Duisburg. Nils Szcezpanski ist seit August Nachfolger von Alfred Wendel als Intendant der Duisburger Philharmoniker. Hier spricht er über seinen Start.

Im Intendantenbüro der Duisburger Philharmoniker hat sich seit dem Ausscheiden von Alfred Wendel Ende Juli kaum etwas verändert. Sein Nachfolger Nils Szczepanski hat noch nicht einmal die Bilder ausgetauscht, seitdem er im August das Amt vor jetzt schon über 100 Tagen übernommen hat. Auf jeden Fall behalten will er das kleine gerahmte Porträt von Hermann Brandt, der von 1877 bis 1893 der erste Städtische Kapellmeister in Duisburg war und dem Intendanten auf den Schreibtisch schaut.

Wie war Ihr Start in Duisburg, wie sind Sie aufgenommen worden?

Ich bin hier warmherzig begrüßt worden und habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Die ersten drei Monate haben sich angefühlt wie eine halbe Saison, waren für alle sehr verdichtet: Wir haben bis jetzt schon fünf Philharmonische und vier Kammermusik-Konzerte gespielt, das Flut-Projekt, das Eigenzeit-Festival, viele Education-Projekte und den Schostakowitsch-Steichquartett-Zyklus sowie tolle Opern- und Ballettproduktionen. Das war im positiven Sinne ein Husarenritt, ein doppelter Neustart mit dem Wechsel der Intendanz und nach den vielen coronabedingten Ausfällen.

Wie geht es mit Corona weiter?

Momentan fühlt sich alles nach einer Déjà-vu- Situation an. Wobei wir natürlich inzwischen sehr gut vorbereitet sind – mit Hygiene-Maßnahmen, aber auch guten Raumkonzepten. Wir hoffen, dass wir mit 2G und Maskenpflicht am Platz einen guten Korridor haben, entweder ganz durch den Winter zu kommen oder nach einer Schließungsphase wieder schnell ins Spiel zu kommen.

Nils Szczepanski freut sich, überall in Duisburg warmherzig aufgenommen worden zu sein und hat bereits viele Ideen entwickelt.
Nils Szczepanski freut sich, überall in Duisburg warmherzig aufgenommen worden zu sein und hat bereits viele Ideen entwickelt. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Macht das Publikum das mit? Kulturveranstaltungen sind zur Zeit ja eher sparsam besucht.

Das haben wir anders erlebt: Anfangs gab es zwar ein Zögern, aber nach den Sommerferien waren wir in den reduzierten Kapazitäten fast überall ausverkauft und haben dann geöffnet. Seitdem wird zwar nicht mehr die ganze Kapazität erreicht, aber das liegt zum einen an den verkürzten Verkaufszeiten im Vorlauf, zum anderen daran, dass die spontanen Käufer und Nicht-Abonnenten noch zögerlich sind.

Aber die Abonnenten konnten Sie halten?

Unsere Abonnenten hier in Duisburg gehören zu den treuesten. Wir haben die Abos ja anderthalb Jahre pausieren lassen, und der Vertrieb, der Goldenes für uns leistet, stand ständig Kontakt mit den Abonnenten. Es gibt viele Nachfragen und eine unheimlich große Identifikation. Von den Abonnenten ist niemand weggebrochen.

Aber Sie denken nicht darüber nach, eine Sommerspielzeit einzuführen und dafür im Winter zu pausieren, wenn das Virus bleibt und die Inzidenzen immer im Winter hochgehen?

Das sind Gedankenspiele, die man langfristig anstellen kann. Aber in der jetzigen Situation geht es vor allem darum, eine gewisse Stabilität im Kulturangebot wieder herzustellen. Wir wollen alles, was im Saisonheft steht, auch so spielen. Und wir planen auch 2022/2023 mit der vorhandenen Struktur.

Konnten Sie schon Kontakte in der Stadt knüpfen?

Ja, das ist etwas, was Duisburg absolut auszeichnet: Man ist so schnell in der Stadt, und in allen gesellschaftlichen Bereichen stehen die Türen offen. Die Philharmoniker sind unheimlich gut in der Breite und Tiefe mit Duisburg verwachsen. Ich habe noch gar nicht alle Gesprächsangebote wahrnehmen können und freue ich auf jede Einzelne dieser Begegnungen.

Wie hat sich der Beginn der Zusammenarbeite mit dem Orchester gestaltet?

Auch das war ganz organisch. Schon bevor ich im Amt war, haben wir Gespräche in den Gremien geführt und eine digitale MitarbeiterInnen-Versammlung veranstaltet. Von Anfang an gab es mit Dr. Wendel, Axel Kober und dem ganzen Team einen regen Austausch auch über inhaltliche Prozesse, die sich zum Beispiel in der Beantragung der Bundesmitteln als Exzellenz-Orchester niedergeschlagen haben. Mit dem Programm sollen Orchester in die Lage versetzt werden, neue Projektideen außerhalb des regulären Konzertbetriebes zu entwickeln. Die Mitglieder des Orchesters zeichnen sich durch sehr viel Initiative und Mitdenken aus, sodass es in diesem Exzellenz-Prozess zahlreiche Ideen gibt, die sich aus Gesprächen mit Orchestermitgliedern ergeben haben.

