Duisburg. Nach Monaten des Tanzverbotes darf nun in Diskotheken gefeiert werden. So haben Gäste und Mitarbeiter die Wiedereröffnung im Old Daddy empfunden.

Das Leben kehrt im Zeitraffer zurück. Aber die Menschen verhalten sich beinahe wie Häftlinge, die entlassen werden. Sie stehen vor der offenen Tür, können mit ihrer neuen Freiheit kaum umgehen. Draußen, im Pulk vor dem Old Daddy, ist an diesem Samstagabend noch Maske und Abstand angesagt. Sicherheit für Kopf und Seele. Nach der 2G plus Kontrolle, mit jeder Stufe hinunter in die Disko, werden die Daumenschrauben der Corona-Auflagen gelockert. Maske ab. Leben live in der Steinschen Gasse. Den meisten gelingt der Wechsel nur schwer. An der Theke bestellen viele immer noch mit einer Armlänge Abstand zum Nachbarn.

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Gewöhnungsbedürftig, plötzlich schutzlos neben einem Fremden zu stehen. Obwohl es genau das war, wonach sich die Menschen zwei Jahre gesehnt hatte. Im Hinterkopf haben viele das Virus. Den lauernden Feind. Um 22 Uhr, als das Daddy öffnet, tröpfeln die ersten Besucher hinein. Sehr übersichtlich ist die Schar der Feierfreudigen noch. Das sieht eine Stunde später ganz anders aus. Da ist die Tanzfläche voll mit Schönheiten, die zu den wummernden Bässen der 80er- und 90er-Jahre tanzen.

Old Daddy öffnet wieder: „Die Atmosphäre ist anders als früher“

Ein Mann an der Theke will einen Drink bestellen und hat völlig vergessen, dass er immer noch maskiert ist. „Die darf man jetzt abnehmen“, sagt ihm Jasmin, die endlich wieder ihrer geliebten Arbeit in der Disko nachgehen kann. Die 29-Jährige mit dem Pferdeschwanz macht zurzeit eine Umschulung zur Personalvermittlerin. Aber zusätzlich am Wochenende im Old Daddy zu arbeiten, lässt sie sich nicht nehmen.

„Die Atmosphäre ist anders als früher“, sagt Jasmin, die an der Theke im Old Daddy bedient.
„Die Atmosphäre ist anders als früher“, sagt Jasmin, die an der Theke im Old Daddy bedient. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

„Die Atmosphäre ist anders als früher. Die Menschen sind so freundlich und viel gelassener“, sagt sie. Mit der Musik, die vom großen Nebenraum rüber schallt, kann sie persönlich nicht so viel anfangen. Aber das macht ihr gar nichts. Schließlich ist sie nicht zum Feiern hier, sondern zum Arbeiten. Verlernt hat sie das Longdrink-Mixen in zwei Jahren weitestgehender Funkstille nicht. Hier eine Whiskey-Cola, da einen Wodka-Red-Bull oder einen Malibu Tonic zu zaubern, ist für sie die kleinste Übung.

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Mit fünf Bedienungen an der Theke sind sie auf den Ansturm von Gästen vorbereitet. „Ich denke, dass die Nacht für uns so gegen fünf Uhr endet“, schätzt sie. „Wenn der Laden richtig brummt, ist das noch eher wenig Personal. So um halb zwölf rum kommt der nächste Schub“, weiß sie aus Erfahrung.

„Endlich wieder“ tanzen

Marina (31) aus Duisburg und Ramona (39) aus Kamp-Lintfort sind mit bei den Ersten, die es sich in einer Ecke vor der Theke gemütlich gemacht haben. Für sie ist es ein Befreiungsschlag – endlich wieder Disko.

„Am Anfang von Corona war das ja cool, dass man zu Hause bleiben konnte und Ruhe hatte. Aber keine persönlichen Kontakte mehr zu haben, das geht einem ja dermaßen auf den Geist, das ist nur noch ätzend“, sagt die blonde 39-Jährige. Die beiden Freundinnen machen sich mit einem Drink gerade startklar fürs Tanzen. „Endlich wieder.“

Auch viele Männer zieht es auf die Fläche im rot-grün-blau-blinkenden Scheinwerferlicht. Sie ist voll mit fröhlichen Menschen, die jede Sekunde genießen. Textsicher singen sie mit – das frühere Leben, es lebt auf. Bunt geht es in Sachen Frisuren und Kleidung zu.

