Duisburg. Dr. Anne Rauhut kümmert sich in der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Duisburg um Menschen, die durchs Raster fallen.
Krankenversicherungen sind hierzulande Pflicht. Trotzdem gibt es die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Duisburg, das ehrenamtliche Team hat im vergangenen Jahr 1805 Untersuchungen an 863 Patienten durchgeführt, obwohl die Praxis während des Lockdowns wochenlang geschlossen war.
Sie ist die zweitgrößte ihrer Art in Deutschland, mehr Menschen werden nur in Berlin versorgt. Der Einzugsbereich der Praxis reicht bis ins Sauerland und an den Niederrhein. Viele Patienten kommen aus Südosteuropa, die Zahl der Deutschen steigt, ebenso die Zahl der Minderjährigen. In Deutschland leben zur Zeit fast 150.000 Menschen ohne Krankenversicherung, sagt Dr. Anne Rauhut, die sich um solche Patienten kümmert.
Triage vor der Praxis - bei Coronaverdacht zum Testzentrum
Ortstermin an der Münzstraße. Vor Betreten der Praxis gibt es auch für die Reporter erst einen Schnelltest. Bei all den Ü60-Ehrenamtlern wird Eigenschutz groß geschrieben. Draußen steht ein Helfer hinter Flatterband am Stehtisch. Er macht per Fieberthermometer und Fragebogen eine "Triage" - bei Coronaverdacht bekommen die Patienten erst mal eine Überweisung ins Testzentrum am Marientor, erzählt Rauhut. Um Schwangere besser vor Coronainfektionen zu schützen, gibt es für sie inzwischen eigene Sprechzeiten.
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Die Corona-Pandemie führt dazu, dass weniger Kinder mit Infekten kommen, weil Kitas und Schulen im Minimalbetrieb laufen. Neu im Wartezimmer sind dafür jene Serben und Bosnier, deren Besuch bei den Kindern pandemiebedingt länger währt als gedacht. Die Medikamente gehen ihnen aus und so stehen sie in aller Not vor Anne Rauhut.
Kommunikation mit Dolmetschern und Google Translator
Zu ihren Patienten gehören auch jene, die der Prostitution nachgehen, die mit HIV oder Geschlechtskrankheiten infiziert sind. "Wenn ich so ein Testergebnis bekomme und den Patienten telefonisch nicht erreichen kann, fahr ich auch los und schell und rufe so lange, bis ich die richtige Wohnung gefunden habe", erzählt Rauhut. Scheu kennt sie nicht, Dankbarkeit sehr wohl.
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Und wie funktioniert die Kommunikation? "Wir haben Dolmetscher vor Ort, teilweise helfen per Telefon zugeschaltete Verwandte", erzählt Rauhut. "Und wir haben eine Hebamme, die mit Engelsgeduld und dem Google Translator alles herauskriegt." Mehrere tausend Babys haben sie bereits auf dem Weg in die Welt begleitet.
Netzwerk hilft beim Lösen medizinischer Probleme
Für die 66-Jährige ist ihr Wirken in der Praxis "die Medizin, die ich immer machen wollte, ungeheuer vielfältig". In die Hände spielt ihr auch das Netzwerk, das sie über ein ganzes Berufsleben aufgebaut hat. "Das ist ein bisschen wie auf dem Markt", sagt sie und lacht. Bei Hauterkrankungen hilft eine Hautärztin per Whatsapp. Ärzte anderer Fachrichtungen springen bei Bedarf ein, meist unter dem Motto: "Tue Gutes und sprich nicht drüber".
"Weh tun mir die, die zu spät kommen, weil die Krankheit zu weit fortgeschritten ist", sagt Rauhut. Wenn Krebs schon gestreut hat und nur noch Hightechmedizin helfen könnte, reicht ihr Netz nicht.
Als Ärztin konnte sie sich früher darauf verlassen, dass nach ihrem Feierabend andere Systeme wie der hausärztliche Notdienst greifen. Für ihre jetzigen Patienten gilt das nicht, Anrufe und Mails kommen Tag und Nacht. "Ich übernehme viel mehr Verantwortung als in meinem ursprünglichen Beruf." Nach 40 Berufsjahren sagt die vierfache Mutter und Großmutter: "Das hier ist meins, das liegt mir am Herzen." Kritische Stimmen hört sie natürlich auch, aus der Gesellschaft und dem persönlichen Umfeld. Nicht jeder versteht, dass sie Zuwanderern hilft, sich in der Pandemie selbst in Gefahr bringt. "Das finden nicht alle gut, was ich mache, aber das ist für mich überhaupt keine Frage."
"Gesundheitliche Versorgung ist ein Grundrecht"
Angefangen hat das Angebot im Petershof in Marxloh, wo Pater Oliver sie 2014 um Hilfe gebeten hatte. Rauhut, die ehrenamtlich im muslimisch-christlichen Dialog mitwirkte, dachte gar nicht weiter nach und packte an: "Ich finde, dass gesundheitliche Versorgung ein Grundrecht ist". Ihre Donnerstagssprechstunde wurde schnell bekannt und machte Schlagzeilen, Politiker wie Sigmar Gabriel besuchten sie.
Seit 2017 wird das Angebot über die Malteser koordiniert. Es bleibt rein spendenfinanziert und getragen vom ehrenamtlichen Engagement. Eine gute Basis sei das Team, das eng zusammenhält. "Wir haben eine gemeinsame Wertebasis, die uns verbindet. Die Achtung vor dem Leben kann man hier leben." Sie eint aber auch der Gedanke, "dass es uns eigentlich gar nicht geben darf, medizinische Versorgung ist schließlich ein Grundrecht".
>>>DIE MALTESER-PRAXIS IN ZAHLEN:
● Seit der Eröffnung der Sprechstunde 2017 haben insgesamt über 8315 medizinische Behandlungen in der Duisburger Einrichtung der Hilfsorganisation stattgefunden.
● Hauptsächlich behandelt das ehrenamtliche Team der Duisburger Notfalleinrichtung in den Fachgebieten Allgemeinmedizin und Gynäkologie. Der Großteil der Patienten ist zwischen 18 und 60 Jahre alt.
● Spendenkonto: DE 5437 0601 2012 0120 6010; Stichwort: MMM
Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Duisburg
Öffnungszeiten nur nach vorheriger Terminvereinbarung: montags von 11 bis 14 Uhr und donnerstags von 10 bis 14 Uhr.