Duisburg. Im Buch „Fantastische Welten“ erklärt Bibliothekschef Jan-Pieter Barbian, warum die Ikibu in Duisburg eine „unendliche Geschichte“ geworden ist.

Sie war eine Pioniertat mit überragendem Erfolg: Mit der Gründung der Internationalen Kinderbuchausstellung Ikibu vor 50 Jahren setzte die „Arbeiterstadt“, wie es damals hieß, ein Signal für eine neue Kinder- und Jugendliteratur. Und lenkte bundesweit die Aufmerksamkeit auf Duisburg.

Bevor die Ikibu 2021 ab 22. November ihre erste digitale Ausgabe erlebt, nachdem sie im letzten Jahr wegen Corona abgesagt werden musste, ist das Buch „Fantastische Welten“ erschienen. Es erinnert an dieses „mutige Experiment“ aus dem eine „unendliche Geschichte“ geworden ist, wie Bibliothekschef Dr. Jan-Pieter Barbian in seiner Chronik schreibt.

In Duisburg herrschte Aufbruchstimmung

Er erinnert an die Aufbruchsstimmung, die Anfang der 1970er Jahre auch in Duisburg herrschte. Maßgebliche Initiatoren der Ikibu waren der Duisburger Buchhändler Kurt Selbiger und Imma Wick, damalige Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek. Sie schmiedeten eine breite Kooperation von Verlagen, städtischen Ämtern und Kultureinrichtungen für das Lesefest. Imma Wick war maßgeblich für das Programm verantwortlich und ist die einzige noch lebende Mitbegründerin des Festivals. Sie hat ein Kapitel zum Buch beigesteuert.

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Die Ikibu 1971 war als erstes Kinder- und Jugend Lese-Festival bahnbrechend für die gesamte Bundesrepublik. Die Kinder durften durften gemeinsam mit dem Duisburger Künstler Chinmayo die Fenster der Mercatorhalle bemalen, zur Eröffnung gab es eine Party mit Mister Knister, der auch ein Ikibu-Lied komponierte.

Was die Ikibu schon früh ausmachte

Das erste Programm hatte schon alles in sich, was die Ikibu immer noch ausmacht: Lesungen mit prominenten Schriftstellern und Illustratoren, 1971 waren es unter anderem der 40-jährige Janosch, die Schriftsteller Herbert Heckmann und Otfried Preußler oder Boy Lornsen, der 1969 mit seinem Buch „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ Furore gemacht hatte; er las bei der Ikibu vor Duisburger Kindern und kam mit ihnen in die erste Ausgabe der „Sendung mit der Maus“.

Der 40-jährige Janosch las bei der ersten Ikibu in Duisburg seine Geschichten.
Der 40-jährige Janosch las bei der ersten Ikibu in Duisburg seine Geschichten. © Stadtbibliothek

Weitere Gäste waren der der Verleger Hans-Joachim Gelberg, der die Idee hatte, ein eigenständiges Kinder- und Jugendbuchprogramm zu entwickeln und bis zu seinem Ausscheiden 1997 mehr als 900 Titel herausbrachte, die Autorin Elisabeth Borchers aus Homberg, der Duisburger Autor Willi Fährmann oder die Journalistin und Malerin Ute Blaich, bei Rowohlt für die Rotfuchs-Kinderbuchreihe zuständig; sie blieben der Ikibu über Jahre treu.

1972: Jugendbuchpreis an Otfried Preußler

Auch mit ihrem Theater- und Kreativprogramm setzte das erste Festival Zeichen, sollten die Kinder nicht nur brav zuhören, sondern aktiv teilnehmen. Das Berliner „Theater für junge Zuschauer“ spielte „Der Räuber Hotzenplotz“ und der Autor Heinrich-Maria Denneborg zeigte seine Puppenspielkunst. Die Ikibu war multimedial – es gab eine Plattenbar mit 70 Schallplatten – und integrativ und inklusiv: „Gastarbeiterkinder“ waren dabei, Fakir Baykurt, selbst aus der Türkei eingewandert, zeigte sich damals als begnadeter Erzähler. Die Förderschulen wurden einbezogen. Jede und jeder willkommen.

An den überraschenden Erfolg der ersten Ausgabe, die auf Anhieb 80.000 Besucher zählte, schloss sich ein steiler Aufstieg an. 1972 wurde der Deutsche Jugendbuchpreis bei der Duisburger Ikibu an Otfried Preußler und Hans-Joachim Gelberg verliehen, der auch eine Schreibwerkstatt leitete. Ein Sonderpostamt und die Ikibu-Redaktion wurden eingerichtet. 100.000 Besucher kamen.

F.K. Waechter erfand mit Kindern Geschichten

Bei der dritten Ikibu stellte der Ravensberger Verlag auch Spiele und Puzzles vor, der Satiriker und Karikaturist F.K. Waechter erfand mit den Kindern Geschichten, und die Verleihung des Deutschen Jugendbuchpreises an Christine Nöstlinger wurde bei der Eröffnung der Ikibu im großen Saal der Mercatorhalle gefeiert. Ihr Buch „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ war 1972 bei Beltz+Gelberg erschienen, in Duisburg kam es als Theaterstück auf die Bühne. Wieder konnte die Besucherzahl gesteigert werden: auf 160.000.