Die Gäste, die meisten zwischen Ende 30 bis Mitte 40, haben sich aufgebrezelt. Angeklebte Wimpern, Netzstrümpfe, knappe Röckchen, hohe Hacken oder alternativ Turnschuhe – alles ist erlaubt und macht Spaß. Und doch erstaunlich fremd ist diese Vielfalt auf so engem Raum.

Die Zurückeroberung der Tanzfläche im Old Daddy am Samstag, 5. März 2022.
Die Zurückeroberung der Tanzfläche im Old Daddy am Samstag, 5. März 2022. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Was früher selbstverständlich war, hier mal eine Umarmung unter Fremden, ein nett gemeinter Griff um die Hüfte, ein Küsschen – das alles scheint wie ein Verhalten aus einer anderen Welt. Ja, zwei Jahre Pandemie hat die Menschen verändert.

Trotzdem oder gerade deshalb atmet Natascha Herzig auf. „Ich geh’ hier seit meinem 16. Lebensjahr hin“, erzählt die 52-Jährige. „Es tut der Seele so gut, wieder zu Hause zu sein. Das hier ist mein Wohnzimmer.“ Ob AC/DC oder The Cure – die Duisburgerin kennt sie alle, die Musik ist ein Teil von ihr geworden. „Vor allem diese Revival-Abende finde ich klasse.“

Bis 23.15 Uhr acht, neun Personen ohne aktuelles Test-Ergebnis abgewiesen

Die grausame Welt da draußen hat sie nicht vergessen. Nur für ein paar Stunden mal zur Seite geschoben. „Ich bin in der Facebook-Gruppe Duisburger Steine. Die ist in der Pandemie entstanden. Da haben sich viele zusammengetan und bemalen Steine, die wir dann im Internet versteigern. Der Erlös ist immer für einen guten Zweck. Das läuft prima.“ Mal geht das Geld ans Hospiz und die Eltern eines todkranken Kindes, mal bekommt das Tierheim eine Spende, dann wieder Flutopfer und jetzt – natürlich – wird für die Menschen in der Ukraine gesammelt.

Geboostert/genesen und frisch getestet: Sie durften rein und feiern.
Geboostert/genesen und frisch getestet: Sie durften rein und feiern. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Um 23.15 Uhr haben ungefähr 150 Menschen den Weg ins Old Daddy gefunden. Marcus Koßmann ist Türsteher, kein Rausschmeißer. „Ich durfte ungefähr acht bis neun Personen nicht reinlassen. Die hatten keinen aktuellen Test“, sagt er. „Ich rede mit den Menschen. Ich habe gehört, dass man sich im Rotlichtviertel die ganze Nacht testen lassen kann. Das sage ich denen, die hier unbedingt reinwollen.“

Kurz nach 23.30 Uhr begrüßt er den nächsten Schub an Disko-Gängern. Marcus steht in der Kälte und hat ein Lächeln auf dem Gesicht. Endlich wieder Arbeit.

>> 2G-PLUS-REGELN / PETER JURJAHN DANKT GÄSTEN

■ Clubs und Diskotheken dürfen in NRW unter Auflagen seit Freitag, 4. März, wieder öffnen. 2G plus ist angesagt: Wer rein will, muss nachweislich geboostert oder genesen sein und zusätzlich einen tagesaktuellen negativen Schnelltest vorlegen. Die Gegenleistung: keine Maskenpflicht in der Disko, tanzen erlaubt.

Peter Jurjahn, Inhaber des Old Daddy, kommt Samstagnacht gegen 23.30 Uhr in seiner Disko in der Steinschen Gasse wieder vorbei und guckt, wie es läuft. „Nach zwei Jahren Corona sind die Menschen noch verhalten“, sagt er. „Aber ich freu mich über jeden Gast. Auch mein Personal hat mir die Treue gehalten, ich bin stolz und froh darüber.“ Und er vergisst nicht, seine Gäste zu loben. „Die haben für mich in den Jahren auch gespendet. Es ist überwältigend, ich bin ausgesprochen dankbar.