Duisburg. Das Berliner Ensemble holt sein Gastspiel in Duisburg nach, das im März wegen Corona abgesagt werden musste. „Panikherz“ erzählt ein Sucht-Leben.
Der Lockdown im März beendete die Duisburger Akzente abrupt, das ausverkaufte Gastspiel des Berliner Ensembles mit „Panikherz“ fiel aus. In der von der Corona-Pandemie geprägten Saison 2020/21 konnte es am Wochenende über die Bühne des Stadttheaters gehen: zweimal vor dem auf 220 Besucher ausgedünnten großen Haus.
Der Weg zum Absturz war für Benjamin Stuckrad-Barre immer ganz kurz. Der exzentrische und narzisstische deutsche Pop-Star-Literat schildert in seinem Buch „Panikherz“ in Selbstreflexion und Drogenrausch seine Orgie des Wahnsinns. Das Berliner Ensemble reduzierte dann seinen 564-Seiten-Spiegel-Bestseller von 2016 auf ein ganzes Leben an einem Abend.
Das Berliner Ensemble erzählt in Duisburg ein gewaltiges Bühnenwerk
Bücher über Alkohol- Wenn Autoren über den Rausch schreibenMit den rotzigen Liedern von Udo Lindenberg, der Stuckrad-Barre einst beim Kampf gegen die Sucht begleitete, erzählt das Ensemble eindringlich und mit starken und intensiven Bildern und Texten den schrägen Soundtrack eines selbstzerstörerischen Lebens. Diese gelungene und originelle Inszenierung von Oliver Reese ist ein gewaltiges Bühnenwerk. Es ist eine zum Theater gewordene Autobiografie, in der der von Drogen vernebelte Autor die eigene Geschichte als die Geschichte eines versumpften Helden erzählt, der als hemmungsloser Sucht-Typ mit Alkohol, Kokain und Bulimie immer hart auf der Kante lebte.
Die Entzugskliniken sind die finsteren Stationen dieser knallharten Drogen-Revue: „Wer als Magersüchtiger in der Klinik nicht zunimmt, der muss Kuchen unter Aufsicht essen“. Worüber der brave Theaterbesucher eigentlich nur staunen kann, dessen Sehnsucht nach den Schrecken dieses Milieus der kaputten Freaks sich in Grenzen halten dürfte.
Exzellente Schauspieler sind auch blendende Sänger
Es helfen dem wilden Wahnsinnigen auf seinem Ego-Trip in die düstere und gleichzeitig aufregende Drogen-Vergangenheit die exzellenten Schauspieler Nico Holonics, Bettina Hoppe, Owen Peter Read und Paul Zichner, allesamt auch blendende Sänger, die mit dem selbstverliebten Egomanen Stuckrad-Barre ins Jahr 2000 zurückkehren und an das Lebensgefühl einer ganzen Generation erinnern. Zumindest an die, die nicht am Montag zur Arbeit mussten.
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Zu ekstatischen Schauspiel-Szenen gab es für alle Freunde der Rockmusik vortreffliche Live-Musik von Jörg Gollasch und von einer starken Band mit Songs von Udo Lindenberg, ebenfalls ein Experte im Kampf mit der Sucht. Klassiker wie „Alles klar auf der Andrea Doria“ würden auch ohne Schauspiel viel Freude bereiten. Zum professionellen und fabelhaften musikalischen Ensemble gehören Lukas Fröhlich, Peer Neumann, Gerhard Schmitt, Thilo Weber und Manuel Zacek, die von Funk bis Punk keine Stilgrenzen kennen.
Stehende Ovationen für einen grandiosen Theaterabend
Das Bühnenbild ist leicht plüschig, aber karg. Eine Treppe führt nach oben. Ins Chateau Marmont auf dem Sunset Strip in Hollywood, wo der Autor sein gewaltiges Werk geschrieben hat und sich nun selbst über die Schulter schaut und er seinem orgiastischen Leben noch einmal begegnet. Es bleibt die Erkenntnis, dass Drogen süchtig und aus normalen Menschen Elendsgestalten machen können, deren kalter Hauch dieses Bühnenstück atmet. Über diese Erkenntnis hat Benjamin Stuckrad-Barre ein dickes Buch geschrieben und Oliver Reese einen grandiosen und nicht alltäglichen Theaterabend gemacht. Stehende Ovationen für das Berliner Ensemble.
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>>Inszenierungen schrieben Theatergeschichte
- Das Berliner Ensemble gehört zu den bekanntesten Bühnen der deutschen Hauptstadt. Zu seinen Gründern gehörten Bertolt Brecht und auch Helene Weigel als Intendantin, deren Inszenierungen Theatergeschichte schrieben.
- Der 45-jährige Schriftsteller, Journalist und Moderator Benjamin Stuckrad-Barre wurde in Bremen geboren und machte sich mit seinen Büchern und Texten einen Namen als Star einer jungen deutschen Literatur-Szene um die Jahrtausend-Wende. 1998 veröffentlichte er sein Buch „Soloalbum“.