Ab 1974 wurden die Bibliotheksstandorte einbezogen, dazu die Museen, die Musikschule, die Buchhandlungen und das Spielwarengeschäft Roskothen, es gab 65 Lesungen, dazu Konzerte, Ausstellungen, ein Kindermuseum, Theater- und Filmvorführungen. Zu Gast waren unter anderem Ali Migusch, Ruhrgebietsschriftsteller Josef Reding oder Wolfdietrich Schnurre, der auch gerne für Kinder schrieb.

1977 der Rekord mit 200.000 Besuchern

Auch der Frankfurter Karikaturist F.K. Waechter zählte zu den Gästen der ersten Stunde bei der Ikibu.
Auch der Frankfurter Karikaturist F.K. Waechter zählte zu den Gästen der ersten Stunde bei der Ikibu. © Stadtbibliothek

Die Ikibu blieb am Puls der Zeit, 1977 lautete das Motto sehr sachlich „Kinder und Jugendliche in der Familie“ und griff damit die Reform des Ehe- und Familienrechts auf, das die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe brachte. Der geniale Illustrator Tomi Ungerer war zu Gast ein Iki-Bus tourte durch Duisburg, und die Ikibu erreichte ihren Rekordbesuch von 200.000 Besuchern.

Viele Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur wurden auf dem Duisburger Festival zum ersten Mal oder zum ersten Mal in deutscher Sprache vorgestellt, darunter 1977 „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr oder auch 1978 „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Im gleichen Jahr machte die Ikibu Schule, und die Frankfurter Buchmesse entdeckte das Thema „Kind und Buch“.

1981 musste die Mercatorhalle zeitweise sogar wegen Überfüllung geschlossen werden. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Stadt ihren Zuschuss wegen der Haushaltsmisere gekürzt, 1982 drohte gar das Aus, als Kulturdezernent Dr. Konrad Schilling Streichungen ankündigte – zugunsten „seines“ Festivals Duisburger Akzente. Damals lag der Ikibu-Etat bei 200.000 DM, davon waren 160.000 DM aus dem städtischen Etat und 40.000 DM Landeszuschuss.

Der Umzug in die Stadtbibliothek

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Von Maren Schürmann

1983 zog die Ikibu in die Stadtbibliothek mit reduziertem Programm um. Nach wie vor aber liest sie die Gästeliste wie ein „Who is Who“ der Kinder- und Jugendbuchliteratur. 1985 gab es das Schwerpunktthema Litauen, ging es mit der Fernsehmoderatorin Margarethe Schreinemakers auch um das Frauenbild in den Medien. Später kamen TV-bekannte Gesichte wie Jean Pütz und Christoph Biermann gern nach Duisburg.

Ausgerechnet 1989, im Jahr des Mauerfalls, stand nach 1987 wieder das Thema DDR auf der Agenda, eingeladen waren 13 Autoren, Illustratoren und Verleger aus der DDR. In den 90er Jahren lockten Themen wie „Indianer“ und „Mittelalter“ bis zu 12.000 Besucher in die Bibliotheken.

Im 21. Jahrhundert steht bei der das Zusammenspiel von Büchern, Internet, audiovisuellen und digitalen Medien im Mittelpunkt, wie Barbian beschreibt. Zum 30-Jährigen Bestehen 2001 hieß das Motto „Fantastische Welten“, waren Paul Maar und der Zeichner Manfred Bofinger zu Gast, Schülerinnen und Schüler führten das „Sams“ auf.

Imma Wick erinnert sich an Bilderbuchkünstler

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2003 kam unter dem Motto „Tierisch gut“ auch „Löwenbändiger“ Martin Baltscheit, 2006 waren Krimis für Kinder ein Thema. Ab 2006 konzentrierte sich die Ikibu auf das Schulprogramm und einen Aktionstag. 2012 wurde zum letzen Mal der NRW-Jugendbuchpreis in Duisburg verliehen (an Antje Damm für „Hasenbrote“), und dann ging es thematisch in den Weltall und nach Afrika.

Imma Wick hat die Ikibu bei der Gründung vor 50 Jahren und über 20 Jahre lang geprägt.
Imma Wick hat die Ikibu bei der Gründung vor 50 Jahren und über 20 Jahre lang geprägt. © FUNKE Foto Services | Stephan Eickershoff

Imma Wick, die stets Wert gelegt hat auf die künstlerische Qualität von Illustrationen erinnert sich gern auch an Helme Heine oder den Schweizer Bilderbuchkünstler Jörg Müller. Oder wie sie Judith Kerr überreden musste, wegen des Andrangs in der großen Mercatorhalle mit Mikrofon aus ihrem Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ zu lesen.

Unvergessen sind ist für sie aber auch Lesungen in der JVA Hamborn. Die damalige Direktorin hatte darum gebeten, da junge Häftlinge Briefe in die Jugendbibliothek zu Händen Imma Wick geschrieben hatten, „die ich an ihre Freundinnen weitergeben sollte“, berichtet die Kinder- und Jugendbuchexpertin, die über viele Jahre Buchtipps in dieser Zeitung gegeben hat. Im Laufe der Zeit sei das Interesse der Häftlinge an Literatur so groß geworden, „dass wir als Stadtbibliothek eine Bücherei in der JVA einrichteten“.

>> Ein Vorhaben der Bibliotheksstiftung

  • Das reich bebilderte Buch „Fantastische Welten“ mit 160 Seiten ist im Mercator-Verlag erschienen, es kostet 18 Euro.
  • Finanziell unterstützt wurde das Vorhaben der Bibliotheksstiftung durch die Volksbank Rhein-Ruhr, die die Ikibu in den letzten 20 Jahren kontinuierlich fördert.