Duisburg. Richter Schwartz hat in Duisburg in vielen Mordprozessen das Urteil gesprochen. Bekannt wurde er durch die Entscheidung zum Loveparade-Verfahren.
Für Joachim Schwartz ging es 13 Jahre lang meist um Leben und Tod. Das klingt dramatisch. Und das ist es auch. Denn der Anlass für jene Strafverfahren, die vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Duisburg geführt werden, ist fast immer der gewaltsame Tod eines Menschen oder zumindest der Versuch, jemanden um sein Leben zu bringen. Und so bitter die Tat für das Opfer und seine Angehörigen ist, so folgenschwer kann sie im Falle einer Verurteilung auch für die Angeklagten sein. Vorsitzender einer solchen Kammer zu sein, ist deshalb eine besondere Aufgabe. Richter Joachim Schwartz hat sie mit Sorgfalt, Augenmaß und seinem ganz besonderen Humor wahrgenommen. Nun geht er in den Ruhestand.
„In Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil.“ Wie oft er diesen Einleitungssatz bei der Urteilsverkündung des Schwurgerichts gesprochen hat, weiß der 65-Jährige nicht. „Ich habe sie nicht gezählt.“ Deutlich mehr als 300 Fälle müssten es allerdings gewesen sein, meint er nach kurzer Hochrechnung. Die meisten endeten mit mehrjähriger Haft. Oder mit der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Lebenslang kam dagegen, entgegen landläufiger Vorstellung, eher selten vor.
Gebürtiger Düsseldorfer kam erst spät ans Gericht
„Ich habe diese Arbeit gerne gemacht“, so das schnörkellose Fazit von Joachim Schwartz. Dabei hatte der gebürtige Düsseldorfer zunächst eine deutlich weniger aufregende berufliche Tätigkeit eingeschlagen. „Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt gemacht und war bei der Bezirksregierung im Bereich Wasser- und Abfallwirtschaft tätig.“
Das recht spät aufgenommene Jura-Studium sollte eigentlich nur der Zugang zur höheren Beamtenlaufbahn sein. „Doch als ich am Ende des Studiums noch einmal einige Monate bei der Bezirksregierung war, habe ich gemerkt, dass das nichts mehr für mich war.“ Er wollte Richter werden, auch wenn er die zuständigen Stellen erst noch davon überzeugen musste, ihn auch knapp jenseits der Altersgrenze einzustellen.
Schon als Proberichter saß er beim Duisburger Schwurgericht
Im Oktober 1990 fing er als Proberichter beim Landgericht Duisburg an; ungewöhnlicherweise gleich als Beisitzer beim Schwurgericht. „Innerhalb weniger Tage war alles klar“, erinnert sich Schwartz. Klar, dass er sich zukünftig vor allem auf das Strafrecht konzentrieren wollte. Zuvor musste er sich allerdings als Zivilrichter mit Mietsachen und in der Wirtschaftsstrafkammer mit Steuervergehen befassen.
1998 übernahm Joachim Schwartz eine Berufungskammer für Strafsachen. Bis heute hält er einen Rekord: An einem Tag hat er mal 13 Fälle verhandelt. Bis in den Abend hinein. Die zuständige Protokollführerin ließ sich ein T-Shirt drucken auf dem unter der Überschrift „Prozess-Marathon“ das Datum und der Spruch „Ich war dabei“ zu lesen waren. Joachim Schwartz muss bis heute darüber grinsen. Seinen Humor hat er auch nicht verloren, als er 2008 Vorsitzender der 5. Großen Strafkammer wurde.
