Duisburg/Berlin. Seit Oktober ist Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Amt. Eine Schonfrist gab’s für sie nicht. So hat die Duisburgerin die ersten Monate erlebt.
Vor neun Monaten, am 26. Oktober 2021, wurde Bärbel Bas zur Bundestagspräsidentin gewählt. Anders, als bei einer frisch gewählten Regierung, gab’s für sie im zweithöchsten Amt des Staates keine Schonfrist. Sie musste schnell schwierige Sitzungen zur Corona-Politik leiten und dann brach der Krieg in der Ukraine aus.
Manchmal muss sich die 54-Jährige heute noch selbst zwicken, dass sie es so weit geschafft hat. Sie, die ehemalige Hauptschülerin, die sich zur Personalleiterin bei einer gesetzlichen Krankenkasse hocharbeitete und 2009 das erste Mal in den Bundestag einzog. Für viele Duisburger ist und bleibt sie „Bärbel“ — in Berlin hat sie ihre Rolle als „Präsidentin“ gefunden.
Duisburgerin war Überraschungskandidatin für den Posten der Bundestagspräsidentin
Dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sie fragte, war für viele eine Überraschung. Am meisten für sie. Mützenich hätte den Posten selbst gern gehabt, doch dieser sollte unbedingt an eine Frau gehen. Das Bärbel Bas, bis dato profilierte Gesundheitspolitikerin, ohne lange nachzudenken „Ja“ sagte, hat im Übrigen auch etwas mit einem Schwur zu tun, den sie kurz zuvor mit einer Freundin und Genossin geschlossen hatte. Beide hatten die Dokumentation „Die Unbeugsamen“ geschaut. Der Film porträtiert Frauen, die zu Zeiten der Bonner Republik Politik machten und die sich ihren Erfolg erst erkämpfen mussten. „Wenn eine von uns als nächste einen Posten angeboten bekommt, dann sagen wir ‚Ja‘“, schworen sie sich.
Ein paar Tage später lief ihr Name über den Ticker: „Bärbel Bas wird Bundestagspräsidentin.“„Ich wusste es ja schon länger, aber ich durfte nichts sagen.“ Sogar ihre engsten Freunde oder der Vater waren nicht eingeweiht. Nachdem die Nachricht raus war, gab’s Nachrichten und Glückwünsche von allen Seiten. „Als erstes habe ich dann meinen Vater angerufen. Aber der meinte nur: ,Weiß ich doch schon. Die rufen ja hier den ganzen Vormittag an.‘“ Verärgert war er nicht, aber was das Amt bedeutet, konnte er es sich auch nicht vorstellen. Aber das ahnte ja noch nicht mal Bärbel Bas selbst.
„Ich habe natürlich mitbekommen, wie man eine Sitzung leitet und hatte als Parlamentarische Geschäftsführerin das politische Tagesgeschäft ja schon für die Fraktion vorbereitet. Aber dass man als Bundestagspräsidentin auch viele Reisen unternimmt, war mir nicht klar.“ Die SPD-Frau war eine der ersten deutschen Politikerinnen und Politiker, die in die Ukraine fuhr.
Bas reiste als eine der ersten deutschen Politikerinnen und Politiker nach Kiew: Schlaflose Nächte
„Es war das erste Mal, dass ich in ein Kriegsgebiet gefahren bin. Schlafen konnte ich nicht.“ Sie lag wach, achtete auf jedes Geräusch. Außerdem machte sie sich Gedanken über ihren Auftritt. Das Protokoll hatte sie gut auf diesen historischen Termin vorbereitet, außerdem hatte sie im Vorfeld mit ihrem ukrainischen Kollegen, dem Parlamentschef Ruslan Stefantschuk, telefoniert. „Mir ist klar, dass ich dort nicht als Bärbel bin, sondern Deutschland repräsentiere.“ Als sie sich das erste Mal sahen, war das Protokoll dennoch kurzzeitig vergessen. „Er sah mich und fragte direkt, ob er mich umarmen dürfe. Das war eine tolle Geste und es war sofort eine persönliche Ebene da.“
Als Stefantschuk Anfang Juni zum Gegenbesuch nach Berlin kam, hatte er ein besonderes Gastgeschenk dabei. Er hatte sich gemerkt, dass sie Fußball-Fan ist und überreichte ihr einen Ball, unterschrieben von allen Spielern der ukrainischen Nationalmannschaft. Das speziell gefertigte Ukraine-Trikot mit der Rückennummer 28 spielte natürlich auf den Wunsch seines Heimatlandes an, EU-Beitrittskandidat und somit das 28. Land in der Europäischen Union zu werden. Beides hat einen Ehrenplatz in ihrem Büro bekommen.
Fußball, so ihre Erfahrung, ist sowieso ein guter „Eisbrecher“. Als stolze Vertreterin des Ruhrpotts wird sie oft gefragt: „Schalke oder BVB?“ Dann zieht sie sich mit der Antwort „MSV“ elegant aus der Affäre: „Momentan erntet man dann aber mitleidige Blicke.“ Macht nix, sie steht zu ihren Zebras.
In ihrer Freizeit fährt sie Harley und geht zum MSV – Zeit für Selfies nimmt sie sich
Zum Glück kann sie sich solche Hobbys ebenso erhalten wie das Harley-Fahren. „Unter Motorradfahrern bin ich noch nicht groß erkannt worden.“ Als sie neulich mit ihrer Maschine liegen blieb, hielten auch so einige andere an und wollten wissen, wie sie helfen können. Anders ist es, wenn sie mal mit einer Gruppe die Kuppel des Bundestags besucht. Dann dauert es nicht lange und die Leute wollen Selfies mit ihr. „Es kommen aber auch immer noch klassische Autogramm-Anfragen.“ Bärbel Bas nimmt sich die Zeit, so lange, bis der nächste Termin wartet.
Ihre direkte Sprache, darunter gerne mal ein „Hömma“, kommen bei den Leuten gut an. „Als ich ins Amt gewählt wurde und keinen Hehl daraus gemacht habe, dass ich aus Duisburg bin, haben sich ganz viele Leute geoutet, dass sie auch Verbindungen ins Ruhrgebiet oder nach Duisburg haben.“ Für Viele, die mit Duisburg sonst nur Marxloh, Schießereien oder die Loveparade verbinden, ist sie offenbar die personifizierte positive Nachricht. Eine ihrer Botschaften ist deshalb: „Duisburg und das Ruhrgebiet werden unterschätzt.“
Als sie sich neulich ins Goldene Buch der Stadt Duisburg eintrug, verewigte sie sich denn auch nicht nur mit ihrer Unterschrift, sondern mit einem geflügelten Wort: „Berlin kann jeder, Duisburg muss man wollen. Ich will.“