Duisburg. Deutscher Strompreis-Rekord in Duisburg? Die Stadtwerke schneiden bei einigen Preisvergleichen katastrophal ab. Was daran stimmt – und was nicht.
Die Empörung über horrende Strompreise in Duisburg verbreitete sich nach einigen Presseberichten ab der zweiten September-Hälfte in Internetforen und sozialen Netzwerken. „Strompreisexplosion in Duisburg“, titelte etwa die renommierte Wirtschaftswoche. Und laut Express knackte „Duisburg“ sogar den „deutschen Rekord“: Hier würden „die Menschen“ für 3500 Kilowattstunden (kWh) Strom „mit durchschnittlich 2761 Euro pro Jahr am meisten für die Elektrizität“ zahlen. Stimmt das?
So viel vorweg: nein. Tatsächlich wird kein einziger Kunde der Stadtwerke Duisburg (SWDU) diesen Jahrespreis für 3500 kWh Strom zahlen – ganz unabhängig davon, wie die noch nicht ausgestaltete staatliche „Energiepreisbremse“ Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten wird. Wir erklären, warum auch dieser vielzitierte Strompreisvergleich aufgrund falscher Hochrechnungen beidbeinig hinkt.
Strompreise in Duisburg: Ab 1.11. zahlen alle Kunden in der Grundversorgung dasselbe
Wirtschaftswoche und Express bezogen sich mit ihren Berichten auf das Portal stromauskunft.de. Die Betreiber analysieren nach eigenen Angaben täglich die Strompreise für Neuverträge in mehr als 6300 Städten in ganz Deutschland. Grundlage sei „die Tarifdatenbank von Verivox“, sagt Stromauskunft-Geschäftsführer Jörg Heidjann auf Nachfrage.
Das Ergebnis einer solchen, automatisch generierten Momentaufnahme im September: Nach den Berechnungen des Portals lag der aktuelle Strompreis für Neuverträge in der Grundversorgung im bundesweiten Durchschnitt bei 38,20 Cent/kWh und beim Duisburger Grundversorger bei 75,26 ct/kWh (hier und im Weiteren: Bruttopreise). Dieser Arbeitspreis von 75,26 ct/kWh ist tatsächlich der höchste bundesweit, und auch aktuelle Vergleiche der Verbraucherzentrale attestieren den Stadtwerken dafür den NRW-Höchstwert.
Was naturgemäß meist unerwähnt bleibt: Zu den Stichtagen zahlten (– und zahlen noch bis zum 31. Oktober) mehr als 90 Prozent der Stadtwerke-Stromkunden in einem Grundversorgungstarif einen Arbeitspreis von lediglich 26,51 Cent/kWh. Zur Einordnung: Etwa die Hälfte seiner Stromkunden werde über einen der beiden Grundversorgungstarife beliefert, erklärt das kommunale Unternehmen.
Hochrechnung auf Jahrespreis weit an der Realität vorbei
Der rekordverdächtige Extrem-Arbeitspreis von 75,26 ct/kWh gilt also für weniger als zehn Prozent der grundversorgten Stadtwerke-Stromkunden und – noch entscheidender – für diese auch nur vom 1. September bis zum 30. Oktober 2022. Darum kann man allein damit gar keinen echten Preis für eine zwölfmonatige Belieferung berechnen.
Denn 75,26 ct/kWh zahlen ausschließlich Kunden im Tarif „Partner Strom Basic“. Diesen schaffen die Stadtwerke jedoch zum ersten Elften ab – wie gesetzlich vorgeschrieben. Dann wechseln alle „Neukunden“ in den fortan für Bestands- und Neukunden gleichermaßen geltenden Grundversorgungstarif „Partner Strom Classic“. Darin werden auch Neukunden ab dem 1.11, einen Arbeitspreis von 33,74 ct/kWh zahlen (– wenngleich zurzeit unklar ist, was aus Verbraucherpreisen wie diesen überhaupt wird, wenn der Staat die Energiepreisbremse aktiviert).
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Neukunden zahlen 1200 Euro weniger als der Vergleich behauptet
Zurück zum kursierenden Jahreskosten-Vergleich: „Neukunden“ in der Grundversorgung zahlen die horrenden 75,26 ct/kWh also maximal zwei Monate lang, danach 33,74 ct/kWh. Aufs Jahr gerechnet ergibt sich für sie im zitierten Rechenbeispiel eines Jahresverbrauchs von 3500 kWh so statt 2761 Euro (Arbeitspreis: 72,26 ct/kWh; Grundpreis: 126,59 €/Jahr) ein Jahrespreis von rund 1577 Euro (davon zehn Monate zum Arbeitspreis 33,74 ct/kWh und zum Grundpreis 159,51 €/Jahr). Die fahrlässige Hochrechnung aufs Jahr liegt also fast 1200 Euro daneben.
