Duisburg. Fünf Clearingstellen in NRW helfen seit sechs Jahren Menschen ohne Krankenversicherung. Warum das Land das Projekt nur noch kurz fördern will.
Wer Zahnschmerzen hat, einen dicken Fuß oder Hautausschlag, der geht zum Arzt. Menschen ohne Krankenversicherung können sich nicht ohne weiteres behandeln lassen. Um ihnen zu helfen, sie in eine Behandlung und nach Möglichkeit auch in eine Versicherung zu vermitteln, gibt es die Clearingstelle der Awo-Integration in Duisburg sowie vier weitere in NRW.
Der Fortbestand der Einrichtungen ist nun aber nur noch für sechs Monate gesichert, für diesen Zeitraum hat das Land die Finanzierung zugesagt.
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Clearingstellen werden vom Land NRW gefördert
Seit 2016 fördert das Land die Clearingstelle für Menschen ohne oder mit ungeklärtem Krankenversicherungsschutz. Zu den Hilfesuchenden gehören überwiegend Zuwanderer aus Südosteuropa, aber auch deutsche Staatsbürger, die etwa wegen Beitragsrückständen nicht krankenversichert sind. Der zweite Förderzeitraum läuft im Herbst 2022 aus, 600.000 Euro standen in den vergangenen drei Jahren zur Verfügung, zehn Prozent muss der Träger selbst finanzieren.
Bei der letzten Bewilligung hatte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann noch betont, wie wichtig alle fünf Clearingstellen im Land sind – neben Duisburg gibt es sie in Dortmund, Köln, Münster und Gelsenkirchen: „Die Arbeit vor Ort hat sich bewährt und als sinnvolle Ergänzung der bestehenden Beratungslandschaft etabliert – auch für die Kommunen im Umland“.
2019 übergab Laumann den Förderbescheid persönlich und stellvertretend in Dortmund. „Ich bin froh, dass das Expertenwissen an allen Standorten auch über die nächsten Jahre erhalten bleibt“, sagte er.
Ministerium: Neues Konzept zur Beratung von Menschen ohne Versicherungsschutz
Wie das gelingen soll, wenn es für die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lediglich für sechs weitere Monate eine sichere berufliche Perspektive gibt, ist das Geheimnis des Gesundheits- und Sozialministeriums (MAGS). Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin, dass in den kommenden Monaten gemeinsam mit den Trägern und Kommunen „sinnvolle Entwicklungsbedarfe“ ermittelt sowie mögliche alternative Finanzierungsmodelle entwickelt werden sollen.
Entscheidend für die kurze Bewilligung sei letztlich gewesen, dass dem neu gewählten Landtag als Haushaltsgesetzgeber grundsätzliche Entscheidungen ermöglicht werden sollten. Laut Koalitionsvereinbarung sollen „bestehende Beratungsangebote der Clearingstellen zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen aus Nicht-EU-Ländern ohne Papiere oder Versicherungsschutz verstetigt und unter Einbeziehung virtueller Instrumente das Know-how in die Fläche gebracht werden“, zitiert die Sprecherin. Das MAGS werde hierzu ein Konzept erarbeiten.
Duisburger Träger Awo-Integration sorgt sich um Kontinuität bei den Mitarbeitern
Dirk Franke, Geschäftsführer der Awo-Integration in Duisburg, sagt, dass die Situation für ihn als Träger schwierig sei, denn „im April stehen wir wieder im Regen“. Zumal die Probleme in einem halben Jahr weder weg noch gelöst seien. Die zeitlich begrenzte Finanzierung sieht er kritisch: „Wir verlieren dadurch Mitarbeiter.“
Menschen, die sich unversichert nicht zum Arzt trauen, landen häufig als Notfall in Kliniken, berichtet Franke. Eine schlechte medizinische Versorgung im Frühstadium verschiedener Erkrankungen führe zu höheren Folgekosten. Eine unbehandelte Diabetes-Erkrankung könne etwa zur Erblindung führen, Amputationen erfordern und eine lebenslange Versorgung zur Folge haben. „Das Investment in die Clearingstellen spart ein Vielfaches in der medizinischen Versorgung“, so Franke.
Seit Bestehen des Angebots konnte für 2000 Menschen die gesundheitliche Versorgung geklärt werden. Neben den Beratungsangeboten in Hochfeld und Marxloh sind die Mitarbeiter auch in der Malteser-Ambulanz ansprechbar sowie seit einigen Monaten in der Flüchtlingsunterkunft am Landschaftspark Nord. Zwar haben laut MAGS „alle kriegsvertriebenen Menschen aus der Ukraine Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland“. Der Beratungsbedarf dort sei dennoch hoch, verdeutlicht Franke.
„Menschen in prekären Lebenssituationen brauchen Hilfe“
Außerdem gelte Duisburg als die „Großstadt mit den meisten überschuldeten Haushalten“. Viele von ihnen könnten die Kassenbeiträge nicht zahlen und gerieten in Not. Gerade für Duisburg, wo die Zielgruppe weiter wachse, wäre eine langfristige Bewilligung wichtig, sagt der Geschäftsführer.
Und selbst wenn Krankenversicherungen gesetzlich verpflichtend wären, würden Clearingstellen nicht obsolet, glaubt er: Hilfestellungen seien dann immer noch nötig, weil Menschen in prekären Lebenssituationen mit den Anforderungen der Kassen nicht klarkommen oder weil es sprachliche Hürden gibt.
Ludwig Hoeren, der Leiter des hiesigen Gesundheitsamtes, lobte zuletzt im Sozialhilfeausschuss die „hervorragende Arbeit der Clearingstelle“ sowie die gute Vernetzung. Er plädierte eindringlich für eine Fortführung des Angebots.
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>> DIE CLEARINGSTELLE DUISBURG IN ZAHLEN
- Im Jahr 2021 wurden in Duisburg 504 Menschen beraten, 2020 waren es 407. Die Zahl der Beratungsgespräche hat sich nach Angaben der Awo-Integration verdoppelt von 643 auf 1038.
- 2,5 Stellen sind besetzt. Die Fachkräfte bieten an verschiedenen Standorten Sprechzeiten an.
- Gestiegen ist die Zahl der deutschen Ratsuchenden, viele von ihnen ehemals Selbstständige. Weil sie durch die Coronapandemie keine Aufträge hatten, konnten sie ihre private Krankenversicherung nicht bedienen.
- Ein Drittel der Ratsuchenden konnte in das Regelsystem der Krankenkassen integriert werden.
- 2018 ging man in Duisburg von rund 16.000 nicht krankenversicherten Bürgern aus.
- Weitere Infos auf der Webseite der Awo in Duisburg, Stichwort Migration und Integration.