Duisburg. Pokémon-Karten sind heiß begehrt, einzelne Exemplare kosten so viel wie eine Luxusuhr. Drei Duisburger über den Hype – und Tipps für den Verkauf.

Tim Ostholt hat seine Schätze vor sich ausgebreitet. Hier funkelt die blaue Panzerechse Turtok, dort grinst schaurig-schelmisch ein Gengar. Und erst die Gluraks. Die roten Drachen mit dem feurigen Atem sind die glänzenden Gesichter des Pokémon-Hypes. Geschützt heute nur durch Plastikhüllen, sonst sicher verwahrt hinter dickem Stahl – bei der Bank oder beim Juwelier. „Dann liegen Pokémon-Karten neben Rolex-Uhren. Ziemlich konträr“, sagt der Duisburger mit einem Lachen.

Spielkarten und Luxusuhren? Was kaum zusammenpassen mag, schlummert inzwischen wie selbstverständlich in Duisburger Tresoren. Und nicht nur dort, schließlich haben Videos von Youtubern aus den USA im vergangenen Jahr eine Pokémon-Welle ausgelöst, die längst die ganze Welt erfasst hat. Alter, Zustand und Seltenheit bestimmen den Karten-Wert der inzwischen 898 Pokémon. Und so gehen einzelne Exemplare auch mal für eine halbe Millionen Euro über die virtuelle Ladentheke, während Menschen wie Heuschrecken auf Nahrungssuche über Geschäfte mit letzten Paketen und Boxen herfallen. Es herrscht Pokémania – und mittendrin sind drei Duisburger.

Der mit dem richtigen Riecher: Pokémon-Verkäufer Tim Ostholt aus Duisburg

Einer davon ist Tim Ostholt. Er sitzt in seinem Ruhrorter Büro, die Wände sind kahl, der Schreibtisch ist voll. Zwei Bildschirme, ein Laptop und jede Menge Pokémon-Karten in Hüllen und Ordnern weisen den 32-Jährigen als Anhänger des Trends aus. Der flimmerte schon früh über das Smartphone von Ostholt, schließlich gehört er seit Jahren zur Gaming- und Streamerszene und hat Kontakte in die USA.

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Sein Interesse an Sammelkarten und das daraus resultierende Wissen hat er zum Geschäft gemacht: Ostholt verkauft alte Karten, die die Besitzer von ihrem Keller-Staub befreit und ihm anvertraut haben – und stellt seine Dienstleistung anteilig in Rechnung. Und der Verkaufspreis ist immens, wie Ostholt mit Blick alleine auf die Exemplare vor ihm bemerkt: Auf rund 200.000 Euro schätze er ihren Wert.

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Welche Folgen der Hype um die 6 mal 8,5 Zentimeter großen Papierkarten nach sich zieht, konnte Ostholt live nachvollziehen. „Ich habe in Hamborn einen jungen Mann erlebt, der für 500 Euro Happy-Meals gekauft hat, um an bestimmte Promokarten zu kommen“, erzählt er. Oder die Mutter, die in einer Facebook-Gruppe angeboten hätte, die kleinen Pakete zum Selbstpreis zu besorgen, weil es sie im Ort noch gebe. Nur um zwei Stunden später festzustellen, das andere den Laden auf ihren Hinweis schon restlos leergekauft hätten. Ostholt: „Dass etwas so durch die Decke geht, habe ich noch nie erlebt.“

Der mit der Leidenschaft: Pokémon-Streamer Nico Skaliks

Pokémon beherrschen wieder die Zimmer vieler kleiner und großer Kinder – den Bärenanteil daran haben Menschen wie Nico Skaliks. Der 29-Jährige sitzt an einem Donnerstag im Mai in einem abgedunkelten Raum vor dem Computer, an der Wand leuchtet blaues Neonlicht. Zwei Kameras sind auf sein Gesicht und seinen Tisch gerichtet, um jede Bewegung, jede Emotionen aufzuzeichnen und live ins Netz zu übertragen. Skaliks streamt die nächsten Stunden als „sk4likz_tv“, auf dem Programm steht ein „Pokémon-Opening“.

