat sie seit der Kita vier Freundinnen, die immer zu ihr halten und die sie nehmen, wie sie ist.“

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Die Bissspuren in Dileks Gesicht sind zum Glück verheilt, ihr Ohr ist soweit wiederhergestellt, der Gehörgang allerdings verschoben. Hörprobleme habe die mittlerweile Neunjährige aktuell nicht. „Das ist für die Zukunft aber nicht auszuschließen“, sagt Jaqueline Salcan.

Angst vor großen Hunden

Offensichtlich seien zudem die psychischen Folgen des Angriffs. „Bis Anfang des Jahres war sie noch in Therapie“, erzählt die Mutter. Dilek sei sehr in sich gekehrt, sehr schüchtern – vor allem gegenüber Fremden. „Und wenn sie einen großen Hund sieht, reagiert sie immer noch hysterisch.“

Vater Yilmaz ist seit jenem Juli-Tag im Jahr 2015 ein gebrochener Mann. Seinen Sohn, den der Rottweiler damals zuerst angegriffen hatte, konnte er beschützen. Civan (Name von der Redaktion geändert), mittlerweile elf Jahre alt, kam mit Kratzspuren am Rücken davon. Doch bei der Attacke auf Dilek war der heute 37-Jährige macht- und hilflos.

Vater plagen Schuldgefühle und Alpträume

Der frühere Einzelhandelskaufmann kann seitdem nicht mehr arbeiten, ist bereits in Rente. Bis heute plagen ihn Schuldgefühle und Alpträume. Ohne Antidepressiva und weitere Medikamente, sagt seine Frau, komme er nicht durch den Tag.

Die vergangenen Jahre seien auch für die Ehe eine extreme Belastungsprobe gewesen. „Wir standen kurz vor der Trennung, haben uns aber wieder zusammengerauft – auch wegen der Kinder“, sagt Jaqueline Salcan.

Panikattacken und Einnahme von Antidepressiva

Die ehemalige Supermarkt-Verkäuferin habe „irgendwie funktioniert“, aber zumindest bis März 2019 nicht arbeiten können. Dann beginnt sie eine Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin, die sie trotz wenige Monate später einsetzender Panikattacken und der Einnahme von Antidepressiva abschließt. „Ich bin mittlerweile in Teilzeit tätig – bei einem Arbeitgeber, der viel Verständnis hat.“

Aktuell muss die Familie einen weiteren Kampf ausfechten. Vor der zweiten Zivilkammer des Landgerichts Duisburg geht es um weiteren finanziellen Schadenersatz. Nach Angaben des Landgerichtssprechers Henning Bierhaus sei bisher insgesamt ein niedriger sechsstelliger Betrag an Jaqueline, Yilmaz und vor allem Dilek Salcan gezahlt worden, die nun in drei einzelnen Verfahren ihre Forderungen darüber hinaus geltend machen.

Zivilprozess: Kampf um die Höhe des Schadenersatz

„Die bisherige Summe deckt zum Beispiel noch lange nicht die bisherigen Verdienstausfälle und auch nicht die künftigen bei meinem Mann“, sagt die 32-Jährige. „Außerdem möchten wir neben weiterem Schmerzensgeld eine monatliche Rente in Höhe von 250 Euro für meine Tochter.“ Dabei wird das Gericht auch die Gutachten einer Sachverständigen bewerten.

Ein Bild von Ende Februar 2016: Jaqueline und Yilmaz Salcan, sichtlich gezeichnet, bei der Eröffnung der Hauptverhandlung im Strafverfahren am Amtsgericht Duisburg um die Attacke des Rottweilers „Pascha“. Unter den Folgen leidet Tochter Dilek und die gesamte Familie noch heute.
Ein Bild von Ende Februar 2016: Jaqueline und Yilmaz Salcan, sichtlich gezeichnet, bei der Eröffnung der Hauptverhandlung im Strafverfahren am Amtsgericht Duisburg um die Attacke des Rottweilers „Pascha“. Unter den Folgen leidet Tochter Dilek und die gesamte Familie noch heute. © Lars Heidrich

Nach einem ersten Termin vor der zweiten Zivilkammer ist nun klar, dass die vorsitzende Richterin eine Entscheidung im Verfahren, das Dilek betrifft, am 20. Dezember 2022 verkünden will. Dies teilte Kai Seibel, Anwalt der Familie Salcan, auf Nachfrage der Redaktion mit. In den Verfahren, die die Mutter und den Vater betreffen, zeichne sich ein Vergleich ab.

„Wir wollen zumindest in dieser Angelegenheit nach sieben Jahren endlich einen Abschluss“, stellt Jaqueline Salcan klar. Wütend sei sie auf die Hundehalterin und die Gassi-Geherin nicht mehr. „Das bringt mir ja nichts“, sagt die Duisburgerin. „Ich bin allerdings enttäuscht, dass sich beide bisher persönlich nicht bei uns gemeldet und entschuldigt haben.“

>> HUNDEHALTERIN IN PRIVATINSOLVENZ

  • Das Verfahren gegen die Hundehalterin ist nach Angaben des Landgerichtssprechers Hennig Bierhaus aktuell aufgrund einer Privatinsolvenz ausgesetzt, könnte aber wieder eröffnet werden.
  • Ansprüche machen die Salcans ohnehin gleichermaßen ihr und der Gassi-Geherin gegenüber als Gesamtschuldnerinnen geltend. Das bedeutet: „Wenn das Gericht zu einer gesamtschuldnerischen Verurteilung kommt und weitere Schadenersatzzahlungen festlegt, kann die Familie entscheiden, von wem sie diese einfordert“, so Bierhaus.