Joachim Schwartz war immer für einen Spruch gut
Die Sprüche, die er bei aller Tragik mancher Verfahren von sich gab, sind legendär. Sie müsse erst einmal über das soeben Gehörte nachdenken, meinte einst eine Anwältin, und bat um fünf Minuten Pause. Schwartz lächelte freundlich als er antwortete: „Wenn sie, Frau Anwältin, nachdenken müssen, machen wir 15 Minuten Pause.“
Die Vernehmung eines Polizisten, der einen mutmaßlichen 81 Jahre alten Gattinnenmörder und gescheiterten Selbstmörder im Krankenhaus vernahm, ohne zuvor einen Arzt nach der Vernehmungsfähigkeit zu fragen, brach er kurzerhand ab. Nachdem der verwunderte Zeuge abgezogen war, blickte Schwartz in die Runde: „Die Älteren unter uns werden sich noch an die beliebte Sendereihe ‚Was bin ich?‘ erinnern. Eine Standardfrage lautete dort immer: Benötigen sie für ihre Berufsausübung eine Ausbildung?“
„Man entscheidet nicht aus der Emotion heraus.“
Es sind solch spitzzüngige Kommentare in Verbindung mit seiner Wortgewandtheit und Souveränität, die Schwartz in den Augen mancher als arrogant gelten lassen. Wer ihn näher kennt weiß, dass er es nicht ist. „Ich hasse Dummheit“, gesteht er. „Aber am meisten hasse ich meine eigene.“
Dass ihm manche Fälle nahe gingen, gibt Schwartz unumwunden zu. „Zum Beispiel erinnere ich mich an ein Baby, das als Folge einer Misshandlung sein Leben lang ein Schwerstpflegefall bleiben wird.“ In solchen Verfahren gebe es Momente, die man als besonders tragisch ansehe. Schließlich habe auch ein Richter normale Empfindungen. Für ihn sei es aber nie ein Problem gewesen, die notwendige professionelle Distanz zu wahren. „Man entscheidet nicht aus der Emotion heraus. Und man entscheidet nicht allein.“
Bekanntheit durch die Entscheidung zum Loveparade-Verfahren
So sei es auch bei jener Entscheidung gewesen, die Schwartz weit über Duisburg hinaus bekannt werden ließ: Die 5. Große Strafkammer lehnte 2016 die Eröffnung des Loveparade-Verfahrens ab. „Wir haben bei der Bearbeitung der unvorstellbaren Menge an Beweismitteln viel Kraft eingesetzt und die Entscheidung getroffen, die wir für richtig hielten.“ Was später geschah, habe er mit Interesse zur Kenntnis genommen. Mehr will er dazu nicht sagen.
Was sich in der Zeit seiner richterlichen Tätigkeit verändert habe? Joachim Schwartz muss nicht lange nachdenken. „Das Klima in den Sitzungen.“ Vor 30 Jahren habe man zwar schon gelegentlich von Konflikt-Verteidigern gehört. Inzwischen aber habe man es immer öfter mit Anwälten zu tun, die „krampfhaft versuchen anders als andere zu sein“. Meist sei das kein Vorteil für den Angeklagten, da viele Beweisanträge am Ende nicht das beweisen, was der Antragsteller im Sinn gehabt habe. „Und so habe ich gelegentlich Angeklagten am Ende versichern müssen, dass ihr Verteidiger für sie das Meiste heraus geholt habe.“
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Ob er noch was loswerden möchte? „Unbedingt“, betont Joachim Schwartz. Und er verweist darauf, dass er seit 25 Jahren glücklich mit seiner Frau Andrea verheiratet ist. Obwohl oder gerade weil die auch Richterin ist. Und das auch noch beim selben Gericht. Und er hat zwei erwachsene Kinder. Die 31-jährige Sarah ist Medizin-Biologin mit Schwerpunkt Krebszellenforschung, der frisch verheiratete Stefan (34) Physiker. Die Mutter der Kinder und Ex-Lebensgefährtin heißt Hildegard. „Wir sind inzwischen alle zusammen sowas wie eine Großfamilie, die sich großartig versteht.“ Und diese Familie ist wohl das, worauf er wirklich Stolz empfindet.
>>Richter hält es im Ruhestand wie Angela Merkel
- Er sei immer wieder nach Plänen für seinen Ruhestand gefragt worden, so Joachim Schwartz. „Ich hatte beinahe schon ein schlechtes Gewissen. Aber dann hat mir Angela Merkel geholfen. Die hat gesagt, nach Jahren beruflicher Verpflichtung werde sie es erst einmal genießen, nichts vorzuhaben.“
- Man müsse sich aber keine Sorgen machen, dass er sich langweilen werde, so der Fußballfan. „Ich habe Hobbys. Sogar ein recht skurriles: Ich fotografiere leidenschaftlich gerne Eisenbahnen.“