Duisburg. . Eine Duisburgerin mit schwerst behinderter Tochter kämpft vehement für einen E-Rollstuhl. Nun entscheidet der Widerspruchsausschuss der Barmer.

Dieser Dienstag soll endlich Klarheit bringen. Wenn der ehrenamtliche Widerspruchsauschuss der Barmer getagt hat, soll feststehen, ob Antje Frohnert Ballon den so sehr gewünschten Elektro-Rollstuhl für ihre geistig und körperlich schwerst behinderte Tochter Lina (19) finanziert bekommt. Oder nicht. Hauptsache eine Entscheidung. Nach zwei Jahren Hin und Her mit der Krankenkasse und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ist es die 50-jährige Rumelnerin leid.

Strittig ist die Ausstattung des Rollstuhls

Dass Lina einen neuen, einen anderen Rollstuhl braucht, ist gar nicht die Frage. Strittig ist allerdings, welches Gerät es sein soll beziehungsweise welche (Zusatz-)Funktionen die junge Frau braucht. Ihre Mutter, an der fast 20 Jahre intensivste Pflege körperlich und psychisch auch nicht spurlos vorbeigegangen sind, verweist auf einen Orthopäden. Der habe ihr bestätigt, dass neben einer Lagerungs- auch eine Stehfunktion medizinisch zwingend erforderlich sei. Dies hat der MDK nach drei Treffen in drei Gutachten jedes Mal abgelehnt. Ein Stehtrainer mit Beckengurt und elektrischem Aufrollgurt sei völlig ausreichend. Und dann geht es noch um Linas Fahrtüchtigkeit. „Solange es kein höchstrichterliches Urteil zur Haftung beim Einsatz von Elektrorollstühlen gibt, können wir kein Risiko einer Eigen- oder Fremdgefährdung eingehen“, sagt eine Sprecherin der Barmer.

Der Stress einer Begutachtung

Auch so ein Punkt, über den Antje Frohnert Ballon nur den Kopf schütteln kann. „Als ob ich meine Tochter auf offener Straße den Rollstuhl steuern lassen würde. Das würde selbstverständlich ich machen.“ Sie hat auch deshalb am Ende keinen Sinn darin gesehen, vor knapp einem halben Jahr das Angebot der Barmer zu einer längeren Erprobungsphase anzunehmen – mit abschließender Prüfung der Fahrtauglichkeit. „Außerdem wollte ich Lina nicht dem Stress einer Begutachtung aussetzen und eine mögliche Enttäuschung ersparen“, so die 50-Jährige. „Zumal es ja vor allem noch gar keine Einigung über den Rollstuhl und dessen Ausstattung gibt.“

Normalerweise hätte die Barmer, stellt die Sprecherin klar, daraufhin den Elektro-Rollstuhl ohne Fahrtauglichkeit abgelehnt. Anfang Dezember habe der Anwalt der Familie jedoch vorschlagen, beim Rollstuhl auf eine Steuerung für Lina zu verzichten. Danach ist es laut Barmer zu einem Missverständnis gekommen: „Weil wir davon ausgingen, dass mit dem Bedienelement ein manueller Rollstuhl mit Schiebehilfe für die Begleitperson gemeint war, haben wir uns ab dann darum gekümmert.“ Noch so ein Punkt zum Haareraufen für Antje Frohnert Ballon.

Krankenkasse räumt Fehler ein

Die Krankenkasse muss außerdem einen weiteren Fehler einräumen. Auch nachdem der Anwalt das Missverständnis im Februar aufklärt hatte, erhielt die Familie keine Rückmeldung zu einem Elektrorollstuhl. „Es ist höchst bedauerlich, dass es in Linas Fall zu Verzögerungen gekommen ist“, so die Sprecherin der Barmer. „Dafür können wir uns nur in aller Form entschuldigen.“

Die Zeit hat Antje Frohnert Ballon unterdessen dazu genutzt, um zweigleisig zu fahren und über Paypal einen so genannten Moneypool zu gründen. Das Ziel: Geld für den gewünschten Rollstuhl zu sammeln, der immerhin 24.855 Euro kostet. In kürzester Zeit, erzählt die 50-Jährige, seien rund 12.000 Euro zusammengekommen. „Das hat mich unglaublich gerührt, das kann man gar nicht glauben.“ Außerdem habe sie über eine Online-Auktion mit ihren Nähfreundinnen Taschen oder Kissen verkauft und so weitere knapp 6000 Euro erzielt.

Hilfsaktion erfolgreich gestartet

Antje Frohnert Ballon stellt klar: Unabhängig davon, ob am Ende genügend Geld eingesammelt wird, will sie bei einer negativen Entscheidung des Widerspruchsausschuss an diesem Dienstag auf jeden Fall vor Gericht gehen und klagen. „Ich habe mittlerweile mit vielen Familien mit ähnlichen Probleme haben. Auch für sie möchte ich kämpfen.“ Klar sei auch: Sollte der Ausschuss den gewünschten Rollstuhl bewilligen, soll das gesammelte Geld je zur Hälfte Linas Caritas-Werkstatt und einer ebenfalls betroffenen Familie zu Gute kommen.

Und dann möchte die Rumelnerin mit ihrer Tochter lange Ausflüge, die bisher gar nicht möglich waren. „Lina liebt den Wind. Wir wollen so gerne mal ans Meer...“

>>>Über das De-Grouchy-Syndrom

Lina hat das 18q-Syndrom, auch als De-Grouchy-Syndrom bekannt, das bei ihr im vierten Lebensmonat diagnostiziert wurde. Es ist die Bezeichnung für zwei Typen einer chromosomalen Mutation beim Menschen, die auf Verluste verschiedener Stücke des kurzen (18p-) bzw. langen Arms (18q-) von Chromosom 18 zurückzuführen sind.

Lina kann nicht laufen, nicht reden, aber lautieren und sich durch Zeigen verständlich machen.