Duisburg. Zwei Pädagoginnen wollen in Duisburg eine neue Grundschule gründen. Das Konzept weicht dabei von dem einer eine gängigen Regelschule ab.
Was passiert mit dem Schulgebäude an der Gneisenaustraße, wenn im Sommer dort die Hauptschule ausläuft? In den vergangenen Wochen teilte die Stadt Duisburg unserer Redaktion mit, dass aktuell noch überlegt wird, wie die Schule künftig genutzt wird. Das hat wiederum die Heilpädagogin Sarah Pasch und die ehemalige Schulleiterin Barbara van der Wielen überrascht. Die beiden haben ein Konzept erarbeitet, um eine staatlich anerkannte private Ersatzschule zu gründen. Als möglichen Standort wurde konkret die Gneisenaustraße angefragt. Im Gespräch stellen die beiden ihre Ideen nun vor.
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Frau van der Wielen und Frau Pasch, wie ist die Idee bei Ihnen entstanden, eine eigene Schule zu gründen?
Barbara van der Wielen: Ich habe viele Jahre lang an verschiedenen Schulen gearbeitet, zum Beispiel an einer Gesamtschule und zuletzt habe ich eine Freie Schule in Mönchengladbach aufgebaut. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich auch Sarah Pasch kennen gelernt. Ich bin jetzt seit einem halben Jahr pensioniert und habe in meiner Schullaufbahn, in der ich 22 Jahre lang Leitungsfunktionen hatte, immer wieder gesehen, mit wie viel Stress der Beruf verbunden ist und wie motivierte Kollegen an den Bedingungen des Regelschulsystems verzweifeln. Auf der einen Seite sollen Kinder individuell gefördert werden, auf der anderen aber alles standardisiert und bewertet werden. Für Lernen im eignen Rhythmus und bezogen auf eigene Interessen bleibt da kein Platz. Schule etabliert Machtstrukturen statt Partizipation, Eigenverantwortung und Demokratie zu vermitteln.
Ideengeberinnen halten Duisburg-Neudorf für einen geeigneten Standort
Können Sie ein Beispiel geben?
Van der Wielen: Wenn man zum Beispiel die Umsetzung der Inklusion an den Regelschulen anschaut, dann ist das in der Theorie eine gute Sache, aber in der Praxis nur schwer zu bewerkstelligen. Für uns ist klar, dass wir an der Waldritter-Schule uns komplett nach den Grundsätzen der Inklusion und der Bildung für nachhaltige Entwicklung ausrichten.
Pasch: Die Idee, eine eigene Grundschule zu gründen, entstand in den vergangenen Jahren in einem Kreis pädagogisch interessierter Eltern, von denen viele selbst in pädagogischen Berufen tätig sind. Uns ist klar, dass die Kinder als Erwachsene von morgen vor Herausforderungen stehen werden, für deren Bewältigung sie weit mehr Kompetenzen erwerben müssen, als fachliche Curricula vorsehen. Zum Beispiel sollte Schule Antworten geben auf Fragen wie: Wie kann weltweit allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und dabei gleichsam die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft bewahrt werden? Das schließt ökonomische, ökologische, soziale, kulturelle und politische Aspekte ein und erfordert eine Schule, die die Themen Klimawandel, Diversität, Partizipation, globale Gerechtigkeit sowie gelebte Demokratie in den Mittelpunkt ihres Bildungsanspruchs stellt.
Wie könnte der Unterricht an so einer Schule konkret aussehen?
Pasch: Den Kindern werden im Rahmen des Unterricht differenzierte Lernangebote gemacht, an denen sie in ihrem eigenen Tempo arbeiten können und auch entscheiden, ob sie alleine oder in Gruppen arbeiten wollen. Alle Fächer der Stundentafel für die Grundschule werden abgedeckt; der Sachunterricht wird Leitfach sein. Lernen findet überwiegend fächerübergreifend oder in Projektform statt. Dazu gehören etwa regelmäßig Besuche im Wald. Deshalb bietet sich der Standort wegen seiner Nähe zum Stadtwald aus unserer Sicht an. Als wir in der Gruppe über das Konzept gesprochen haben, brachte jemand den Verein Waldritter aus Herten ins Spieler. Dieser betreibt als Träger bereits Schulen und andere Angebote und passt prima zu unseren Leitlinien
Van der Wielen: Wenn wir nochmal auf den Inklusionsbegriff schauen, dann zitiere ich gerne Francois Rebelais: „Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.“ Das verdeutlicht unser inklusives Lernverständnis generiert: Wir glauben, dass sich der Lernwille im Kind selbst generiert, von ihm selbst gesteuert wird und Zeit benötigt. Lernangebote sollen zu selbstständigen sowie individuellen Lösungen herausfordern und den Lernenden ermöglichen, sich mit ihnen zu verbinden. Dafür werden die Interessen und Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt und ihre jeweils individuellen Voraussetzungen, Stärken, Alltags- und Vorerfahrungen genutzt, um individuelle Zugänge sowie Handlungsmöglichkeiten zu schaffen.
