Duisburg. Wie das Klangkraft-Orchester im Corona-Lockdown von Duisburg aus unter anderem eine Flötistin aus China und einen Trompeter aus New York gewinnt.
Wie in Corona-Zeiten als Orchester den Kontakt zum Publikum nicht verlieren? Eine originelle Antwort hat das Duisburger Amateur-Ensemble Klangkraft darauf gefunden. Was eigentlich als Konzert für die Duisburger Akzente 2020 geplant war, ist zum Kontinente übergreifenden musikalischen Gemeinschaftserlebnis geworden.
„Beethovens 9. Sinfonie der Tiere“ war im März des Beethoven-Jahrs 2020 durchgeprobt und aufführungsreif, als eine Woche vor dem Konzert der erste Lockdown beschlossen wurde. Komponist Alexandr Iradyan hatte zur einer Geschichte von Thomas Lange einen bunten, unterhaltsamen und abwechslungsreichen Streifzug durch die Beethoven-Sinfonien arrangiert.
Das Stück wurde eigens fürs Orchester geschrieben
Bratscherin Ilka Rieck: „Er hat das Stück speziell für unser Orchester geschrieben und damit genau den Musikstil getroffen, für den wir bekannt sind: Klassische Sinfonien werden hier nämlich auch mit Tanzmusiken wie einer Bossa nova kombiniert.“ Einen weiteren Schwerpunkt bilden thematische Konzerte wie 2018 das Programm „The World Dies Screaming“ (Die Welt stirbt schreiend), in dem es um die Umweltzerstörung ging.
Der armenische Komponist Alexandr Iradyan ist ein Freund und Kollege von Klangkraft-Dirigent Henry Cheng. Kennengelernt haben sich die beiden Musiker beim gemeinsamen Studium an der Berliner Universität der Künste. Iradyan trat mit Klangkraft schon als Gastdirigent auf, weil Henry Cheng verhindert war. Er weiß also um die Stärken des Orchesters, das 1974 als Schulorchester des damaligen Gymnasiums Stadtmitte gegründet wurde.
Beethoven-Hommage wurde zum Internet-Mitmach-Projekt
Nach der Absage des Konzerts wollte Klangkraft sich aber der Corona-Pandemie nicht einfach beugen. „Uns war schnell klar, dass wir dieses Konzert nachholen werden“, berichtet Ilka Rieck. „Gleichzeitig hatten wir die Idee zu einer ungewöhnlichen musikalischen Mitmach-Aktion.“ Das Notenmaterial wurde veröffentlicht, und Henry Cheng nahm 16 Videos auf, in denen er das Stück dirigierte. Da er gute Kontakte nach Japan, Italien und Mexiko hat, wurde der Aufruf zum Mitspielen in die ganze Welt verschickt.
Als Antwort erhielt das Orchester Video-Clips unter anderem von einer Flötistin aus China und einem Trompeter aus New York. Gemeinsam mit den 60 Orchestermitgliedern von Klangkraft waren über 100 Musikerinnen und Musiker beteiligt. Die Aufgabe, alle Einsendungen mit den von Philine Bührer und Manuel Sieg vorgetragenen Erzähltexten taktgenau und auf die Millisekunde zusammen zu schneiden, lag in den Händen von Klangkraft-Cellist Markus Denhoff und seiner Frau Theresa, die Musikvermittlerin für Kinder und Jugendliche bei den Bochumer Symphonikern ist, sowie ihrem Bruder Simon Schwär, der als Toningenieur ganze Arbeit geleistet hat: Aus den Solobeiträgen wurde ein großes Orchester.
Statt Weihnachtsfeier Online-Konferenz mit frisch geschnittenem Video
Nach den Sommerferien begannen die Klangkraft-Musiker vorsichtig mit gemeinsamen Proben, wie Ilka Rieck berichtet: „Die Streicher spielten mit großem Abstand auf der Bühne, während sich die Bläser mit weitem Abstand im Saal verteilten.“ Als im Oktober die Duisburger Inzidenzwerte dann wieder über 50 stiegen, wurde der Probenbetrieb erneut eingestellt. Statt einer gemeinsamen Weihnachtsfeier schauten sich die Klangkraft-Akteure dann Mitte Dezember „Beethovens 9. Sinfonie der Tiere“ in einer Online-Konferenz gemeinsam das frisch geschnittene Video an, das auf der Seitewww.klangkraft.de abrufbar ist.
Von den 60 Musikern, darunter Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern und ein Pilot, sind Ilka Rieck und Geiger Immo Blumhoff bereits seit 1979 dabei, die jüngste Musikerin ist 19. Zur Zeit mangelt es „Klangkraft“ an Streichern, vor allem Bratsche und Kontrabass sind unterbesetzt. An attraktiven Aufgaben fehlt es nicht, wenn wieder gemeinsame Projekte angegangen werden können. Falls im Spätsommer das geplante Haniel-Open-Air-Wochenende auf dem König-Heinrich-Platz stattfinden kann, ist „Klangkraft“ dabei.
>>>DIE KLANGKRAFT-DIRIGENTEN
- Seine ersten Erfolge feierte das Orchester mit innovativen Konzertprogrammen unter der Leitung von Markus Lüdke, der heute künstlerischer Geschäftsführer der Landesakademie Niedersachsen ist.
- Ihm folgten Benjamin Reiners, heute Generalmusikdirektor in Kiel, und Tobias Füller, der mittlerweile als Professor für Trompete an der Musikhochschule Lübeck wirkt.
- Seit 2017 leitet Henry Cheng das Orchester.