Duisburg. Ein weiteres Duisburger Traditionsunternehmen ist bald Vergangenheit. Feintäschner Walter Marciniak schließt seinen Laden am Sonnenwall.

Wer suchet, der findet! Nicht immer. Seit September vergangenen Jahres hat Walter Marciniak sich nach einem Nachfolger umgesehen, der sein Lederwarengeschäft und die Werkstatt am Sonnenwall übernimmt. Vergeblich. Nun zieht der 67-jährige Duisburger die Konsequenz und schließt im Juli sein Laden und seine Werkstatt. Damit verliert die Duisburger Innenstadt ein weiteres traditionsreiches Unternehmen und eines der letzten inhabergeführten Fachgeschäfte.

Einer der letzten seiner Art

Aber der Verlust ist weit größer, denn Walter Marciniak gehört zu den letzten seiner Art. „Mit uns geht ein Stück Kultur verloren“, sagt Marciniak, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat. „Wir sind ein aussterbendes Gewerbe, es wächst nichts mehr nach. Die Täschnerei wurde schon vor zwei Jahren von der Handwerksliste gestrichen. Es gibt eigentlich nur noch Sattler, aber die werden auch immer weniger.“

Dennoch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben und hat über die Börse „Next Change“, die von der Handwerkskammer, dem Sparkassenverband und der IHK getragen wird, deutschlandweit nach einem Nachfolger gesucht. Ein einziger Interessent hat sich daraufhin bei ihm gemeldet. Doch der gehörte scheinbar eher der „Zunft“ der Leichenfledderer an. Nicht mit Walter Marciniak: „Der wollte alles übernehmen, aber am liebsten nichts bezahlen.“ Also tagte der Familienrat und fasste den gemeinsamen Beschluss, das am 12. Juni 1923 von Walter Marciniaks Großvater gegründete Unternehmen aufzugeben. Denn Marciniaks zwei Söhne haben als Hufschmied und Tischler zwar auch ein Handwerk erlernt, aber sie sind eben nicht in die Fußstapfen des Vaters getreten.

Reparaturen und Spezialaufträge

40 Jahre lang gehörte die Feintäschnerei Leder Marciniak zum Straßenbild am Sonnenwall, der damals noch als 1a-Lage galt. Zehn Jahre lang mit der Hausnummer 17, 30 Jahre mit der Nummer 21 bot Marciniak hochwertige Leder- und Markenprodukte an, von Damenhandtaschen und Geldbörsen über Schulranzen samt Federtäschchen bis hin zu strapazierfähigen Koffern und Rucksäcken. Zum Unternehmen gehörte auch eine etwa 500 Quadratmeter große Werkstatt mit Lager für Reparatur- und Spezialaufträge an der Dellstraße, in der zeitweise sogar in Schichten gearbeitet wurde, wie Walter Marciniak erzählt.

Seinerzeit hatte er sich für den Reparaturservice von Eastpack beworben und den Zuschlag erhalten. „Die gaben ja lebenslange Garantie auf ihre Rucksäcke“, sagt Marciniak. „Wir hatten richtig gut zu tun. Dann kam aber von heute auf morgen ein neuer Manager mit der Ansicht, dass die Reparaturarbeiten preiswerter in Polen gemacht werden könnten.“ Ein Trugschluss, wie sich später herausstellte, da die Versandkosten ja ebenfalls eingerechnet werden mussten. Marciniak: „Danach bekamen die Kunden nur noch Gutschriften.“ Die defekten Rucksäcke wanderten in den Müll.

Handwerk mit goldenem Boden

Handwerk hatte für Walter Marciniak auch nach der Wende noch goldenen Boden. „Da war das Geschäft gut, weil es in den ostdeutschen Bundesländern noch viele Handwerksbetriebe gab, die wir als Großhandel belieferten“, erinnert sich gebürtige Neudorfer. Aber auch das sei mittlerweile Vergangenheit, weil nichts mehr nachwachse.

Das Schild mit dem Hinweis auf einen Umbau trügt. Leder Marciniak wird wegen Geschäftsaufgabe geschlossen. Walter Marciniak hatte die Schilder in Auftrag gegeben und die falschen erhalten. Der Räumungsverkauf geht noch bis in die erste Juliwoche.
Das Schild mit dem Hinweis auf einen Umbau trügt. Leder Marciniak wird wegen Geschäftsaufgabe geschlossen. Walter Marciniak hatte die Schilder in Auftrag gegeben und die falschen erhalten. Der Räumungsverkauf geht noch bis in die erste Juliwoche. © FUNKE Foto Services | Foto: Jörg Schimmel

Doch vor zwanzig Jahren begann der Niedergang des Lederhandels, meint Marciniak: „Das Internet hat uns vorwiegend das Genick gebrochen.“ Auch er habe es zigmal erlebt, dass Kunden seinen Laden betraten, sich beraten ließen, Fotos machten und dann im Internet das billigste Angebot raussuchten. Dennoch war Walter Marciniak mit seiner Auftragslage und seinen Umsätzen zufrieden. „Bis zum ersten Lockdown ging es noch ganz gut. Danach haben wir gemerkt, dass es langsam immer weniger wurde.“

Die Leute hätten viel aussortiert und weggeworfen statt es reparieren zu lassen. Infolgedessen schloss Marciniak seine Werkstatt an der Dellstraße und verkleinerte sie im Keller seines Ladenlokals. Eine seiner vier Mitarbeiterinnen hat er mitgenommen, die anderen haben sich teils selbstständig gemacht oder eine andere Arbeit gefunden, worüber er froh ist: „Ich habe niemanden entlassen müssen.“

Sonnenwall hat sich sehr verändert

Der zweite Lockdown war für die Feintäschnerei aber nicht mehr zu verkraften. Werkstatt geschlossen, Laden geschlossen. „Ich kann nur froh sein, dass ich so einen humanen Hausbesitzer habe“, lobt Walter Marciniak seinen Vermieter, der ihm in dieser Situation sehr entgegengekommen sei.

Für Marciniak haben aber noch weitere Komponenten dazu beigetragen, dass er nun seinen Abschied nimmt: „Der Sonnenwall hat sich sehr verändert. Fürchterlich.“ Früher habe die Straße noch eine Aufenhaltsqualität gehabt mit zahlreichen Geschäften, Cafés und Gastronomiebetrieben. Ein-Euro-Läden hätte es nicht gegeben und schon gar nichts sechs Nagelstudios in unmittelbarer Nachbarschaft. „Die Duisburger Innenstadt hat keine Urbanität mehr“, kritisiert Marciniak. „Gehen Sie mal über die Königstraße."

Ausverkauf bis in die erste Juli-Woche

Der Ausverkauf ist längst gestartet und läuft noch mindestens bis in die erste Juli-Woche. Die Auswahl an Taschen und Koffern im Laden ist höchst überschaubar geworden, aber da gibt es ja noch das bis unter die Decke vollgestopfte Lage in dem verwinkelten Keller mit Kisten und Kästchen voller Reißverschlüsse, Nieten, Druckknöpfe, Gürtelschnallen und Lederhäuten. Der Geschäftsmann ist sich aber sicher, dass er das quitt wird, bevor er die Tür endgültig zuschließt: „Ich halte so lange auf, bis alles leer ist. Hier bleibt nichts liegen, ich muss nicht viel auf den Müll werfen.“