Eine weitere Auffälligkeit am anderen Ende der Skala: Der Strom in der Grundversorgung für Neukunden der Stadtwerke Bochum soll besonders günstig gewesen sein (Jahrespreis für 3500 kWh laut Express.de: 1035 Euro). Dabei ergeben sich zumindest auf der Grundlage der seit Juli für Neukunden gültigen Strompreise in Bochum (Arbeitspreis: 53,48 ct/kWh; Grundpreis: 144,72 €/Jahr) hochgerechnet etwa 2016 Euro/Jahr. Eine ebenfalls beachtliche Differenz.
Stadtwerke: Vergleiche vermitteln „falsches Bild“
Die Stadtwerke selbst stehen Vergleichen lokaler Strom- und Erdgaspreise grundsätzlich kritisch gegenüber. Dabei komme es „leider häufig vor, dass unterschiedliche Tarifstrukturen ins Verhältnis gesetzt werden“, sagt Sprecher Felix zur Nieden. Solche Preisvergleiche vermittelten „ein falsches Bild“.
Zudem seien lokale Tarife wegen jeweils unterschiedlicher Versorgungsaufwände, Infrastrukturkosten und Konzessionsabgaben, auf die Versorger keinen Einfluss hätten, kaum vergleichbar. „Die Gegebenheiten sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich“, so zur Nieden. In Duisburg etwa, gibt er ein Beispiel, seien die Netzkosten wegen der natürlichen Barrieren Rhein und Ruhr und auch wegen „veränderter Nutzung industrieller Kunden“ höher. Die Konzessionsabgabe ist eine Gebühr, die Städte und Kreise von Energieversorgern erheben; Versorger geben diese direkt an die Verbraucher weiter. Eine weitere Ursache für Preisunterschiede sind unterschiedliche Wettbewerbssituationen in den örtlich begrenzten Märkten.
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Dabei gehen die Stadtwerke Duisburg in der aktuellen Ausnahmesituation – anders als die meiste Zeit in den Jahren vor der Multi-Krise – aus einem entscheidenden Vergleich als „Sieger“ hervor: Ihr Grundversorgungstarif ist im Preisvergleich aller Anbieter im Strom- und Gasmarkt in Duisburg der mit Abstand günstigste Tarif. Das ändert sich auch mit dem neuen Grundversorgungstarif ab November nicht.
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Verbraucherschützen kritisierten Benachteiligung von Neukunden
Gleichwohl kritisierte die Verbraucherzentrale auch die Stadtwerke in den vergangenen Monaten wegen ihrer Preisstrategie und der Benachteiligung der Neukunden. Denn von dieser Minderheit verlangte die Stadttochter seit Mitte Dezember 2021 viel höhere Preise als von ihren Bestandskunden. Den zweiten Grundversorgungstarif („Partner Strom Basic“) hatten die Stadtwerke als Reaktion auf die Energiemarkt-Krise wie viele Grundversorger ausschließlich für Neukunden eingeführt. Es handelte sich um einen Grund- und Ersatzversorgungstarif, der auch für alle Kunden galt, denen kriselnde Anbieter gekündigt hatten. Für mehrere tausend Haushalte müssen die Stadtwerke seither kurzfristig Energie nachkaufen – trotz explodierender Einkaufspreise (wir berichteten).
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Diese Beschaffungsmehrkosten wälzen die Stadtwerke bis November noch auf Neukunden ab: Anfangs kassierten sie im Neukunden-Tarif einen Arbeitspreis von 53,64 ct/kWh (ab 1. April: 49,90; ab 1. Juni: 57,47; ab 1. Juli: 53,04), seit 1. September 75,26 ct/kWh. So wollten die Stadtwerke die „Preise für Bestandskunden, die seit vielen Jahren dem Unternehmen die Treue halten, stabil halten“. Andernorts hatten Grundversorger die Preise für Bestandskunden früher erhöht, im Gegenzug zahlten dort Neukunden weniger als in Duisburg.
Mit der neuen Preisgestaltung passen die Stadtwerke ihre Tarifstruktur zum spätestmöglichen Zeitpunkt an die neuen gesetzlichen Vorgaben (§ 36 Energiewirtschaftsgesetz) an: Bis zum 1. November müssen die Grundversorgungstarife für Neu- und Bestandskunden bei Strom und Gas zusammengeführt werden.