Duisburg. Die Gedenkfeier zum neunten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe sollte den Hinterbliebenen Trost spenden. Doch der Schmerz, er will nicht enden.

Die Sonne brennt vom Himmel herab. Genauso wie damals, an jenem 24. Juli 2010. Doch am neunten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe, da ist es noch heißer. Die Luft steht. Viele der Angehörigen halten eine Wasserflasche zur Abkühlung in der Hand, andere versuchen, sich mit Fächern etwas Frischluft herbei zu wedeln. Sie alle schauen auf die stählerne Stele, die sich an einer Mauer der Gedenkstätte gen Himmel erhebt. Sie blicken auf die Fotos ihrer Kinder, ihrer Brüder, ihrer Schwestern. In sieben Sprachen ist auf dem Stahlkoloss eine Botschaft hinterlassen. Sie heißt: „Liebe hört niemals auf.“ Doch der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen, er will ebenfalls nicht enden. Auch nach neun Jahren nicht.

Akkordeonklänge zum Auftakt der Gedenkfeier

21 Holzkreuze und 21 Buchssträucher standen auf der Treppe, an deren Fuße vor neun Jahren 21 junge Menschen den Tos fanden.
21 Holzkreuze und 21 Buchssträucher standen auf der Treppe, an deren Fuße vor neun Jahren 21 junge Menschen den Tos fanden. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Es ist 17 Uhr, als Judith und Norbert Schneider jeweils in die Tasten ihres Akkordeons greifen. Die Familie hat selbst einen engen Bezug zur Loveparade, weil sie am Tag der Katastrophe selbst vor dem Eingang zum Karl-Lehr-Tunnel standen, sich aber wegen des dichten Menschengedränges entschieden, das Weite zu suchen. Neun Jahre später sitzen sie unter dem Schutz eines Sonnenpavillons an genau jener Stelle, an der vor neun Jahren 21 junge Menschen im tödlichen Gedränge ihr Leben verloren und Hunderte teils schwerste Verletzungen erlitten.

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Seitdem treffen sie sich nun einmal im Jahr hier im Karl-Lehr-Tunnel: die Hinterbliebenen. Sie sind zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Zusammengeschweißt aus einer Tragödie, basierend auf dem größten aller möglichen Verluste: dem eines geliebten Menschen.

Angehörige klammern sich an die verbliebenen Erinnerungen

„Es ist gut, dass wir in dieser Gemeinschaft beisammen sind. Sie wird uns helfen“, sagt Pfarrer Jürgen Thiesbonenkamp, der wie in den Vorjahren auch diesmal die Trauerrede bei der Gedenkzeremonie an diesem tropenheißen Nachmittag hält. Er zitiert Dietrich Bonhoeffer: „Je schöner die Erinnerung, desto schwerer die Trennung.“ Und die Erinnerungen an die Verstorbenen, sie sind das, an denen sich die Trauernden in dieser so schweren Stunde klammern können. „Es gibt nichts, das uns die Abwesenheit eines geliebten Menschen ersetzen kann. Man kann nur versuchen, es auszuhalten“, so Thiesbonenkamp.

Zu den festen Ritualen dieser Gedenkfeiern zählen die 22 Glockenschläge, die diesmal um 17.16 Uhr erklingen. Einer für jeden der 21 Verstorbenen, einer für alle Verletzten und Traumatisierten. „Dies ist ein wichtiger Ort“, sagt der Pfarrer mit Blick auf die Gedenkstätte. „Es ist ein Ort des Friedens, es ist ein Ort der Menschenwürde.“

Zweifel an einem Prozessurteil vor der drohenden Verjährung

Paco Zapater und Nuria Caminal an der Gedenkstätte für die Opfer der Duisburger Loveparade-Katastrophe. Sie verloren am 24. Juli 2010 ihre Tochter Clara.
Paco Zapater und Nuria Caminal an der Gedenkstätte für die Opfer der Duisburger Loveparade-Katastrophe. Sie verloren am 24. Juli 2010 ihre Tochter Clara. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Und zu einem würdevollen Umgang mit den Hinterbliebenen gehöre es auch, dass der derzeit noch laufende Prozess vor dem Landgericht Duisburg gegen drei frühere Beschäftige des Loveparade-Veranstalters Lopavent Ergebnisse bringe, so Thiesbonenkamp. „Ergebnisse, die uns helfen zu verstehen, was genau damals geschehen ist.“

Doch dass es überhaupt ein erstinstanzliches Urteil bis zum 27. Juli 2020 gibt, dem Tag der drohenden Verjährung, das bezweifeln inzwischen viele der Hinterbliebenen. So auch Esteban „Paco“ Zapater und seine Frau Nuria Caminal. Ihre Tochter Clara zählte vor neun Jahren zu den Todesopfern. Für das Ehepaar aus Spanien ist diese Feier das zentrale Ereignis während des zweitägigen Gedenkens.

Kinder „in die Falle gelockt“

„Der Prozess wird sterben, ohne Urteil“, sagt Zapater in seiner Muttersprache. Er bezeichnet den bisherigen Verlauf des Verfahrens als „Versagen des deutschen Rechtssystems“. Natürlich hätten die Befragungen einiger Zeugen auch neue Hintergründe geliefert, wie es zur Katastrophe kommen konnte. „Es reicht uns aber nicht, was da bislang aufgeklärt wurde“, so Zapater. Und es liege doch auf der Hand, wer wirklich verantwortlich und schuldig dafür sei, dass „unsere Kinder damals in diese Falle geführt wurden“.

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Bei aller Enttäuschung über die Justiz verspürt das Paar auch Dankbarkeit – und zwar gegenüber den Menschen aus Duisburg, „die uns in den letzten Jahren sehr geholfen haben“. Das spende zwar Trost. Doch trotz aller Zuwendung blieben, so Zapater, „21 Familien mit vielen auf ewig gebrochenen Herzen zurück“.