Duisburg. In Duisburg wird jeder zweite Angreifer eines Polizisten vor Gericht verurteilt, aber fast kein Polizist. Warum das so ist, was ein Beamter darf.

Die Polizei, Dein Freund und Helfer – so sehen es viele Menschen. Doch wo Polizei und Bürger aufeinanderprallen, wo es zu Festnahmen kommt, da ist das Bild ein anderes: Immer wieder können Polizisten Personen nur gegen erheblichen Widerstand festnehmen. Polizisten werden beleidigt und verprügelt, erleiden Verletzungen wie Knochenbrüche, teilweise bis hin zur Dienstunfähigkeit, jüngst gab es sogar eine Anschlagsdrohung gegen die Duisburger Polizei. Auf der anderen Seite wird immer wieder die Frage in den Raum gestellt: Gehen Polizisten zu weit? Missbrauchen sie ihre Macht?

Staatsanwaltschaft Duisburg: 2019 fast 500 Verfahren wegen Widerstands gegen die Polizei

Die Antworten auf diese Fragen verbergen sich hinter Zahlen, die für den Laien auf den ersten Blick nicht einfach zu verstehen sind. 496 Verfahren wegen Widerstands gegen Polizeibeamte zählt die zuständige Staatsanwaltschaft Duisburg für das Jahr 2019, im Vorjahr waren es noch 379. In den fast 500 Verfahren 2019 sind seit dem 1. Juni allerdings auch Fälle von Widerstand gegen Rettungskräfte enthalten. Hinzu kommen für 2019 237 Verfahren wegen Beleidigungen gegenüber Polizisten (2018: 230).

Von den 496 Verfahren wegen Widerstands gegen Polizisten wurden 350 abgeschlossen, fast 150 also eingestellt. Die abgeschlossenen 350 Verfahren endeten in 238 Fällen mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe. Jedes zweite Verfahren wegen Widerstands gegen Polizeibeamte endete also entweder mit seiner Einstellung oder mit einem Freispruch; 50 Prozent der Angeklagten wurden verurteilt.

Nur ein Polizist wurde 2019 wegen Körperverletzung im Amt verurteilt

Ganz anders ist die Verurteilungsquote bei Verfahren gegen Polizeibeamte. 172 solcher Verfahren gab es bei der Staatsanwaltschaft Duisburg 2019 (2018: 166). Unter diese Zahl fallen allerdings nicht nur Anzeigen wegen Körperverletzung, sondern zum Beispiel auch wegen Nötigung oder Strafvereitelung. Nur eine dieser Anzeigen brachte es bis zur Klageerhebung vor Gericht: Wegen Körperverletzung im Amt wurde 2019 ein Polizist zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Verurteilungsquote bewegt sich damit im Promillebereich.

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„Bei Verfahren gegen Polizisten ist es häufig so, dass man Strafanzeige und Gegenanzeige hat“ erklärt Staatsanwältin Jennifer König. Es gibt also auf der einen Seite die Anzeige gegen den Polizisten, auf der anderen vom Polizisten gegen den Bürger. In solchen Fällen werde das Verfahren gegen den Polizisten zunächst zurückgestellt. Denn: Spricht das Gericht ein Urteil wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, weist das für diesen Fall das Verhalten der Polizisten als rechtmäßig aus. Das Verfahren gegen die Beamten wird dann eingestellt.

Anspucken und Angriffe: Polizei Duisburg berichtet

„Die Kollegen stellen regelmäßig Strafantrag“, sagt Jaqueline Grahl, Sprecherin der Polizei Duisburg. Denn sie müssen sich im Dienst nicht nur einiges anhören, „auch Anrotzen kommt immer mal wieder vor“, ganz abgesehen von Drohungen oder tätlichen Angriffen. 38 mal griffen Bürger im Jahr 2019 Polizisten an, hinzu kommen 271 Fälle von Widerstand.

