Essen. Nach den Enthüllungen im Missbrauchsskandal wächst die Nachfrage nach Kirchenaustritten in NRW rasant. Was das für die katholische Kirche heißt.

Die Krise der katholischen Krise verschärft sich. Nach den neuesten Enthüllungen im Missbrauchsskandal steigt die Nachfrage nach Kirchenaustritten in Nordrhein-Westfalen offenbar stark an. Das berichten mehrere Amtsgerichte im Ruhrgebiet nach einer Umfrage der WAZ.

„Das Amtsgericht Essen-Mitte verzeichnet aktuell eine wesentlich höhere Zahl an Terminanfragen für Kirchenaustritte zusätzlich zu bereits online gebuchten Terminen“, sagte Amtsgerichtssprecher Michael Schütz. Die Austritte hätten sich in dem Essener Gericht in diesem Januar im Vergleich zum Vorjahresjanuar von 96 auf 178 fast verdoppelt. Auch im Borbecker Amtsgericht habe sich die Terminnachfrage in dieser Woche „nochmals extrem gesteigert“.

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Ähnliches teilten die Behörden in Herne, Mülheim und Gladbeck mit. Dort registriere das Amtsgericht seit Tagen ein „hohes Telefonaufkommen nach Terminen“. Aufgrund der hohen Nachfrage plane das Gelsenkirchener Justizzentrum derweil, einen kompletten Tag nur für Kirchenaustritte blocken zu wollen. In Dortmund seien freie Austrittstermine erst Mitte April zu bekommen.

Vor rund einer Woche wurden die Ergebnisse eines Missbrauchsgutachtens für das Münchner Erzbistum veröffentlicht. Demnach ergaben sich bei 235 von 261 untersuchten Mitarbeitern der Kirche Hinweise auf sexuell missbräuchliche Verhaltensweisen. 173 davon seien Priester, geht aus dem Gutachten hervor. Die Studie berichtet von 497 Opfern, viele davon hätten sich zum Tatzeitpunkt im Kindesalter befunden.

Im Zuge der Enthüllungen wurde der emeritierte Papst Benedikt XVI. der Falschaussage überführt. Die katholische Kirche, die für ihren Umgang mit diversen Missbrauchsvorwürfen stark kritisiert wird, erlebt derzeit eine massive Glaubwürdigkeitskrise.

Zahl der Kirchenaustritte 2021 auf Rekordhoch

Nun droht offenbar eine neue Austrittswelle – sie könnte den Trend der vergangenen Jahre beschleunigen. Bereits im Vorjahr sind laut einer Statistik des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen 155.322 Menschen aus der Kirche ausgetreten. Nie war diese Zahl höher, seitdem sie statistisch erfasst wird.

Weitere Brennpunkte zur Zukunft der katholischen Kirche:

Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden 89.694 Austritte verzeichnet, was sich allerdings zum Teil auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückführen lässt. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Amtsgerichte nach Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 etwa die Möglichkeiten für Online-Austritte ausgebaut hatten. Aus der Statistik gehe nicht hervor, wie sich die Austritte nach den Konfessionen aufschlüsseln.

Katholische Kirche laut Experte auf dem Weg „in den Abgrund ihrer Bedeutungslosigkeit“

Experten glauben nicht, dass die Kirche diesen Negativtrend umkehren kann. „Die katholische Kirche rast mit diesen Zahlen in den Abgrund ihrer Bedeutungslosigkeit“, sagte der katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster der Deutschen Presse-Agentur. „Die katholische Kirche in ihrer bekannten Sozialgestalt stirbt ohne Hoffnung auf Wiederkehr.“ Sie befinde sich auf dem Weg, eine Minderheitenkirche zu werden. „Das muss nicht schlecht sein, wird aber den aktuell verantwortlichen Bischöfen viel abverlangen“, so Schüller. (mit ni und dpa)