Duisburg. Wie sehr ein E-Rollstuhl nach toller Spendenaktion einer jungen Duisburgerin im Alltag hilft und warum die Mutter weiter mit der Barmer streitet.
Fast zwei Jahre hat die Duisburgerin Antje Frohnert Ballon um einen Elektro-Rollstuhl für ihre schwerstbehinderte Tochter Lina (20) gekämpft. Immer wieder setzte sie sich mit der Barmer und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) auseinander, schrieb dem obersten Chef der Krankenkasse sogar einen persönlichen Brief. Ohne Erfolg. Dass die Geschichte doch noch ein Happy-End bekam, lag an der großen Hilfsbereitschaft vieler Menschen weit über Duisburg hinaus. Nach einem von einer Freundin motivierten Aufruf über die Sozialen Medien sammelte Antje Frohnert Ballon binnen weniger Wochen die notwendigen rund 25.000 Euro für den speziell angefertigten E-Rollstuhl. Seit dem vergangenen Herbst kann Lina ihn endlich nutzen. Wir haben Mutter und Tochter zu Hause in Rumeln besucht und erlebt, wie die Anschaffung den Alltag der beiden erleichtert.
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Es sind vor allem zwei Funktionen, die im Vergleich zum vorherigen manuellen Rollstuhl ganz entscheidende Vorteile bringen und die nicht nur Antje Frohnert Ballon, sondern auch ein behandelnder Orthopäde immer für medizinisch erforderlich gehalten haben. Die 51-Jährige drückt nur einen Kopf und schon kann sie Lina innerhalb weniger Sekunden aus der Sitz- in die Liegeposition oder in den Stand bringen. „Früher habe ich das alleine nicht geschafft“, sagt die Rumelnerin. „Es hat bis zu zehn Minuten gedauert und war auch gefährlicher, weil wir Lina erst recht spät so fixiert bekommen haben, dass nichts mehr passieren konnte.“
Mutter berichtet: „Wir sind am Ende gar nicht mehr aus dem Haus gegangen“
Ausflüge, ausgiebige Spaziergänge oder Arztbesuche alleine mit ihrer Tochter seien in der Vergangenheit gar nicht mehr möglich gewesen. „Lina kann nicht lange sitzen“, sagt Antje Frohnert Ballon. „Ich musste sie früher zwischendurch auf den Boden legen, aber das kann ich ja jetzt mit einer jungen Frau nicht mehr machen. Wir sind am Ende gar nicht mehr aus dem Haus gegangen.“ Diese Zeiten seien nun zum Glück vorbei.
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Der neue E-Rollstuhl ist zudem automatisch höhenverstellbar, so dass Lina auf Augenhöhe mit stehenden Menschen kommunizieren kann. Sie hat das 18q-Syndrom, auch als De-Grouchy-Syndrom bekannt. Sie kann nicht laufen, nicht reden, aber lautieren und sich durch Zeigen verständlich machen. „Für Lina gibt es nur Schwarz-Weiß“, erzählt Antje Frohnert Ballon. „Entweder ist sie glücklich oder total traurig. Zu 80 Prozent ist sie aber gut gelaunt.“
Mutter kümmert sich Tag und Nacht um ihr Kind
Gut geht es Lina immer, wenn sie ihre vertrauten Menschen, ihre Bezugspersonen um sich hat – und ihren geliebten Kräuterquark bekommt. Ihre Mutter kümmert sich seit der Geburt Tag und Nacht um ihr „besonderes Kind“, wie die 51-Jährige liebevoll sagt. Nachts schaut sie alle zwei Stunden nach ihrer Tochter. Bereits um 4.30 Uhr steht sie auf und wartet, bis Lina wach wird, weil die 20-Jährige vor allem in den frühen Morgenstunden zu epileptischen Anfällen neigt, die Krampfanfälligkeit dann besonders hoch ist.
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Waschen, anziehen, füttern – nach dem Frühstück geht es in die Caritas-Werkstatt in Rheinhausen. Vier Stunden bleibt Lina dort. „Länger schafft sie es nicht“, sagt Antje Frohnert Ballon. „Ich nutze die Zeit, um einzukaufen, Dinge zu erledigen.“ Anschließend geht sie gerne mit Lina eine Runde spazieren. Gegen 17 Uhr muss die junge Frau die ersten ihrer täglich bis zu neun verschiedenen Medikamente nehmen.
Das letzte Mal Urlaub vor drei Jahren
Nachmittags hilft der Ehemann der 51-Jährigen. Bei ihrem leiblichem Vater ist Lina alle 14 Tage von Freitag bis Sonntag. „Das sind die Wochenenden, an denen ich Kraft tanken kann“, sagt die Rumelnerin. Urlaub hat sie das letzte Mal vor drei Jahren gemacht. Da war sie für eine Woche auf Rügen.
Die langjährige, intensive Pflege ist körperlich nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Ihren Rücken versucht sie nach einem Bandscheibenvorfall so gut es geht zu entlasten. Immerhin fällt es ihr nun auch viel leichter, Lina im Auto mitzunehmen. Der neue, gefederte E-Rollstuhl lässt sich wieder nur mit einem Knopfdruck ganz problemlos über eine Rampe steuern. Kein mühsames Schieben mehr wie beim alten Rollstuhl.
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Der steht immer noch in Linas Zimmer. „Darin würde Lina heute nach den Vorstellungen der Barmer immer noch sitzen“, sagt Antje Frohnert Ballon. „Ich finde das menschenverachtend.“ Und deshalb lehnt sie sich trotz der erfolgreichen und für sie immer noch überwältigenden Spendenaktion nicht zurück, sondern kämpft gerichtlich gegen die Krankenkasse.
Gerichtliche Auseinandersetzung mit der Barmer
Sie kann und will nicht akzeptieren, dass zuletzt auch der ehrenamtliche Widerspruchsausschuss der Argumentation des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gefolgt ist. Der ist überzeugt, dass ein manueller Rollstuhl mit elektrischer Schiebehilfe, einem Stehtrainer mit Beckengurt sowie einem elektrischen Aufrollgurt völlig ausreichend ist. Die Barmer stellte außerdem klar, dass sie andernfalls „das gesetzlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsgebot“ missachten würde.
Der Verweis auf die Kosten ist für Menschen wie Antje Frohnert Ballon, die schwerstbehinderte Kinder aus tiefster Liebe und Überzeugung zu Hause pflegen, ein Affront. „Es sollte ein Anrecht auf so einen Elektro-Rollstuhl geben“, sagt die Rumelnerin. Das Sozialgericht will sie am 16. März anhören. „Ein Grundsatzurteil wäre schön. Aber so oder so würde ein Erfolg Familien in ähnlichen Situationen Mut machen.“
Anderen Familien Mut machen
Sollte die Barmer am Ende tatsächlich den Wunsch-Rollstuhl bezahlen müssen, würde Linas Mutter das Geld der Caritas-Werkstatt in Rheinhausen spenden. Das hat Antje Frohnert Ballon ihren zahlreichen Unterstützern nach der Hilfsaktion versprochen und dieses Versprechen möchte sie auch halten.
Wer mehr über Lina erfahren will, findet hier ihre Facebookseite.