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Immerhin: 2019 gab es ausschließlich Leichtverletzte. Wobei die Polizei jede Verletzung als leicht wertet, die nicht stationär im Krankenhaus behandelt werden muss – was nicht bedeutet, dass der betroffene Beamte nicht tage- oder wochenlang dienstunfähig sein kann. Sechs Polizisten konnten 2019 ihre Arbeit vorübergehend nicht ausüben, nachdem sie im Einsatz verletzt worden waren, 80 weitere zogen sich „nur“ Schürfungen oder Prellungen zu und konnten weiter arbeiten.

Die 1600 Polizisten in Duisburg schützen sich selbst – und ihre Gegner

Techniken und Taktiken für die Fälle, in denen Worte nicht mehr helfen, entwickelt das Landesamt für Aus- und Fortbildung der Polizei. Die 1600 Duisburger Polizisten lernen sie in der Ausbildung, außerdem werden sie regelmäßig darin weitergebildet. Geht es hart auf hart, müssen sie sich schützen können – und ihren Gegner gleich mit. Deshalb gibt es klare Regeln für das, was ein Polizist im Einsatz auch an körperlicher Gewalt anwenden darf, und was nicht. „Die Techniken sind so konzipiert, dass das Verletzungsrisiko gering gehalten wird“, sagt Jaqueline Grahl.

Tabu sind gezielte Schläge mit dem Schlagstock auf Kopf oder Solarplexus, auch Stöße Richtung Wirbelsäule oder Nieren sind verboten; die möglichen Verletzungen bei solchen Attacken zu gravierend. Andere Techniken „werden gezielt nicht trainiert“, darunter fallen zum Beispiel Würgetechniken oder das Druckausüben auf Arterien, das es spätestens nach dem Tod von George Floyd in den USA zu trauriger Berühmtheit gebracht hat.

Die möglichen Mittel der Polizei: Pfefferspray, Schlagstock, Schusswaffe

Dennoch bleiben den Beamten mit Fesseln, Pfefferspray, Schlagstock oder Schusswaffe einige Möglichkeiten, um auch mit körperlichem Zwang in die Auseinandersetzung auf der Straße zu gehen. „Bei Widerstand kann das auch heftig aussehen“, sagt Grahl. Aber: „Diese ganzen Zwangsmaßnahmen unterliegen der Verhältnismäßigkeit“, stellt sie klar. „Ich darf ja nicht einfach jemanden erschießen, weil der mich Hurensohn nennt.“

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Es ist eben diese Frage der Verhältnismäßigkeit, an der sich immer wieder die Geister scheiden. Die Polizeisprecherin gibt dazu zu bedenken: Für einen Laien sei es schwer möglich zu beurteilen, ob ein Polizist noch tut, was nötig ist – oder schon zu viel. „Ein Zeuge sieht unter Umständen nicht den ganzen Hintergrund eines polizeilichen Eingriffs“, wendet sie ein. Und plädiert ganz klar: Im Zweifel solle sich der Zeuge ans Beschwerdemanagement der Polizei wenden, „oder beim Verdacht auf eine Straftat Anzeige erstatten.“

Ebenso klar stellt Jaqueline Grahl auch: „Das Recht liegt nicht auf der Straße, sondern beim Staat.“

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  • Die von der Staatsanwaltschaft Duisburg erhobenen Zahlen beziehen sich nicht nur auf das Duisburger Stadtgebiet: Das entsprechende Dezernat ist außerdem zuständig für Oberhausen, Mülheim und Teile des Kreises Wesel.
  • 2019 erregte eine Studie der Ruhruniversität Bochum Aufsehen: Die bislang größte Untersuchung zu Polizeigewalt in Deutschland geht davon aus, dass die Dunkelziffer mindestens fünfmal größer ist als die Zahl der erfassten Fälle. Jährlich gibt es laut der Studie in Deutschland mehr als 2000 Strafverfahren gegen 4000 Polizisten wegen rechtswidriger Gewaltausübung.
  • 14 Menschen wurden in Deutschland 2019 von Polizisten getötet. Zum Vergleich: In den USA sind es jedes Jahr 1000.