Duisburg. In der Malteser-Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung in Duisburg steigt durch Corona die Zahl der Selbstständigen, die Hilfe benötigen.
Es kommen Zuwanderer aus Südosteuropa, Obdachlose aus Polen und Menschen wie Karl-Heinz Ilgner aus Dinslaken zur Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung nach Duisburg. Durch die Corona-Pandemie steigt die Zahl der Deutschen, die keine Versichertenkarte im Portemonnaie haben und nur hier kostenlos ärztliche Hilfe bekommen.
Dr. Anne Rauhut behandelt viele ehemalige Geschäftsführer in Not, hört ihre Geschichten. Viele gehen so:
Die Corona-Soforthilfe kam nicht "sofort", es laufen Beitragsschulden auf und schon fällt man aus der Krankenversicherung. Zwar hilft die Clearingstelle der Awo weiter, die regelmäßig in der Ambulanz präsent ist. Aber der Weg zurück in die Versicherung, die eigentlich verpflichtend ist, dauert lange und funktioniert nicht immer.
Wegen fehlendem Versicherungsschutz im Krankenhaus abgewiesen
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Wie etwa bei der schwangeren Solo-Selbstständigen, die wegen ihres fehlenden Versicherungsschutzes trotz Blutungen von drei Krankenhäusern abgewiesen worden sei, bei ihr in der Ambulanz landete und schließlich als Notfall eingeliefert wurde. Beinahe hätte sie ihr Kind verloren, berichtet die Ärztin.
Dramatisch auch der Krankheitsverlauf von Karl-Heinz Ilgner. Er ist mutig genug, seine Geschichte zu erzählen. 35 Jahre war er gesetzlich versichert. Seit seinem 14. Lebensjahr hatte er gearbeitet, erst machte er eine Lehre als Außenhandelskaufmann im Kaufhof in Hamborn, später arbeitete er als Disponent bei der Eisenbahn und Häfen GmbH.
Warum ein ehemaliger Selbstständiger nicht krankenversichert ist
Das Drama nahm erst seinen Lauf, als er 2002 bei einem Stellenabbau abgefunden wurde und beschloss, sich mit einer Reinigungsfirma selbstständig zu machen. "Ich hatte zehn Mitarbeiter und gut zu tun, aber die Kosten für die Selbstständigkeit habe ich unterschätzt", gibt er zu. An der Krankenversicherung sparte er als erstes, "ich hatte ja nie was, war immer fit".
2014 folgte die Insolvenz und als er 2019 nach einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus kam, stellten die Ärzte fest, dass er bereits zwei Herzinfarkte hatte. Eine Schonfrist gab es dennoch nicht und die Rechnung für die Behandlung über fast 5000 Euro blieb Ilgner auch nicht erspart.
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Seither lebt der 68-Jährige nur noch mit einer funktionstüchtigen Herzklappe, kommt kaum die Tribüne im MSV-Stadion hoch. Versuche, bei der Krankenkasse wieder unterzukommen, scheiterten an der Bedingung, erst alle Rückstände zu zahlen, "das wäre ein fünfstelliger Betrag", sagt Ilgner. Inzwischen bekommt er zwar seine Rente, aber damit kann er auch keine Sprünge machen.
Wirtschaftlicher, sozialer und gesundheitlicher Abstieg
Wie es ihm heute geht? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch tiefer geht", sagt er und weist mit der Hand unter den Tisch, wirtschaftlich ohnehin, sozial auch, viele Freunde wandten sich ab, und natürlich gesundheitlich. Die Angst vor einem dritten Herzinfarkt sitzt tief. Bezahlen könnte er seine Behandlungen nicht. Mit einem neuen Anwalt organisiert Ilgner jetzt eine Privatinsolvenz.
Im Nachhinein ärgert er sich, dass es so einfach ist, ein Gewerbe anzumelden. Es müsste genauer geprüft werden, ob das erfolgreich sein kann, findet der Rentner. Die Lücken, die Kosten wie Sozialabgaben und Steuern rissen, bekam er auch mit den letzten Notgroschen nicht zu. Ein Lichtblick sei nur, dass er in Anne Rauhut eine Ärztin gefunden hat, die ihn mit all seinen Sorgen annimmt und ihm zu helfen weiß.
Ungelöste europäische Probleme
Für Ärztin Dr. Anne Rauhut ist klar, dass sie nur Symptome lindert, es müsste möglich sein, Krankenkassenschulden auf Raten zu tilgen, der Mindestbeitrag müsste gesenkt werden und alle Menschen in Deutschland müssten die gleichen Ansprüche haben, findet die Ehrenamtlerin.
Zugleich fordert sie wegen der Vielzahl der südosteuropäischen Patienten, die Heimatländer stärker in die Pflicht zu nehmen, wo oftmals eine Krankenversicherung besteht. Bis diese europäischen Probleme gelöst sind, wird sie weiter ehrenamtlich in der Praxis ihre Dienste anbieten.