Nico
Nico "sk4likz_tv" Skaliks öffnet auf der Streamingplattform Twitch Pokémon-Kartenpacks vor Zuschauenden. © Twitch.tv | Screenshot

Dabei öffnet der Duisburger Karten-Packs der neueren Pokémon-Generation, die Zuschauer haben sich eingekauft, alle hoffen auf den Jackpot. Ein paar dicke Fische (oder Drachen) zieht er am Ende des Abends an Land – wenn auch nicht in der Gewichtsklasse, wie Tim Ostholt sie auf dem Tisch hat. Dennoch: Die Leidenschaft, mit der Skaliks jedes seltene Pokémon bejubelt, die Freude, gute Karten für andere zu ziehen – sie reißt mit.

„Das ist ein Stück Kindheit für mich“, erzählt Skaliks und erinnert sich an Kartenschnibbeln auf dem Schulhof, an virtuelle Abenteuer am Gameboy und Touren mit seinem Vater, um die letzten noch fehlenden Monster seiner Sammlung hinzuzufügen. Die verschwand dann im Keller und wäre heute viel Geld wert, wenn nicht ein Wasserschaden gewütet hätte. „Ärgerlich“, gibt der Fan zu, „aber die Erinnerung bleibt."

Der Überrannte: Pokémon-Händler Jens Schriwer vom Comic Planet

Zurück zum Geschäft. Und damit zu Jens Schriwer, der die Duisburger Filiale von Comic Planet führt. Als Händler verfolgt er die Jagd nach dem gelben Elektro-Knuddelchen Pikachu seit mehr als zehn Jahren, er spricht von wellenförmigen Schüben der Aufmerksamkeit. Sei es durch die Einführung von Pokémon Go 2016, sei es aktuell, sei es erwartbar im Oktober zum 25-jährigen Jubiläum. Aber: „So einen krassen Push wie jetzt habe ich noch bei keinem Spiel erlebt.“

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Wenn Schriwer also mal ein paar Karten-Pakete vorrätig hat, sind diese auch schnell wieder weg. Die Preise seien hochgeschossen, alles komme mit Verzögerung, erklärt der Händler – und das mache die Menschen nervös. Tränen der Eltern auf der erfolglosen Suche nach einem Ostergeschenk sind noch harmlos, Abzocke über Ebay und Facebook und selbst Angriffe mit Pfefferspray auf einen Sammler – passiert Ende Februar in Lünen – sind es nicht mehr.

Pokémon-Karten als Langzeitinvestment

Wie lange der Erregungszustand noch anhält, kann keiner aus dem Trio sagen. Tim Ostholt rät zu einem kühlen Kopf – auch was mögliche Schätze im eigenen Keller anbelangt. Gut informieren und bei Bedarf die Karten bei einem professionellen Unternehmen bewerten lassen sind zwei der Tipps des Fachmanns. Ostholt: „Gerade ältere Karten verlieren ihren Wert nicht, weil sie nicht mehr hergestellt werden. Das ist ein Langzeiginvestment.“ Denn für ihn, Nico Skaliks und Jens Schriwer ist klar: Der nächste Hype kommt bestimmt.

Eine bunte Geldanlage: Tim Ostholt schätzt den Wert der Pokémon-Karten auf dem Tisch auf rund 200.000 Euro.
Eine bunte Geldanlage: Tim Ostholt schätzt den Wert der Pokémon-Karten auf dem Tisch auf rund 200.000 Euro. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

>>Der weltweite Siegeszug der Taschenmonster

  • Die Pokémon, übersetzt Taschenmonster, erfand der Japaner Satoshi Tajiri. Am 27. Februar 1996 veröffentliche Publisher Nintendo die ersten beiden Spiele für den Gameboy, in Deutschland erschienen diese am 8. Oktober 1999 als rote und blaue Edition – fast zeitgleich lief auf RTL2 die Animeserie um Trainer Ash, sein Pikachu und die Jagd nach weiteren Pokémon an.
  • Waren es zu Beginn 151 Pokémon, gibt es inzwischen 898 der Monster. Allein die Videospiele verkauften sich bislang über 300 Millionen Mal, das Sammelkartenspiel gehört mit über 25 Millionen verkauften Karten zu den erfolgreichsten der Welt.