Duisburg. Dem Theaterstück „L_vepar_de. Eine Verblendung“ gelingt im Komma-Theater ein schwieriger Balanceakt. Loveparade-Opfer reagiert mit Tränen.

Dem Komma-Theater in Duisburg ist gelungen, was viele nicht für möglich hielten: Sie haben die Loveparade-Katastrophe mit „L_vepar_de. Eine Verblendung“ so spürbar gemacht, dass es weh tut. Ein Premierenabend mit vielen Schreckmomenten, Tränen und großer Begeisterung.

Auf einer schwarzen Bühne, die zum Publikum komplett mit Folie abgedeckt ist, agieren die sechs jungen Schauspieler des Kopierwerks. Diese „Verblendung“, wie es im Untertitel des Stücks heißt, diese Unschärfe, sie ist Programm. Denn es agiert kein erkennbar Verantwortlicher, es sind die Prototypen des Beamten und Politikers – blaues Hemd, dunkler Anzug, Krawatte leicht schief.

Loveparade-Theaterstück in Duisburg geht der Frage nach der Schuld nach

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Ein schräger Laufsteg mitten durchs Publikum führt zu einer Plexiglasröhre, groß wie eine Telefonzelle, beleuchtet und benebelt, gerade groß genug, um tanzend der Verzweiflung Raum zu geben. Offen bleibt, ob hier nicht neben dem Schmerz der Opfer der Loveparade-Katastrophe auch die Trauer der Stadt selbst personifiziert wird.

Einsam und verloren in einer Plexiglasröhre - Szene aus der Premiere „L_vepar_de. Eine Verblendung“ im Komma-Theater in Duisburg.
Einsam und verloren in einer Plexiglasröhre - Szene aus der Premiere „L_vepar_de. Eine Verblendung“ im Komma-Theater in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Im Chor deklamieren sie, das Schuld teilbar ist. „Ich? Persönlich verantwortlich? Nein“ – es ist das Mantra des Abends. Dramatischer Höhepunkt ist die Pressekonferenz am Tag nach der Katastrophe, als Veranstalter, Politiker und Polizisten beredt schwiegen. Minimalistisch inszeniert ist dieses Versagen in einer weißen Lichtbox, die Gesichter verschwimmen.

Loveparade: Aktenordner krachen wie Steinschläge auf die Bühne

Viele Bewegungen des Chors sind bis auf das letzte Schulterzucken durchchoreographiert, selbst das Atmen geschieht synchron. Immer wieder löst er sich auf, dann wird aus einem Schauspieler ein Radiomoderator, andere spielen stolze Honoratioren, die begeistert den Start der größten Technoveranstaltung im Revier erwarten – bis Aktenordner wie Steinschläge auf den Bühnenboden krachen.

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Andere hängen prall gefüllt unter der Decke, bedrohlich baumelnd. Es geht um Zuständigkeiten, die wie Verstecke wirken, Bauvorlagen, in die man kriechen könnte, Fluchtwegkonzepte, die im Strom der Vernebelungsanlage untergehen.

Ein Jahr Arbeit steckt in der Loveparade-Inszenierung

Regisseur René Linke hat ein Jahr Arbeit in die Inszenierung gesteckt, mit den Schauspielern recherchiert, den Loveparade-Prozess besucht, Medienberichte gelesen - all das wird zur Triebfeder auf der Bühne. Funksprüche zerreißen das Geschehen, laute Musik, flackernde Lichter, dann wieder tiefe Stille, bis man aufgeschreckt wird von stampfenden Füßen, Zitaten aus Gutachten und Gerichtsaussagen. Beschämtes Schweigen und protzige Ankündigungen im steten Wechsel.

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Nein, dieses Stück lässt einen nicht kalt. Es ist laut und deutlich, schmerzhaft bis an die Grenze der Überforderung, und sehr präzise. „Ich will ja nichts sagen, aber ich glaub, das war absehbar“, schnarrt es aus den Boxen.

Loveparade-Betroffene: Das Stück trifft den Nagel auf den Kopf

Janine Marsollek ist überwältigt, tränenüberströmt fällt sie den jungen Schauspielern nach der Premiere um den Hals, denen die Anstrengung des Stücks anzusehen ist. Die 40-Jährige gehört zu den Opfern der Loveparade-Katastrophe, schwer verletzt ist die Mutter eines Sohnes heute Frührentnerin. Von ihrem Leben, wie es vor dem 24. Juli 2010 war, ist nicht viel übrig geblieben.

Deshalb gehörte sie zu den ersten, die sich echauffierten, als das Projekt vom Komma-Theater im letzten Jahr bekannt wurde. „Mein Leben ist seit zehn Jahren kaputt und ich dachte, da will sich jemand auf meine Kosten bereichern“, sagt Marsollek. Ein Protest, der sich zu einem Shitstorm auswuchs und das Projekt beinahe beendet hätte, noch bevor es richtig begonnen hatte.

Aber dann suchten die Theaterleute das Gespräch mit ihr, erklärten ihr die Pläne und nutzten die Expertise der Betroffenen. „Ich wurde von der größten Feindin zur totalen Unterstützerin“, sagt Marsollek heute. Dankbar sei sie, dass sie jetzt mehr Menschen an ihrer Seite wisse. Und dass „eine junge Theatergruppe der Stadt so an den Kragen geht“, das sei beeindruckend: „Ich hoffe, dass die richtigen Leute das Stück sehen, es trifft den Nagel auf den Kopf.“

>>>WEITERE AUFFÜHRUNGS-TERMINE:

  • Das Stück wird noch am 5.9., 10.9., 11.9. und 3.10., jeweils ab 20 Uhr aufgeführt.
  • Karten können unter 0203 283-8486 oder unter www.kommatheater.de/spielplan verbindlich reserviert werden.