Aus der Grundschule soll eine Gesamtschule entstehen – auch ein Kindergarten denkbar
Wie soll der Schulbetrieb organisiert werden?
Van der Wielen: Wir wollen gerne – wenn das Schulgebäude den Platz hergibt – mit einer zweizügigen, Jahrgangs übergreifenden Grundschule starten, die dann zu einer zweizügigen Gesamtschule weiterentwickelt werden soll. Dazu eine Kita, sodass wir ein konzeptionell durchgängiges Bildungsangebot von der Kita bis zum Abitur anbieten können.
Klingt, als bräuchten Sie eine Menge Platz.
Pasch: Den wir an der Gneisenaustraße ja hätten. Hinzu kommt, dass der Standort gut liegt und somit auch für Eltern aus benachbarten Stadtteilen und Städten gut erreichbar wäre.
Van der Wielen: Ich kenne die Schullandschaft in Duisburg ganz gut, bin in Duisburg geboren und habe früher das Hildegardis-Gymnasium besucht.
Termin mit dem Schulamt der Stadt kam nicht zustande
Welche Resonanz hatten Sie bisher mit Ihrer Idee?
Pasch: Eigentlich gute. Wenn wir mit anderen Pädagogen oder Eltern über unsere Pläne sprechen, bekommen wir positive Rückmeldungen. Und auch als wir beim Schulamt der Stadt nachfragten, zeigte man sich erst einmal interessiert. Aber dann tat sich erstmal wenig und auch ein Termin, bei dem wir unsere Idee persönlich den Verantwortlichen der Stadt vorstellen sollten und ins Gespräch kommen konnten, fand nicht statt. Wenn man nicht weiß, wie es mit der Gneisenaustraße weiter gehen soll, warum hört man sich nicht einfach mal unsere Ideen an?
Haben Sie noch andere Standorte geprüft?
Pasch: Wir waren zwischendurch auch in Mülheim, aber das hat sich wieder zerschlagen. Auch von der Stadt Moers haben wir eine Absage erhalten.
Wie ist nun der weitere Zeitplan?
Pasch: Aktuell befinden wir uns weiter auf der Suche nach einem Standort, denn einen Ort brauchen wir, um den Gründungsantrag bei der Bezirksregierung Düsseldorf zu stellen.
>> Vier private Ersatzschulen gibt es bereits in Duisburg
In den vergangenen zehn Jahren sind im Regierungsbezirk Düsseldorf 16 Ersatzschulen gegründet worden. „Eine verbindliche Auskunft zu den Zahlen der Vorhaben, die scheiterten, ist nicht möglich, da dies auch bereits im Vorfeld der Antragstellung erfolgt. Ersatzschulen sind in vielen Fällen durch besondere pädagogische Interessen und Konzepte geprägt. Diese unterschiedlichen Konzepte variieren von Schule zu Schule“, erklärt die Pressestelle der Bezirksregierung auf Nachfrage. Der Antrag vom Verein Waldritter liege ihnen noch nicht vor.
Gabi Priem, Sprecherin der Stadt Duisburg, bestätigt, dass Sarah Pasch im Jahr 2020 erstmals Kontakt mit der Stadt als Schulträger aufgenommen habe. „Sie fragte an, ob wir ihr ein geeignetes Objekt für eine private Ersatzschule anbieten können. Da die Stadt aber aufgrund der stetig steigenden Schülerzahlen alle städtischen Schulgebäude selber benötigt, konnten wir ihr kein Angebot unterbreiten. Bezüglich der Antragstellung haben wir sie an die zuständige Schulaufsicht, die Bezirksregierung Düsseldorf, verwiesen.“ Mit Blick auf den Standort Gneisenaustraße gebe es derzeit verschiedene Planungsoptionen. „Das Gebäude wird auf jeden Fall weiterhin für die städtische Beschulung genutzt. Eine finale Aussage in welcher Form, kann zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht getroffen werden“, so Gabi Priem.
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In Duisburg gibt es derzeit vier private Ersatzschulen, dazu gehören die St. Georg School, die Sternenschule, die Waldorfschule sowie das Kant-Berufskolleg. „Der städtische Schulträger wird in dem Antragsverfahren nicht beteiligt, er ist bei Gründung lediglich zu informieren und steht diesen - auch aufgrund fehlenden Einblicks in die Konzepte von Privatschulen - neutral gegenüber“, so die Auskunft der Stadt.