Duisburg. Ein Wahlvorsteher hat Wähler zu falschen eidesstattlichen Erklärungen gedrängt. Ein Einzelfall? Was bedeutet das wahlrechtlich und juristisch?

Die Verzögerungen bei der Briefwahl und die geringe Rücklaufquote, die Pannen am Wahltag, die laufenden Ermittlungen gegen drei Parteien beziehungsweise Kandidaten … – die Duisburger Kommunalwahlen beschäftigen weiterhin viele politisch interessierte Duisburger. Zuletzt hat die Wählergemeinschaft Bürgerlich-Liberale Einspruch gegen deren Gültigkeit eingelegt (wir berichteten).

In unserer Redaktion meldeten sich neben Briefwählern ohne Unterlagen auch mehrere Wahlhelfer. So beschuldigt ein Ehrenamtler einen Wahlvorsteher, drei Wähler zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung gedrängt zu haben. Ein Einzelfall? Welche wahlrechtlichen und juristischen Konsequenzen könnte das haben?

Zur Erinnerung: In der Woche vor dem Wahltag, 13. September, waren etwa 1500 nicht zugestellte Briefe mit Briefwahlunterlagen aufgetaucht. Bis heute haben Post und Stadt nicht erklärt, wie das passieren konnte. Die Briefe seien aber „größtenteils noch am Samstag, 12. September (ein Tag vor dem Wahltag), zugestellt worden“, hatte Stadtsprecherin Anja Kopka am Tag nach der Wahl erklärt.

Briefwahl-Chaos in Duisburg: 1108 „Eidesstattliche Erklärungen“ am Wahltag

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Das Wahlamt jedenfalls registrierte in der Woche vor dem Urnengang – weiterhin – auffällig viele Beschwerden über nicht zugestellte Briefwahlunterlagen. Wahlleiter Martin Murrack reagierte kurzfristig mit einer Notlösung: Er erlaubte all jenen, die Briefwahl beantragt, aber postalisch keinen Wahlschein zugestellt bekommen hatten, im Wahllokal ohne Wahlschein abzustimmen.

Betroffene mussten vor Ort eidesstattlich versichern, dass sie keine Stimmzettel erhalten hatten. Dafür hatte das Wahlamt an die Wahlvorsteher der 323 Urnenstimmbezirke pro Stimmbezirk je 50 Kopien eines Formulars austeilen lassen. Überschrift: „Eidesstattliche Erklärung“.

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Betroffene mussten darauf ihre Adressdaten angeben und versichern, keine Briefwahlunterlagen erhalten zu haben und so neue Stimmzettel beantragen. Zudem waren „ein Identitätsnachweis“ und ein „Vermerk im Wählerverzeichnis“ notwendig. Diese „Eidesstattliche Erklärung“ unterschrieben am Wahltag laut Stadt 1108 Wähler.

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte unserer Redaktion für den Landeswahlleiter, das Kommunalwahlgesetz lasse Raum für eine solche „Krücke, um das Stimmrecht zu ermöglichen“. Voraussetzung dafür sei, dass doppelte Stimmabgaben über einen Abgleich mit dem Wählerverzeichnis ausgeschlossen werden können. Dieser Abgleich von 1108 Erklärungen mit 56.835 Wahlscheinen war in Duisburg noch nicht erfolgt, als der Wahlausschuss am 22. September das endgültige amtliche Endergebnis beschloss (siehe Infobox).

Handlungsanweisung zu Briefwählern ohne Briefwahlunterlagen

Zurück zum 13. September, zurück in die Wahllokale. Den Wahlvorstehern gab das Wahlamt neben den Blanko-Kopien eine „Handlungsanweisung zum Umgang bei nicht erhaltenen Briefwahlunterlagen“ mit in den Wahltag. Darin stand:

„Es kann vorkommen, dass eine Person zu Ihnen ins Wahllokal kommt, die Ihnen versichert, Sie hätte keine Briefwahlunterlagen erhalten. Bitte gehen Sie wie folgt vor:

■ Prüfen Sie, ob die Person in Ihrem Wählerverzeichnis steht.

■ Prüfen Sie, ob diese Person einen W-Vermerk hat [für Briefwähler, Hinweis der Redaktion].

Sollte dieses beides der Fall sein, gehen Sie bitte weiter wie folgt vor:

■ Prüfen Sie die Identität der Person anhand des Personalausweises. (Pflicht)

■ Händigen Sie der Person die im Koffer befindliche Eidesstattliche Erklärung aus und lassen Sie diese ausfüllen und unterzeichnen.

■ Anschließend werten Sie die Person als „Wähler mit Wahlschein“ und behandeln diese Erklärung als eingenommenen Wahlschein.“

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Ein Wahlhelfer sagt, in seinem Wahllokal seien drei Briefwähler – ein Ehepaar und ein dritter Bürger – jeweils mit Wahlschein erschienen. Obwohl sie also ihre Briefwahlunterlagen erhalten hatten, habe der Wahlvorsteher ihnen erklärt, sie müssten, um abstimmen zu dürfen, ihre Wahlscheine zerreißen und auf den Formularen an Eides statt erklären, sie hätten keine Briefwahlunterlagen erhalten.

