Duisburg. Vor 50 Jahren begann die Oxygenstahl-Erzeugung bei Thyssenkrupp in Bruckhausen. Seither haben fast 190 Millionen Tonnen Stahl das Werk verlassen.
Nein, eine Geburtstagstorte mit 50 Kerzen wird nicht gebacken. Warum auch, ist ja genug Feuer unterm Dach des Stahlwerks I von Thyssenkrupp Steel (TKS) in Bruckhausen. Vor fünf Jahrzehnten wurde dort die Produktion umgestellt auf das Oxygenstahl-Erzeugungsverfahren.
Stahlgeschichte schreibt dieser Standort bereits seit 1891 – das Stahlwerk II in Beeckerwerth kam erst 1962 hinzu. Da hatte Bruckhausen den Weg über das Siemens-Martin- und das Thomas-Verfahren zur Stahlerzeugung bereits hinter sich. Die Dimensionen beeindrucken gestern wie heute: Fünf Millionen Tonnen Stahl pro Jahr werden aus dem Roheisen der benachbarten Hochhöfen erzeugt. Seit dem 29. September 1969 haben fast 190 Millionen Tonnen Stahl das Werk verlassen – eine Menge, die für fast 21.000 Eiffeltürme reichen würde.
380 Tonnen Rohstahl – alle 40 Minuten
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Mächtige Kräne bewegen die riesigen Pfannen, in die der fast 2000 Grad heiße Stahl aus dem Konverter fließt und anschließend in der Stranggießanlage zu Brammen weiterverarbeitet wird. „Die Halleninfrastruktur ist noch original“, sagt Thorsten Brand, Leiter des Bereichs Rohstahl bei TKS, „die letzte große Erneuerung gab es 2013/14, da kamen neue Konvertergefäße und das Abgassystem.“
Rund 30 Jahre beträgt die Lebensdauer der Behälter, in denen Roheisen zu Stahl wird. „Unsere Vorgänger haben schon damals in den Stahl von heute investiert“, so Brand mit Blick auf die Oxygen-Konverter, die im 40-Minutentakt rund 380 Tonnen Rohstahl produzieren. Damit brach das Werk Rekorde und galt bei Inbetriebnahme als eines der modernsten der Welt.
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Einst mehr als 1000 Beschäftigte – heute sind es 475
Investitionen zur Anpassung an den modernsten Stand der Technik sorgten dafür, dass es bis heute so blieb: 1979 folgte die Stranggießanlage, 1999 gingen Gießwalzanlage, Pfannenofen und eine neue Roheisen-Entschwefelung in Betrieb – die Gesamtinvestitionen belaufen sich auf rund 450 Millionen Euro.
Die größten Veränderungen brachten aber Automatisierung und Digitalisierung der Produktionsprozesse, die Mitte der 1980er Jahre begann.
Schmelzer, die bis dahin unter großer Hitze und Staubbelastung Schwerstarbeit verrichteten, sitzen heute in Leitständen, steuern und überwachen die Aggregate auf Computer- und Video-Bildschirmen. „Als ich hier anfing, waren wir 50 Leute pro Schicht. Heute reichen 28, um das gesamte Stahlwerk zu fahren“, erinnert Holger Peters, seit 1974 bei Thyssenkrupp. Der Tagesobermeister (61) hat die meisten Berufsjahre der aktuell 475 Beschäftigten – über 1000 waren es, als er vor 35 Jahren ins Stahlwerk wechselte.
Stahl für E-Mobilität: Eine Chance für die Zukunft des Werkes
Die Technik ersetzte nach und nach das Erfahrungswissen der Mitarbeiter. Einsatzstoffe und deren Menge bestimmen längst Computermodelle, heute verlassen bis zu 400 Stahlgüten das Werk. „Diese Zahl bleibt stabil, aber die Lebensdauer einer Stahlsorte beträgt etwa zehn Jahre“, erklärt Thorsten Brand. Aktuell gehe der Trend für die TKS-Entwickler zu höheren Festigkeiten, zu Stahl für die E-Mobilität, der in Motoren, Dynamos und Trafos verbaut wird. „Darin sehen wir die Zukunft für das Werk.“
„Aber die Prozesse sind gleichmäßiger geworden“, erklärt Werksleiter Dr. Andreas Ploch, der seit 35 Jahren im Stahlwerk ist: „Die Ergebnisse sind heute besser und die Arbeit ist sicherer.“
Den engen Zusammenhalt der Schichten, einst bedingt durch die harte Arbeit und das Leben in den Siedlungen vor dem Werkstor, gebe es heute in dieser Form nicht mehr. „Ein Meister war damals eine gottähnliche Figur“, sagt Holger Peters, „aber menschlich ist es hier immer geblieben, auch wenn mal Tacheles geredet wurde.“
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Den technischen Fortschritt in der Stahlproduktion macht er am hauchdünnen Blech einer Getränkedose fest. „Früher musste man die mit der Sackkarre wegfahren, heute hab’ ich Angst, dass sie kaputtgeht, wenn ich sie anfasse.“
Vom Roheisen zum Stahl
Neben fünf Prozent Kohlenstoff enthält Roheisen störende Elemente wie Silizium, Schwefel und Phosphor. Sie stammen aus dem Erz und dem Hochofenprozess. Im Oygenstahl-Konverter werden diese Bestandteile durch Sauerstoff entfernt. Über eine Lanze werden in Bruckhausen 1000 Kubikmeter pro Minute mit hohem Druck auf das flüssige Roheisen geblasen. Durch Stickstoff und Argon, das zusätzlich durch den Boden eingeblasen wird, entsteht eine Rührwirkung.
Weil beim Blasprozess – er dauert rund 25 Minuten – große Hitze entsteht, wird dem Konverter bis zu 25 Prozent Schrott zugesetzt sowie Kalk, der die Schlackenbildung unterstützt. Die oxidierten Verunreinigungen schwimmen als Schlacke auf, die beim Abstich vom Rohstahl getrennt wird. In die Stahlpfanne werden bis 20 Tonnen verschiedener Metalle zugegeben, um die gewünschte Stahlsorte zu produzieren, häufig Mangan, Aluminium, Chrom und Kupfer.