Bundesmittel fließen in das Projekt „Das bewegte Orchester“

Was haben Sie mit den 315.000 Euro vor?

Die Bundesmittel können wir bis zum Sommer 2023 ausgeben. Wir nennen das gesamte Projekt „ÉRCHOMAI - Das bewegte Orchester“. Die Duisburger Philharmoniker öffnen durch ihre Konzerte gesellschaftliche Räume, darum initiieren wir mehrere, auf einandere bezogene Prozesse zur Schaffung neuer Relevanzen für orchestrale Musik. Im ersten, transkulturellen Prozess wird ein Community Musician für uns durch die Stadt mäandern und mit Musikvereinen, Straßenmusikern und in Cafés Jam-Sessions machen und sich Projekte überlegen, die er mit dem Orchester verwirklicht.

Welches sind weitere Projekte?

Wichtig wird 2022 die 40-jährige Städtepartnerschaft mit Wuhan, die wir musikalisch besonders feiern wollen. Dieser zweite Prozess steht unter dem Motto „Musikalische Kosmographie“, das bedeutet eine Art Klang-Mercator-Projektion: Von Duisburg aus wird die Welt musikalisch neu vermessen. Wir möchten dafür die Seidenstraße als musikalische Achse denken und auf künstlerischer Ebene einen Dialog der Kulturen anregen. Der dritte Prozess ist, dass wir uns mit der Verbindung zwischen Natur und Mensch beschäftigten. Im vierten Prozess wird es um die Erweiterung des sinfonischen Repertoires gehen. Es wird es einen „Call for Music“ geben, bei dem wir Musikwissenschaftler aus aller Welt dazu aufrufen, uns Werke vorzuschlagen, die vielleicht noch gar nicht oder nur einmal aufgeführt worden sind, aber unbedingt mehr Gehör finden sollten. Es soll außerdem einen transkulturellen Kompositionspreis geben.

Was muss eigentlich unbedingt mal wieder ins Programm?

Da gibt es nicht nur eins, sondern viele Stücke. Das Repertoire ist so reich, dass man es auch in 150 Jahren Intendanz nicht abarbeiten könnte Mir geht es um die „varietá“, also um die Vielfalt, um die Abwechslung. Dabei kann man auch in die Geschichte der Philharmoniker zurückschauen, die 2027 ja 150 Jahre alt werden: Wir möchten Werke wiederentdecken, die eng mit den Duisburger Philharmonikern verbunden sind. Vielleicht spielen wir auch mal ein Programm, wie es vor 100 Jahren hier gespielt wurde.

Und welche Komponisten tauchen dann nicht mehr so oft auf?

Sicher ist, dass wir nach den Corona-Spielzeiten mit vielen kleinbesetzten Werken und den ganzen kammermusikalischen Reduzierungen wieder auch das volle Orchester hören wollen. Wir freuen uns alle sehr auf mehr romantisches oder spätromantisches Repertoire.

Haben Sie sich schon in den Duisburger Stadtteilen umgeschaut?

Ja, aber noch nicht überall. Es wird 2023 für die transkulturellen Prozesse eine große Abschlussveranstaltung geben. Zusammen mit dem aus Duisburg stammenden Regisseur Ludger Engels bin ich schon gezielt den Norden der Stadt abgefahren und habe auch da wieder gelernt, wie vielfältig Duisburg ist: menschenbunt, kulturreich, und weltoffen! Es ist eine Stadt der vielen Gesichter. Jeder Stadtteil hat seine eigenen Themen und Herausforderungen.

Welche Qualitäten muss man als Intendant haben?

Ich kann das nur für mich beantworten. Ich bin von meinem Denken und Tun her Dramaturg, aber nicht jemand, der nur aus der Konzeption herauskommt, sondern aus dem Gespräch. Ich tausche mich gerne über künstlerische, aber auch andere Themen aus. Aus solchen Gesprächen können Projekte entstehen, die Substanz haben: Was wird in der Stadt gelebt, gesprochen, gefühlt? Was ist bei den Musikerinnen und Musikern ein Thema, was bei Axel Kober, unserem wunderbaren Generalmusikdirektor, oder bei Kooperationspartnern? Gibt es eigene Projektideen, die sich damit verbinden lassen? Ich komme nicht mit einem fertigen Spielplan, alles ist für mich ein Prozess.

Wohnen Sie bereits in Duisburg?

Ich habe eine Dienstwohnung im Wasserviertel, Familienzentrum ist Hamburg. Ich habe zwei Kinder, die zur Schule gehen. Für mich heißt es erstmal: Ankommen in Duisburg.

>>Das ist Nils Szczepanski

  • Der Musikwissenschaftler und Kulturmanager Nils Szczepanski war bei den Symphonikern Hamburg als Künstlerischer Betriebsleiter und Persönlicher Referent des Intendanten tätig.
  • Von 2007 bis 2013 war er als Musiktheater-, Ballett- und Konzertdramaturg am Aalto-Theater Essen (Essener Philharmoniker) engagiert.