Duisburg. Um Zuwanderer zu erreichen, setzt Duisburg seit mehr als 20 Jahren auf Interkulturelle Berater. Zwei der ersten Stunde erzählen von ihrer Arbeit.
Ihre Arbeit hat Früchte getragen, können Gülcan Boybeyi und Behiye Ateş mit Fug und Recht sagen. Denn die Kinder der ersten Stunde begegnen ihnen heute als Lehrerin oder Erzieher, sie haben ihren Weg gemacht.
Gülcan Boybeyi und Behiye Ateş wurden vor 22 Jahren die ersten Interkulturellen Beraterinnen Duisburgs und sind es noch – inzwischen unterstützt von 18 weiteren Kolleginnen und Kollegen. Die ersten drei Jahre wurden von der EU finanziert, danach übernahmen Jugendamt und die damalige RAA das Erfolgsprojekt, inzwischen ist es beim Kommunalen Integrationszentrum angesiedelt.
[Straßenbahn- und Buslinien der DVG in fünf Minuten mit Schulnoten bewerten: zum DVG-Linien-Check]
Mit Hausbesuchen fing die Beratung vor 22 Jahren an
Für ihre Aufgabe braucht es Milieu-Kenntnis, Empathie – und ein ähnlicher biografischer Hintergrund ist zum Bauen von Brücken ebenfalls hilfreich. Anfangs bekamen die beiden Frauen Adressen und machten Hausbesuche in überwiegend türkischen Familien, trafen vielfach auf Heiratsmigrantinnen ohne Deutsch-Kenntnisse.
Es ging darum, jede einzeln zu erreichen. Auf Multiplikatoreneffekte konnten sie nicht setzen, „keiner will besserwisserisch sein, sich in das Leben der anderen einmischen, besser wirkt die Hilfe durch Unbeteiligte“, beobachtete Boybeyi. Frauen, die in ihren Heimatländern gut ausgebildet waren und hier aufgrund der Sprachbarriere plötzlich unsicher wurden und „Bruckhausen als Kulturschock erlebten“, waren dankbar für die Hilfe.
Elterncafés in türkischer Sprache waren der Türöffner
In den Kindertagesstätten boten die Beraterinnen Elterncafés an – in der Muttersprache derer, die sie erreichen wollten, „schon waren die Gruppen voll“, erinnern sie sich. Sie ergänzten ihr Angebot etwa um Vorlese-Aktionen. Fotos aus der Zeit zeigen, wie 70, 80 Kinder dicht gedrängt und konzentriert einer Geschichte lauschen.
Mit ihrer offenen, zupackenden Art gewinnen sie auch heute das Vertrauen vieler, sie sind einerseits Vorbilder, andererseits auf Augenhöhe mit den Menschen. Auf dieser Basis werben Boybeyi und Ateş für den Kindergartenbesuch und bringen die Eltern dazu, ihre eigene Erziehung zu hinterfragen, tradierte Prägungen aufzufächern. Sie vermitteln – anfangs noch mit selbst gebastelten Materialien –, dass Gewalt keine Erziehungs-Methode ist und es stattdessen wichtig ist, Mut zu machen, Gefühle zu zeigen, Freiraum zu geben oder Streiten zu dürfen.
Die Muttersprache hat eine wichtige Funktion
Boybeyi bedauert, dass ihre Mutter in den 70ern nicht auch schon diese Hilfe bekam. Die Aufgabe fiel der Tochter zu, schon als Grundschülerin übersetzte sie freitagabends die aktuelle Derrick-Folge und die Post der Behörden sowieso. Heute achtet die studierte Germanistin darauf, Zugewanderten zu vermitteln, dass die eigene Sprache eine große Bedeutung hat. Ateş kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: Die Grundschullehrerin erzog ihre zwei Kinder auf Türkisch, „das konnte ich perfekt, für die deutsche Sprache bin ich mit ihnen in die Kita und in die Bücherei gegangen“. Der Plan ging auf, bei der Einschulungsuntersuchung wurde der große deutsche Wortschatz ihrer Kinder gelobt.
Inzwischen haben die Interkulturellen Beraterinnen verstärkt mit bulgarischen und rumänischen Eltern zu tun, mit afghanischen oder afrikanischen Familien. Sie sind nicht mehr nur in Kitas unterwegs, sondern auch an Schulen. Sie übersetzen etwa schulisches Handeln: Wenn Eltern in die Schule eingeladen werden, komme das in manchen Kulturkreisen negativ an, erzählt Boybeyi. Dass Partizipation Teil der Schulbildung ist, müsse erst verdeutlicht werden.
„Wir sind wie ein Google-Übersetzer“
Ateş beobachtet, dass viele Eltern ein gutes Herz haben, aber einen Hang zum Verwöhnen ihrer Kinder. Dabei gehe das Kinderrecht auf Bildung gelegentlich verloren. „Wir müssen ihnen deutlich machen, was Schulpflicht in Deutschland bedeutet und dass eine Hochzeitsfeier am Wochenende kein Grund ist, am Montag zu fehlen.“
Sie begleiten Eltern zu Gesprächen mit Lehrern, erklären Verwaltungshandeln, „wir sind wie ein Google-Übersetzer“, sagt Boybeyi lachend, „nur auf der Bedeutungsebene“. Und das in alle Richtungen. Als Beispiel zeigt sie eine Entschuldigung, die eine Mutter für ihr Kind geschrieben hat. Aus deren Perspektive ein großer Fortschritt, hat sie doch verstanden, dass die Schulpflicht das erforderlich macht. Die Lehrerin war allerdings sauer, weil weder Form noch Inhalt gewahrt waren. Enttäuschung auf allen Seiten, die die interkulturellen Trainerinnen auflösen können. „Wir machen das von Herzen gern“, sagt Ateş, „auch wenn es keine leichte Arbeit ist“.
[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Stadtseite + Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]
>>INTERKULTURELLE BERATER: AN VIELEN ORTEN UND IN VIELEN SPRACHEN AKTIV
- Die Interkulturellen Beraterinnen sind an das Kommunale Integrationszentrum angedockt.
- Die 20 Beraterinnen und Berater sind an rund 50 Kindertagesstätten und 40 Schulen aller Schulformen tätig.
- Sie decken folgende Sprachen ab: Deutsch, Türkisch, Russisch, Kurdisch, Arabisch, Französisch, Englisch, Romanes, Portugiesisch, Lingala, Bulgarisch, Rumänisch und Mazedonisch
- Weitere Infos bietet duisburg.de hier.