Duisburg. In Europa gilt bald ein neues Regelwerk für nachhaltige Finanzierung. Deshalb befürchtet die Duisburger Stahlindustrie gravierende Nachteile.

Die Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union soll die Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Tätigkeiten und Finanzprodukten messbar machen. Die Stahlindustrie und die IG Metall sehen durch das Brüsseler „Green finance“-Regelwerk, das Ende 2021 in Kraft treten soll, die Umstellung ihrer Anlagen auf eine weitgehend klimaneutrale der Produktion massiv gefährdet.

„Die Politik nimmt den Unternehmen den Zugang zur Finanzierung ihrer Geschäfte“, warnt Dr. Gerhard Erdmann, Vorstand von Wirtschaftsvereinigung und Arbeitgeberverband Stahl und Geschäftsführer der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg.

„Es droht die konkrete Gefahr, dass die von den Unternehmen gewollte Klimaneutralität nicht erreicht wird, weil die Finanzierung der Zwischenschritte scheitert“, erklärte Erdmann jüngst bei einem Besuch von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf der Hütte im Duisburger Süden. Mit auf den Weg bekam die Ministerin einen Brandbrief, in dem sich auch Knut Giesler, Chef der IG Metall NRW, der dringenden Bitte anschließt, „dass die von allen gewollte Erreichung einer klimaneutralen Stahlproduktion nicht an Normen scheitert, die eine Finanzierung der Zwischenschritte durch die Unternehmen de facto verhindern“.

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Wirtschaftsvereinigung Stahl: Taxonomie muss Transformation unterstützen

Es geht um das Klassifikationsgesetz der EU, das Ende 2021 in Kraft treten soll. Bei Kapitalanlegern soll es Anreize setzen für nachhaltige Investments sowie bei Banken und Versicherern die Finanzierung nachhaltiger Projekte befördern. In ihren Lageberichten sollen sie künftig ausführen müssen, wie und in welchem Umfang ihre Geschäftstätigkeit den Anforderungen an Nachhaltigkeit entspricht.

Die Politik dürfe den Unternehmen nicht den Zugang zur Finanzierung ihrer Geschäfte verbauen, fordert Dr. Gerhard Erdmann, Geschäftsführer der HKM sowie Vorstand von Wirtschaftsvereinigung und Arbeitgeberverband Stahl.
Die Politik dürfe den Unternehmen nicht den Zugang zur Finanzierung ihrer Geschäfte verbauen, fordert Dr. Gerhard Erdmann, Geschäftsführer der HKM sowie Vorstand von Wirtschaftsvereinigung und Arbeitgeberverband Stahl. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Im Umkehrschluss heißt das: Banken, die klimaschädliche Vorhaben finanzieren, werden dafür bei Investoren und an den Börsen abgestraft. „In der Realität ist das längst angekommen“, sagt Dr. Gerhard Erdmann, bei HKM zuständig für die Finanzierung von Projekten. Die Unsicherheit über die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland erschwere schon seit längerem die Verhandlungen mit den Banken erheblich. Umso wichtiger sei es, dass die EU-Taxonomie den Weg zur Klimaneutralität unterstütze anstatt sie zu verhindern, heißt es in einem Positionspapier der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Umstellung auf CO2-arme Produktion ist kurzfristig nicht möglich

Das, so fürchten Unternehmen und Gewerkschaften, bewirkten aber die „delegierten Rechtsakte“ zur Verordnung. Die Entwürfe zu diesen Ausführungsbestimmungen sehen vor, „dass nicht das Gesamtprojekt Transformation mit dem Endziel CO-freier Stahl, sondern jede Maßnahme auf dem Wege dorthin separat betrachtet wird“, erläutert Erdmann.

Der Umbau der Aggregate – Hochöfen müssen durch Direktreduktionsanlagen, Koks durch Wasserstoff ersetzt werden - könne sich aber nun in Etappen über viele Jahre hinweg vollziehen. Die ersten Anlagen sollen zwar um 2025 in Betrieb gehen, ob bis dahin „grüner“ Wasserstoff in ausreichender Menge verfügbar ist, darf bezweifelt werden. Sicher ist: Um ihren Weg zum finalen Ziel zu finanzieren, müssen die Hersteller auf Sicht weiter auf der Hochofen-Konverter-Route produzieren, dazu ihre Anlagen instand halten.

Dr. Gerhard Erdmann: Müssen das Geld für die Umstellung verdienen können

Für HKM heißt das: Einer der beiden Hochöfen muss 2027 neu zugestellt werden, das erfordert mindestens 120 Millionen Euro Investition in die bisherigen, CO-intensiven Verfahren. „Wenn wir das nicht finanziert bekommen, ist die Hälfte der Produktion weg“, rechnet Erdmann. Die Hütte sei dann nicht mehr in der Lage, das Geld für die Umstellung auf grünen Stahl zu verdienen.

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Die Stahlindustrie sei „Grundpfeiler der industriellen Wertschöpfung. Sie zeigt, wie man vom Problem zum Teil der Lösung werden kann“ lobte Umweltministerin Svenja Schulze den angestrebten Weg zum grünen Stahl: „Wir wollen, dass es hier ein hervorragender Standort bleibt.“ Wenn es so sein soll, sagt Dr. Gerhard Erdmann, dürften die Banken für die Finanzierung unabdingbarer Vorhaben nicht in die Ecke der Klimasünder gestellt werden: „Man muss die Gesamtstrategie betrachten, nicht ausschließlich das einzelne Projekt.“

STICHWORT: DIE TAXONOMIE-VERORDNUNG DER EU

  • Mit der Taxonomie-Verordnung setzt die Europäische Union ab 1. Januar 2022 die weltweit erste „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten in Kraft. Die EU-Kommission beschreibt sie als „gemeinsames Klassifizierungssystem mit einheitlichen Begrifflichkeiten, das Anleger überall verwenden können, wenn sie in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten mit erheblichen positiven Klima- und Umweltauswirkungen investieren wollen“.
  • Banken und Versicherer müssen künftig in ihren Lageberichten erklären, wie und in welchem Umfang ihr Engagement mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden ist. Investmentfonds, die Produkte beispielsweise „ökologisch“ nennen, müssen künftig über deren Taxonomie-konformen Anteil informieren.
  • Die Details sollen „Delegierte Rechtsakte“ zur Verordnung klären. Ziel der Taxonomie ist es, durch die Förderung privater Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte einen Beitrag zum Europäischen „Green Deal“ zu leisten.