Duisburg. Ärzte berichten aus Praxen mit hohem Migrantenanteil eine besondere Impfskepsis. Die wird auch im Impfzentrum sichtbar. Eine Ursachenforschung.

Die Corona-Infektionszahlen in Duisburger Stadtteilen, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, sind überdurchschnittlich hoch (wir berichteten). Im Impfzentrum aber liegt ihr Anteil nach Informationen unserer Redaktion deutlich unter dem im Bevölkerungsdurchschnitt. Auch hier wirkt die Pandemie wie ein Brennglas: Wer arm und schlecht informiert ist, dessen Gesundheitsrisiken sind hoch.

Belastbare Zahlen, ob Menschen mit Migrationshintergrund sich seltener impfen lassen oder häufiger auf Intensivstationen behandelt werden müssen, gibt es nicht; Herkunft oder Religion von Patienten und Patientinnen werden nicht erfasst. In Duisburg bestätigen Hausärzte mit Praxen in Vierteln mit hohem Migrantenanteil, dass bei vielen ihrer Patienten das Misstrauen gegenüber dem Impfen groß sei.

Corona-Impfung: Migranten in Duisburg oft misstrauisch

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„Überzeugen, überzeugen, überzeugen“, sei gefordert. Dr. Eugen Breimann, seit 1987 Hausarzt in Beeck, schließt aus seinen Beobachtungen: „Es stimmt, dass es deutliche Vorbehalte gibt.“

„Besonders ältere Menschen“ seien skeptisch und noch ablehnender gegenüber dem in Verruf geratenen Impfstoff von Astrazeneca als Menschen ohne Migrationshintergrund.

Als Palliativmediziner betreut Breimann Patienten, die schwerst an Covid-19 erkrankt sind, und er warnt: „Das Sterben auf der Intensivstation ist brutal.“ Es seien schreckliche Bilder, die Impfgegner egal welcher Herkunft überzeugen müssten, meint Breimann.

Vor allem Astrazeneca wird abgelehnt

Astrazeneca sei ein guter Impfstoff, dessen Nebenwirkungen völlig überzogen eingeschätzt würden, dabei gebe es bei „einer Million Geimpften nur 14 Hirnvenenthrombosen“.

Bei seinen vielen Hausbesuchen in Obermarxloh sehe er im türkischen Fernsehen, dass auch in der Türkei zum Impfen aufgefordert werde. „Ohne Aufklärung geht es nicht“, sagt Breimann. In der Türkei waren bis zum 28. April 22 Millionen Dosen verimpft, vollständig geimpft zu diesem Termin waren 10,5 Prozent der Bevölkerung.

Nord-Süd-Gefälle- So dramatisch teilt Corona Duisburg Ein anderer Hausarzt, der seit über 20 Jahren in Marxloh praktiziert und nicht genannt werden möchte, nennt die Überzeugungsarbeit bei seinen türkischstämmigen Patienten „ein schweres Brot“. Seine Erfahrung: „Die Älteren wollen nur Biontech, Frauen um die 30 haben Angst um ihre Fruchtbarkeit.“

Er erlebe, dass auch jüngere Menschen verunsichert sind, etwa durch Falschmeldungen im Internet und Horrorvideos, die aufs Handy kommen. Dass manche auch eine Impfung im Ramadan ablehnen, überrascht ihn nicht. Seine Patienten mit Diabetes würden während der Fastenzeit häufiger ihre Medizin zu spät nehmen.

Jüngere Generation überzeugt oft die Älteren

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Eine Hausärztin berichtet, sie müsse stets diskutieren, wenn sie Ältere mit Astrazeneca impfen wolle und höre Sätze wie: „Ich bekomme kein Biontech, weil ich Türke bin.“

Dabei sei ihre ganze Praxis mit Astrazeneca geimpft: „Wir verteilen Flyer, die türkischsprachigen Mitarbeiterinnen bemühen sich.“ Andererseits überzeuge die jüngere Generation oft Eltern oder Großeltern und begleite sie zum Impfen. Für die Ärztin ist die Impfbereitschaft eine Frage der Bildung. „Ich wünsche mir, dass sich herumspricht, dass Astrazeneca gut verträglich ist.“

