Duisburg. Viele südosteuropäische Lkw-Fahrer arbeiten für wenig Lohn in Deutschland und kommen wochenlang nicht nach Hause. Sie leben in ihren Fahrzeugen.
Milo zeigt voller Stolz auf ein Foto in seinem Smartphone: „Meine Frau und meine Kinder.“ Ein paar Sekunden später schießen ihm Tränen in die Augen. Zweieinhalb Monate hat er seine Kleinen nicht mehr gesehen, die jüngste ist fünf Monate alt, der ältere fünf Jahre. „Was sie wohl gerade machen?“, fragt sich der 38-Jährige und dreht sich kurz ab. Es ist heiß auf dem Parkplatz im Logport in Duisburg-Rheinhausen. Milo sitzt im Schatten zweier Lkw mit drei anderen mazedonisch-bulgarischen Lkw-Fahrern, die sich gerade auf einem Gaskocher ihr Mittagessen gemacht haben: Toast in Ei gewälzt. Mehr können sie sich nicht leisten. „400 bis 500 Euro“ verdienen sie im Monat an Grundgehalt, erzählen sie. Hinzu kommen Spesen. Der Großteil des Lohnes geht nach Hause, „für die Familie“. Für ein warmes Mittagessen an einem Imbiss in Duisburg reicht es nicht.
„Die Lkw-Fahrer können nichts für die Situation“
„Das kann nicht sein, die Lkw-Fahrer können für ihre Situation nichts“, sagt Frank Indervoort. Der Gewerkschaftsfunktionär ist bei Verdi Duisburg für den Bereich Logistik zuständig und hatte Vertreter aus Politik, Verwaltung, dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und der Hafengesellschaft Duisport zu einem Rundgang durch das Logistik-Areal eingeladen. Mit Unverständnis reagierte er darauf, dass vom BAG und auch von Duisport niemand gekommen war. „Das BAG müsste kontrollieren, dass die Regeln eingehalten werden“, sagt Frank Indervoort. Und auch Duisport müsse doch ein Interesse daran haben, dass die Lkw-Fahrer, die auf dem Logport-Gebiet ihre Wochenenden verbringen müssen, wenigstens sanitäre Anlagen vorfinden.
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Ein paar Bezirksvertreter sind gekommen, Anwohner, Lokalpolitiker, Gewerkschafter und auch der SPD-Landtagsabgeordnete Rainer Bischoff. Er kennt die Situation vor Ort, es ist sein Wahlkreis. Bischoff prangert an, dass die seit Jahren geplante Erweiterung der Raststätte Geismühle an der nahe gelegenen Autobahn 57 noch immer nicht in Sicht ist.
Doch selbst wenn es mehr Lkw-Rastplätze geben würde – Milo hätte von ihnen nichts. „Ich muss hier stehen. Ist von meiner Firma vorgegeben. Ich würde gerne auf einem Rastplatz schlafen.“ Milo ist bei einer bulgarischen Firma angestellt, die für eine österreichische arbeitet, die wiederum ihren Sitz im Duisburger Hafen hat. Seit über zwei Monaten lebt der Familienvater in seinem Lkw, fährt wochentags morgens aus Rheinhausen los, bringt die Ware an Ort B (Köln, Koblenz, Kassel...) und kommt abends wieder zurück nach Duisburg. Er schläft auf einer Liege direkt hinter dem Fahrersitz, wäscht seine Kleidung in einem Waschsalon in der Duisburger Innenstadt, duschen könne er zwei Kilometer von seinem Standort entfernt, in der Firma, für die sein Chef ihn einsetzt.
Und wenn er mal zur Toilette muss? Milos Blick wandert in Richtung Büsche hinterm Parkplatz. Und das gibt Ärger mit den Anwohnern und Spaziergängern. Milo, dessen Namen wir geändert haben, weil er Angst hat, seinen Job zu verlieren, wenn er mit der Presse redet, versteht das. „Aber was soll ich denn machen“, fragt er. Es ist ruhig im Gewerbegebiet. Sonntags verirrt sich hier zwischen all den Container-Terminals kaum jemand, manchmal fahren Radfahrer vorbei. Die Stunden vergehen nur langsam.
„Der Rekordhalter hatte sechs Monate ohne Unterbrechung im Lkw gelebt“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen des Projektes „Arbeit und Leben“ mit rund 4000 süd-osteuropäischen Arbeitern gesprochen. Diese kennen zumeist ihre Rechte nicht, andere haben Angst um ihren Arbeitsplatz und schweigen. „Den Leuten kann man keinen Vorwurf machen. Wir brauchen aber mehr Kontrollen, dass die Regeln eingehalten werden. Und das werden sie hier nicht“, fordern die Gewerkschafter. Der Rekordhalter, den Raymond Lausberg von der Autobahnpolizei im belgischen Battice mal erwischt hat, „hatte sechs Monate in seinem Lkw ohne Unterbrechung gelebt. Da hört der Spaß auf.“
Der Druck auf die Fahrer werde immer größer. Das weiß auch Alexander Leutfeld. Als Anwohner und Lkw-Fahrer kennt er beide Seiten. „Vor 25 Jahren hat man als Lkw-Fahrer gutes Geld verdient. Seit zehn Jahren werden die Bedingungen immer schlechter“, sagt der Duisburger. Weniger Lohn, „wenn man dafür nicht fährt, macht es eben ein anderer“, größerer Zeitdruck, der durch den dichten Verkehr und die Staus zunimmt, und immer mehr Unfälle durch Übermüdung erschwerten den Job nicht nur süd-osteuropäischen Lkw-Fahrern. „Das geht so nicht weiter. Wir müssen mit Vernunft an die Sache rangehen. Alle. Politik, Unternehmen, Gewerkschaften“, sagt Alexander Leutfeld. Auch er fordert mehr Kontrollen und ein härteres Durchgreifen der zuständigen Ordnungsbehörden.
„Die Winter in Duisburg können sehr kalt sein.“
Einmal wurde jüngst auch Milo kontrolliert. Eine Hotelrechnung konnte er nicht vorzeigen und musste 500 Euro Strafe zahlen, sein Arbeitgeber noch einmal 1500 Euro. Die Strafe hatte sein Chef zwar zunächst komplett übernommen, Milos Anteil aber von seinem Lohn in Raten abgezogen. Trotz dieser Bedingungen kann sich Milo derzeit aber keinen anderen Job vorstellen. Sein Traum wäre, dass seine Familie nach Deutschland kommen dürfte. Aber er weiß, dass das nicht geht. Im September, so sagt er, fliegt er für einen Monat zu seiner Familie. Dann kommt er wieder zurück nach Duisburg, wird den Winter über bleiben – und anders als jetzt in seinem Führerhäuschen nachts nicht schwitzen, sondern frieren. Milo weiß: „Die Winter in Duisburg können sehr kalt sein.“