„Wir sind doch nicht in Brasilien“

„Das ist doch nicht richtig, dass Leute im Auftrag der Stadt aufgefordert werden, eine falsche eidesstattliche Erklärung abzugeben“, kritisiert der Wahlhelfer, dessen Name und Stimmbezirk der Redaktion vorliegen. „Wie kann man Wähler in eine solche Lage bringen? Wir sind doch nicht in Brasilien!“

Er habe den Wahlvorsteher „auf diese Straftat hingewiesen“. Dieser sei sich der Lüge mit Unterschrift bewusst gewesen, glaubt der Mann: „Die Wähler sollten ihre zerrissenen Briefwahlscheine mit nach Hause nehmen und nicht vor Ort in den Papierkorb werfen.“

Stadtsprecherin: „Völlig unnötig“ – und nicht auf Aufforderung der Stadt

Wahlrechtlich war dieses Vorgehen vor allem: unnötig, wie ein Sprecher des Innenministeriums sagt. Denn „mit dem Wahlschein kann man im Wahllokal wählen, auch wenn dieser dem Wähler für die Briefwahl zugestellt wurde“. Der Inhaber des Wahlscheins muss sich freilich dennoch ausweisen – so steht’s im Paragrafen 43 der Kommunalwahlordnung.

Mit diesem Formular „Eidesstattliche Erklärung“ ließ sich die Stabsstelle Wahlen der Stadt Duisburg von Wählern versichern, dass sie beantragte Briefwahlunterlagen nicht erhalten hatten.
Mit diesem Formular „Eidesstattliche Erklärung“ ließ sich die Stabsstelle Wahlen der Stadt Duisburg von Wählern versichern, dass sie beantragte Briefwahlunterlagen nicht erhalten hatten. © Stadt Duisburg

Stadtsprecherin Anja Kopka betont, die zuständige Stabsstelle Wahlen habe die Wahlvorstände „nicht aufgefordert, Wählern, die mit Wahlschein oder Wahlbrief im Wahllokal erschienen sind, diese Erklärung auszuhändigen“. Die Wahlvorsteher seien zudem im Umgang mit „Wählen mit Wahlschein“ und „Wählen mit Wahlbrief“ zuvor geschult worden.

In diesem Fall hat der Wahlvorsteher also schlicht falsch gehandelt. Er war offenbar nicht der einzige, der die im Duisburger Briefwahl-Chaos kurzfristig eingereichte Handlungsanweisung falsch verstand. „Bei der Überprüfung der Unterlagen sind uns einzelne Wahlscheine aufgefallen, an denen diese Erklärung angeheftet war“, berichtet Kopka weiter. „Dies war völlig unnötig, aber nicht wahlrechtlich relevant, da dennoch nur eine Stimme abgegeben worden ist.“

„Eidesstattliche Erklärung“ des Wahlamtes juristisch zweifelhaft

Eine andere, juristische Frage: Haben sich der Wahlvorsteher oder die drei Wähler im geschilderten Fall strafbar gemacht, die schriftlich an Eides statt bewusst falsch versicherten, sie hätten keine Briefwahlunterlagen erhalten?

Nach Paragraph 156 des Strafgesetzbuches wird mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, „wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt“.

Allerdings nennt eine von der Redaktion befragte Juristin den Wert der in Duisburg unterschriebenen „Eidesstattlichen Erklärung“ „juristisch zweifelhaft“. Denn die Strafbarkeit hänge davon ab, wem gegenüber der Unterzeichner gelogen hat. Auf dem Muster der Stabsstelle Wahlen aber fehlt die zuständige Behörde, der Adressat – hier: der Wahlleiter – komplett.

Während Briefwähler auf dem regulären Wahlschein gegenüber dem Wahlleiter an Eides statt mit Unterschrift versichern, „dass ich den beigefügten Stimmzettel persönlich gekennzeichnet habe“, fehlte auf dem eilig formulierten Vordruck des Wahlamtes der Hinweis auf den Wahlleiter. Juristisch wären die offiziell 1108 eidesstattlichen Erklärungen also wohl anfechtbar, wahlrechtlich eher nicht – sofern damit nachweislich Doppelwähler ausgeschlossen werden konnten.

>> EINSPRUCH UND WAHLPRÜFUNGSAUSSCHUSS

• Am 22. September hat der Wahlausschuss das endgültige amtliche Endergebnis festgestellt. Dieser Beschluss ist nach dem Kommunalwahlgesetz für das Wahlprüfungsverfahren notwendig.

• Binnen eines Monats nach der Feststellung kann jeder Wahlberechtigte Einspruch bei Duisburgs Wahlleiter Martin Murrack erheben.

• Die Unregelmäßigkeiten bei der Organisation der Wahl sollen im zuständigen Wahlprüfungsausschuss diskutiert werden. Dieser wird nach der konstituierenden Sitzung des neuen Rates (am 2. November) besetzt und tagt voraussichtlich Mitte November.