Duisburg. Armut, Sprachbarrieren, geringe Teilhabe - Integrationshelfer erklären, warum sich in Marxloh und Hochfeld mehr Menschen mit Corona infizieren.
Wer an Rumänen denkt, die in Duisburg-Marxloh leben, der hat in aller Regel Schrottimmobilien vor Augen, Großfamilien, Armutsflucht. Man denkt weniger an Menschen, die in Freiburg Europäische Ethnologie und Rumänistik studiert haben und einen Doktortitel tragen. Sollte man aber. Voila: Dr. Dorina Descas ist Rumänin und in der Integrationsagentur der Awo Integration tätig.
Für sie ist klar: Reden hilft – gegen Klischees und gegen Ansteckung mit Corona. Deshalb wird sie nicht müde, zu betonen, dass in Deutschland 3000 rumänische Ärzte tätig sind, und deshalb setzt sie auch alles daran, dass alle neuen Corona-Regeln in Duisburg immer sofort an alle Multiplikatoren weitergeleitet werden, damit auch der letzte Kursleiter die Infos an die Teilnehmer weitergeben kann und diese es dann wiederum in ihre Familien tragen können. „Die Menschen sind total dankbar“, sagt Descas. „Es ist ja nicht jeder gewohnt, auf Webseiten Informationen zusammenzutragen.“
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Informationen zu Corona in alle Nationalitäten tragen
Ein Phänomen, das sie auch bei der deutschen Nachbarschaft beobachtet. Die Dame, die mit ihrem Hund Gassi ging, hatte noch nicht mitbekommen, dass auch auf dem Hamborner Altmarkt die Maskenpflicht gilt, berichtet Descas.
Die Reduzierung auf einzelne Ethnien verfälsche ohnehin das Bild: In Marxloh leben Menschen mit Wurzeln in über 100 Ländern, „alle sind gleichermaßen verantwortlich“, betont die 44-Jährige.
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Warum die Fallzahlen im Duisburger Norden höher sind, weiß Descas nicht im Einzelnen. Aber es gibt begünstigende Faktoren für die Weiterverbreitung von Infektionen wie etwa prekäre Wohnverhältnisse: „Viele wohnen eng beieinander, haben kein eigenes Zimmer, in das sie sich zurückziehen können“, sagt sie.
Problematisch sei auch, dass Existenzängste die Menschen bedrücken. „Viele sind über Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Ihnen wurde schon bei der ersten Welle gekündigt, da waren plötzlich ganze Familien arbeitslos“, beschreibt Descas. Die materiellen Sorgen seien so dominant, dass Betroffene sie jeden Tag neu zu bewältigen suchen und für andere Informationen nicht erreichbar seien.
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Kommunikation erschwert durch immer neue Prepaid-Handys
Ebenfalls problematisch ist, dass manche Familien nur über Prepaid-Handys kommunizieren und ständig neue Nummern haben. „Sie sind es nicht gewohnt, ihren Kontakt auch an Schulen und Kitas weiterzugeben“, hat Descas beobachtet. Den Bildungseinrichtungen bietet sie deshalb ihre Übersetzungshilfe an, nicht zuletzt, damit in Zeiten der Pandemie Kontakte schneller nachverfolgt werden können.
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Im Sinne einer nachhaltigen Sozialarbeit bräuchte es ihrer Meinung nach mehr Menschen zur Unterstützung. Punktuelle Beratung sei wie Feuer löschen, damit könnten nur einzelne konkrete Anliegen erledigt werden – etwa ein Formular für das Jobcenter.
Sinnvoller sei jedoch ein echtes Fall-Management, also die Begleitung über einige Jahre, bis Wohnung, Kitaplatz, Spracherwerb und Job geklärt sind – also all das, was es zu einer echten Integration brauche. „Die Erfolgschancen sind dann viel höher“, hat Descas beobachtet.
Sprachbarrieren sind ein großes Hindernis – und Analphabetismus
Mike Kim, Arbeitsgruppenleiter Migration und Integration bei der Awo, ergänzt: „Ich will nichts beschönigen, Sprachbarrieren sind das Hindernis Nummer eins. Manche Menschen sind ganz weit weg von gesellschaftlicher Teilhabe, befinden sich in ärmsten Lebensverhältnissen.“
Dass das Gesundheitsamt inzwischen so konzertiert Informationen in vielen Sprachen verteilt, um sie zu erreichen, „ist eine Riesen-Chance“, die es ohne Corona womöglich nicht gegeben hätte, glaubt Kim. Für Analphabeten seien die Piktogramme hilfreich, ihnen helfe aber vor allem die direkte Ansprache.
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Die Stadt nutze alle möglichen Kanäle zur Information, analog und digital. Zudem herrsche zwischen den verschiedenen Wohlfahrtsverbänden ein reger Austausch. Die Awo Integration hat unter 100 Mitarbeitern 75 mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen, sagt Kim. „Allein wir führen hunderte Gespräche im Monat.“
Verschwörungstheorien auch bei den Migranten verbreitet
Informationsflüsse bräuchten ihre Zeit, vor allem bei jenen, die eher bildungsfern sind und auch keine Medienkompetenz besitzen. Auch Verschwörungstheorien hielten sich hartnäckig. So hätten Schulsozialarbeiter bei den Schuleingangsuntersuchungen in Hochfeld darüber aufklären müssen, dass die Kinder beim Impfen nicht gechipt werden, berichtet Kim und erklärt: „Wir haben Aluhut-Träger und Xavier Naidoo, die Migranten haben rumänisches Staatsfernsehen und ihre eigenen Mythen.“
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Im Interesse der Sozialarbeit sei, dass die Kinder zur Schule gehen und die Familien keine Angst haben müssen. „Da hilft nur Aufklärung!“ Dabei müsse man hinnehmen, dass nicht immer alle erreicht werden. „Wir brauchen Hilfe, keine Stigmatisierung!“, appelliert Kim.
Reflexen zur Überheblichkeit begegnet er mit dem Beispiel der Digitalisierung. Als Deutscher könne man nur neidisch nach Finnland gucken, wo Homeschooling und digitale Vernetzung viel besser gelingen.
Integration muss immer wieder neu beginnen
Manche der rumänischen Kinder erinnern ihn an jene Kinder aus Anatolien, die in den 90er Jahren nach Duisburg kamen. Da es immer wieder Wanderbewegungen geben werde, müsse man auch immer wieder neu beginnen mit der Integration, sagt Kim.
Er nennt den Umgang in den sozialen Netzwerken „empörend“. Manche verbringen da so viel Zeit, „die könnten sie besser ehrenamtlich investieren“. Jenen, die sich über Großfamilien und ihre Familienfeste als Superspreader-Events aufregen, erzählt er gern von der Begegnung mit ein paar türkischen Männern, die ihre Hochzeit planen und jetzt ohne große Party auskommen müssen: „Die haben das sehr pragmatisch gesehen, die sagten, da sparen wir eine Menge Geld, wir heiraten trotzdem.“
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