Duisburg. Ein Forscher ist 300 Stolpersteinen in Duisburg nachgegangen. Sie erinnern an die Opfer des Nazi-Regimes. Zehn sind spurlos verschwunden.
Über 300 Stolpersteine sind in Duisburg bereits verlegt worden, sie erinnern in vielen Stadtteilen Duisburgs an die Opfer des Nazi-Regimes. Martin Dietzsch hat alle aufgesucht, fotografiert und weitere Infos recherchiert. Allerdings: Zehn Stolpersteine sind spurlos verschwunden.
Der Archivar des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) ist mit Fahrrad, Bus und Bahn kreuz und quer durch die Stadtteile gefahren und hat Bürgersteige abgesucht, die Steine fotografiert und in einer über 300 Seiten starken Broschüre zusammengestellt: „300 Stolpersteine in Duisburg“.
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Darin beschreibt Dietzsch, dass die ersten Stolpersteine 2002 auf Anregung von Schülerinnen des Sophie-Scholl-Berufskollegs vor dem Ostausgang des Hauptbahnhofs verlegt wurden, das Mosaik inzwischen leider in einem schlechten Zustand ist. Die meisten Steine seien aber gut gepflegt. Zuletzt wurden im Dezember sechs weitere Stolpersteine im Dellviertel, in Ruhrort und in Marxloh verlegt - 306 also insgesamt in Duisburg.
Vollständige Liste aller Stolpersteine fehlt auch dem Künstler
Bei seinen Recherchen stellte Dietzsch fest, dass nicht mal der Künstler Gunter Demnig eine vollständige Liste aller seit 1996 verlegten über 70.000 Steine habe. Er musste also ordentlich suchen.
Auf die Suche gingen auch die Stadtverwaltung und die Wirtschaftsbetriebe. Der Verlust von zehn Steinen sei nicht bekannt gewesen, heißt es aus der Pressestelle der Stadt. „Wir vermuten aber, dass sie im Zuge von Baumaßnahmen abhanden gekommen sind.“ Zwar sei eine Baumaßnahme erst mit dem Wiedereinsetzen vorhandener Stolpersteine abgeschlossen. „Oftmals ist es aber - vor allem bei großflächigen Projekten - schwierig, das Zusammenspiel diverser Gewerke im Auge zu behalten.“ Zukünftig werde man noch stärker darauf achten, dass sich der Verlust von Stolpersteinen nicht wiederholt.
Die Wirtschaftsbetriebe haben nach eigenen Angaben an den Standorten nicht gebaut. Unklar ist daher, wer das Pflaster angehoben hat.
Hohe Symbolkraft: Stadt Duisburg will Steine ersetzen
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„Die Stolpersteine haben auch für die Stadt Duisburg eine hohe Symbolkraft und deshalb werden wir selbstverständlich die verloren gegangenen Steine ersetzen“, betont Pressesprecherin Gabi Priem. Gemeinsam mit den Wirtschaftsbetrieben, dem Jugendring und dem Künstler Gunter Demnig arbeite man derzeit an der Umsetzung.
Auch Martin Dietzsch und Yannik Form vom Jugendring gehen nicht von Böswilligkeit aus. Vielmehr vermuten sie ein Kommunikationsproblem in Richtung Bauarbeiter, die womöglich nicht vorgewarnt wurden und ohnehin nicht auf jeden Stein einzeln achten.
Für das Diss ist die Erinnerungs- und Gedenkarbeit wichtig
Während es in anderen Ländern eine Ehre sei, zu wissen, dass in einem Haus ein Widerstandskämpfer gelebt habe, gelte es in Deutschland eher als Makel, stellte Dietzsch fest. Umso klüger sei die Ausgangs-Idee des Künstlers gewesen, die Stolpersteine im Bürgersteig, also auf öffentlichem Grund zu platzieren. Für das Diss, das sich vor allem mit der Extremen Rechten, also der Verfolgerseite beschäftigt, sei „die Erinnerungs- und Gedenkarbeit ebenfalls wichtig“, betont Dietzsch. Nicht zuletzt nach Aussagen wie der von AfD-Mann Björn Höcke, der eine „erinnerungspolitische Wende“ forderte. „Was soll das werden, Stolpersteine für die Täter?“, fragt der Wissenschaftler fassungslos.
Fälle, in denen ganze Familien ausgelöscht wurden, hätten ihn besonders erschüttert, „das geht unter die Haut“, sagt Dietzsch. Er ist dankbar, dass seine Arbeit von „NRWeltoffen“ gefördert wurde. Sie steht kostenlos zum Download auf der Webseite bereit: www.diss-duisburg.de
Jugendring will Arbeit künftig besser dokumentieren
Yannik Form vom Jugendring, der sich seit ein paar Jahren federführend um das Projekt kümmert, ist dankbar, dass es jetzt einen Überblick gibt. Er will prüfen, ob man die Zusammenstellung auch gedruckt herausgeben kann. Man wolle künftig auch selbst die Arbeit besser dokumentieren. Die auf der Webseite verlinkte Karte mit Standorten soll ebenfalls aktualisiert werden, kündigt Form an. Die nächsten Stolpersteine würden Ende 2020 verlegt. Bislang gebe es drei Anfragen von Angehörigen aus Großbritannien sowie von einem potenziellen Paten aus Ruhrort.
Martin Dietzsch beeindruckt, dass das Projekt rein zivilgesellschaftlich betrieben wird. Es braucht Paten und Ehrenamtler, die sich engagieren, für den Stein zahlen - und ihn gelegentlich putzen, sonst läuft er schwarz an und fällt im Pflaster kaum noch auf. Wer sich ebenfalls beteiligen möchte, kann sich an den Jugendring wenden: 0203/26246, mail@jugendring-duisburg.de
Die 300 Duisburger Stolpersteine in Zahlen:
Opfer der NS-Diktatur wurden Menschen, die von den Machthabern willkürlich kategorisiert wurden. Demnach erinnern die 300 Duisburger Stolpersteine an:
• 242 Menschen mit jüdischen Wurzeln
• 44 Antifaschistinnen und Antifaschisten (KPD, SPD, SAP, FAUD, Gewerkschafter, nicht Organisierte u.a.)
• Fünf Homosexuelle
• Vier sog. „Zigeuner“ (Sinti, Roma und Menschen, denen die Nazis eine angebliche „zigeunerische Lebensweise“ nachsagten)
• Zwei „Euthanasie“-Opfer (als behindert oder psychisch krank eingestufte Menschen)
• Ein Zeuge Jehovas (Angehörige der Religionsgemeinschaft wurden verfolgt)
• Eine Zwangsarbeiterin (Zwangsverpflichtete ausländische Arbeitskräfte, die unter unwürdigen Bedingungen in Duisburger Industriebetrieben arbeiten mussten)
• Ein sog. „Arbeitsscheue“ (aus nichtigem Anlass wurden Menschen als „arbeitsscheu“,„asozial“ oder „Berufsverbrecher“ eingestuft, verfolgt und ermordet)