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Zahnärztin Dr. Nazan Sirin, Ratsfrau der Grünen, Vorsitzende im Gleichstellungsausschuss und Mitglied des Integrationsrates, sieht nicht das Impfen generell als Problem, sondern die Diskussion über Astrazeneca, der als „Billigimpfstoff“ abqualifiziert werde. Biontech werde doch in Deutschland hergestellt, warum dann nicht auch geimpft, fragten sich viele, die Ärzten und Medien nicht mehr glaubten. Sie seien frustriert, wüssten nicht, was richtig und was falsch sei.

Auch dass das Impfen bei den Hausärzten erst kürzlich begonnen habe, sei nicht jedem bewusst gewesen. „Für mich liegt es primär an der Sprachbarriere – und dass Biontech zu sehr gelobt worden ist“, sagt Nazan Sirin.

Moschee-Vorstand: Gemeinde hält sich streng an Corona-Hygienekonzept

Bei den Mitgliedern der Gemeinden erlebt Hülya Ceylan, Vorstand der Merkez-Moschee, keine größere Impfskepsis als in der Gesellschaft allgemein. Auch im zweiten Ramadan während der Pandemie halte man sich streng an das Hygienekonzept, das der Koordinierungsrat der Muslime vorgegeben hat. Jeden Freitag werde von den Imamen mehrfach auf die Hygienevorschriften aufmerksam gemacht.

Duisburg- Gegen jugendlichen Leichtsinn in Corona-Hotspots Ordnungsamt und Polizei seien stets im Haus, über Kameras werde das Geschehen rund um die Merkez-Moschee in Marxloh beobachtet.

Erstmals hat vorigen Freitag der Infopoint des Kommunalen Integrationszentrums für zwei Stunden Station gemacht. Hülya Ceylan: „Die Realität ist, dass noch nicht jeder geimpft werden kann“, innerhalb der Gemeinde sei aber die ältere Generation überwiegend geimpft.

Lamya Kaddor: Hauptgrund sind prekäre Lebensverhältnisse

Nur wenige Gläubige versammeln sich während der Corona-Pandemie in der Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh. Die Hygienevorschriften sind streng.
Nur wenige Gläubige versammeln sich während der Corona-Pandemie in der Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh. Die Hygienevorschriften sind streng. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

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„Nach meiner Erfahrung sind der Hauptgrund prekäre Lebensverhältnisse, das geben auch die Zahlen her“, sagt Lamya Kaddor, die für die Grünen in Duisburg bei der Bundestagswahl kandidiert, zum Thema Impfskepsis.

Dass während des Ramadan Spritzen in den Muskel gegeben werden dürfen, wenn es sich um wichtige Medikamente handelt, sei längst geklärt.

Während die Impfbereitschaft in der Türkei hoch sei, gebe es hier sozio-ökonomische Gründe für die Impfskepsis. „Der Informationsaustausch gelingt offenbar nicht.“ Für Lamya Kaddor ist dies ein „Arbeitsauftrag“ an Politik und Gesellschaft: „Wie kann es gelingen, Menschen mit Migrationshintergrund besser zu erreichen?“

>> IMPF-PAUSE SCHADETE DEM RUF VON ASTRAZENECA

  • Am 15. März wurde das Impfen mit Astrazeneca gestoppt. Damit reagierte das Paul-Ehrlich-Institut auf Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im Zusammenhang mit der Impfung; im Duisburger Impfzentrum mussten 41 Dosen vernichtet, 2551 Termine abgesagt werden. Seither werden nur noch Menschen über 60 mit Astrazeneca geimpft.
  • Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Personen unter 60 Jahren, die bereits eine erste Impfstoffdosis mit Astrazeneca erhalten haben, die Zweitimpfung mit Biontech oder Moderna nach zwölf Wochen. Daten haben ergeben, dass die erste Astrazeneca-Dosis drei bis zwölf Wochen anhält und die Schutzwirkung bei einer Verlängerung des Impfabstands deutlich zunimmt.