Duisburg. Cello-Weltstar Alban Gerhardt spielte für Schüler eines Duisburger Gymnasiums. Der Musiker sprach auch über die Schattenseiten seines Berufs.
Am Mittwochabend teilte er sich noch die Bühne mit den Duisburger Philharmonikern, am Donnerstagmorgen saß er in der Aula des Landfermann-Gymnasiums vor einer Meute wissbegieriger Schüler: der deutsche Musiker und Cello-Weltstar Alban Gerhardt. Im Rahmen des Musikvermittlungsprojekts „Rhapsody in School“ spielte der Cellist den Pennälern vor – und beantwortete teils tiefpersönliche Fragen genau so spritzig und offen, wie sein Spiel klingt.
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Gerhardt eröffnet seine besondere Unterrichtsstunde mit dem Präludium aus Bachs sechster Cellosuite, BWV 1012. Dass auch klassische Solomusiker ein bisschen Rampensau und Entertainer sein müssen, war dabei schnell klar. „Ich spiele viel Musik mit Orchester, und ohne Orchester würde die langweilig klingen“, begründet er nonchalant seine Stückauswahl. „Fängt mit D an und hört auch mit D auf, dazwischen ist was anderes“, fasst der Musiker die Tonart sehr passend und pragmatisch zusammen.
Cellomusik auf Weltklasseniveau berührt Duisburger Schüler
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Pragmatismus ist in seinem Spiel dann nicht mehr zu finden, dafür aber eine Menge Gefühl. Das voluminöse Timbre von Alban Gerhardt füllt die Aula komplett aus. So präsent ist seine Musik, dass die Schüler das Konzept Dynamik ganz von alleine verstehen. Gleitet der Cellist ins piano, hört auch das nervöse Gemurmel der Schüler auf, die Musik gibt den Ton an. Flächige Arpeggien sorgen für weit aufgerissene Augen ob der technischen Brillanz, mehrstimmige Harmonien lassen die Münder offen stehen – so ein Cello kann mehr als einen Ton gleichzeitig spielen?
„Wenn die Leute heute Abend brav Bravo klatschen, dürfen sie das auch hören“, verlinkt der Musiker mit einem Augenzwinkern auf sein zweites Konzert mit den Philharmonikern. Dann dürfen ihn die Schüler das erste Mal mit Fragen löchern. Wie lange er am Tag Cello übe, wollen sie beispielsweise wissen – „im Moment sechs bis sieben Stunden“, lautet die Antwort. Gerhardt berichtet, wie er in der Corona-Pandemie mit der Crowdfundingplattform Patreon Geld verdient hat, die kennen die Schüler dank ihrer Youtube-Idole.
Cellist erzählt Duisburger Schülern von seiner Leidenschaft
Etwas tiefgründiger ist die nächste Frage: Was denn wohl das Schönste an seinem Beruf als freischaffender Musiker sei. „Ich kann mit meiner Leidenschaft und meiner Liebe Geld verdienen“, sagt Alban Gerhardt, wird dann aber nachdenklich. „In mir hat mein Sohn ein schlechtes Vorbild“, erzählt er von seinem 23 Jahre alten Sprössling, der eine solche Leidenschaft nicht habe und deswegen nicht wisse, wohin die Reise beruflich gehen soll.
Schön sei es außerdem, sein eigener Chef zu sein, „aber das erfordert viel Selbstdisziplin.“ Einen treuen Unterstützer hat der Künstler in seiner Musik. „Ich bin von Natur aus nicht so ein fröhlicher Mensch, aber mein Cello ist ein Psychiater, der immer dabei ist.“ Als kleines Zwischenspiel gibt er auf seinem omnipräsenten Therapeuten dann die Zugabe des Philharmonischen Konzerts am Mittwoch zum Besten – ein Cellowerk aus der Feder „des besten Cellisten aller Zeiten“, Mstislav Rostropowitsch.
Musiker erzählt Duisburger Jugendlichen freimütig aus seinem Leben
Die Jugendlichen interessieren sich aber nicht nur für die Glorie des Solistendaseins; dass so ein Beruf Schattenseiten hat, bestätigt auch Gerhardt. Auf die Frage, wie oft er nach über 30 Jahren Karriere ans Aufhören denke, antwortet er fröhlich-defätistisch, aber mit einer gewissen Wehmut in der Stimme: „Jeden Tag“. Die Rente für Freiberufler sei aber nicht so toll, und obwohl er das viele Reisen nicht möge, mache er deshalb trotzdem weiter – „vielleicht, bis ich 80 bin.“
Als das Gespräch auf Gerhardts Instagram-Kanal kommt, werden selbst die letzten Kulturverweigerer unter den Schülern hellhörig. Die Prominenten, die der Cellist so getroffen hat – Helmut Kohl oder Lothar Matthäus – kennen die Jugendlichen zwar nicht, aber, dass Alban Gerhardt selbst berühmt ist, haben sie mittlerweile gemerkt. Folgerichtige Frage: „Ey, wie heißen Sie auf Insta?“
„Noch zwei Fragen, dann geh’ ich Üben“, läutet der Musiker das Ende der Unterrichtsstunde ein – und wird auf die Frage hin, inwiefern sein Beruf sein Privatleben beeinflusse, noch mal richtig persönlich. „Ich war kein guter Vater“, flötet Gerhardt mit einem verkrümmten Lächeln. Seine erste Ehe sei in die Brüche gegangen und er nicht für seinen Sohn da gewesen. „Dieses Da-und-weg-Sein in meinem Beruf, das ist furchtbar.“ Aber wohl nicht vermeidbar, denn „meine zweite Ehe ist eigentlich auch kaputt. Aber ich versuche, zu reparieren.“ Verdutztes Schweigen der Schüler.
>> DAS IST „RHAPSODY IN SCHOOL“
- Rhapsody in School ist ein Projekt, in dessen Rahmen Profimusiker ehrenamtlich Schüler besuchen, „um mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihnen Musik vorzuspielen.“
- Die Initiative wurde von klassischen Musikern 2005 selbst gegründet und gewann 2014 den Echo Klassik in der Kategorie „Nachwuchsförderung“.
- Nach eigenen Angaben hat das Projekt schon 73.000 Schüler erreicht. Mehr Informationen – und die Möglichkeit für Schulen, sich um einen Besuch zu bewerben – gibt es im Internet unter rhapsody-in-school.de.