Duisburg. . Die Gedenkstunde am siebten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe im Karl-Lehr-Tunnel war erstmals öffentlich. Viele kamen, um inne zu halten.

  • Bewegende Gedenkstunde am siebten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe am Unglücksort
  • Knapp 200 Menschen kamen zum Karl-Lehr-Tunnel, um gemeinsam zu trauern und inne zu halten
  • Angehörige und Verletzte erhielten zuvor von Staatsanwaltschaft und Landgericht Infos zum nahenden Prozess

Die Glocke wird geschlagen. Ihr metallener Klang legt sich wie ein unsichtbares Tuch über die Loveparade-Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel und lässt die Menschen unter einem Schleier der Trauer verstummen. Sie halten inne, manche liegen sich tröstend in den Armen, viele weinen. 22 Mal ertönt der Glockenschlag: 21 Mal für jedes der Todesopfer, die hier an diesem Ort vor sieben Jahren ums Leben gekommen sind. Und einmal für alle Menschen, die diesen Tag zwar überlebten, bis heute aber seelisch und körperlich leiden.

Gedenkstunde war erstmals öffentlich

Nach der Zeremonie legten viele der Anwesenden noch Blumen an der Gedenkstätte im Duisburger Karl-Lehr-Tunnel nieder.
Nach der Zeremonie legten viele der Anwesenden noch Blumen an der Gedenkstätte im Duisburger Karl-Lehr-Tunnel nieder. © Stephan Eickershoff

Diese Zeremonie ist fester Bestandteil des Erinnerns an die Opfer des 24. Juli 2010. Und doch war es diesmal anders als sonst: Erstmals war die Gedenkstunde am Unglücksort nicht nur für die Hinterbliebenen der Opfer sowie die Verletzten und Traumatisierten gedacht. Nein, diesmal war sie öffentlich. Knapp 200 Menschen versammelten sich gestern am Abend im Tunnel, um gemeinsam zu trauern. Und allen Betroffenen ihre Anteilnahme auszudrücken.

„Das war für mich psychisch und physisch ein anstrengender Tag“, erzählt Edith Jakubassa nach dem Ende der Zeremonie. Die Frau aus Hochheide hatte bei der Loveparade-Katastrophe ihre Tochter Marina verloren. Marina war die Einzige unter den 21 Verstorbenen, die aus Duisburg kam.

Am Morgen des Gedenktages hatten Jakubassa und zahlreiche weitere Angehörige ein Treffen mit Vertretern der Staatsanwaltschaft Duisburg und des hiesigen Landgerichts. „Wir wollen vor Prozessbeginn im Dezember bei den Angehörigen größtmögliche Transparenz fürs deutsche Rechtssystem schaffen“, hatte Landgerichts-Sprecher Matthias Breidenstein im Vorfeld erklärt. Das Treffen geriet sehr emotional, wie Teilnehmer hinterher berichteten. Die Eltern aus den anderen Ländern äußerten etwa ihren Unmut über die deutschen Verjährungsregelungen.

Andere Länder, andere Verjährungsregeln

Ein Strauß mit 21 Sonnenblumen zierte die Gedenkstätte im Tunnel.
Ein Strauß mit 21 Sonnenblumen zierte die Gedenkstätte im Tunnel. © Stephan Eickershoff

„Einige Eltern berichteten in der Runde, dass in Italien oder Spanien schon der Prozessbeginn eine aufschiebende Wirkung für eine mögliche Verjährung habe. In Deutschland ist das aber erst nach einem erstinstanzlichen Urteil der Fall. Und für das bleibt jetzt nur noch drei Jahre Zeit, sonst droht die absolute Verjährung“, sagte Pfarrer Jürgen Widera. In seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Loveparade-Stiftung „Duisburg 24.07.2010“ hatte er dieses Treffen angeregt und die Angehörigen ins Landgericht begleitet. Die haben die Sorge, dass die Zeit bis zum ersten Urteil knapp werden könnte.

Auch Staatsanwältin Anna Christiana Weiler erklärte das Vorgehen ihrer Behörde und warum ausgerechnet diese zehn Personen auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. „Wir haben in den zwei Stunden viel gehört, aber vieles davon wurde nicht akzeptiert“, fasst Edith Jakubassaihre Eindrücke zusammen. „Viele von uns Angehörigen finden, dass die Verjährungsregelungen in Deutschland geändert werden müssen und wir unseren Rechtsstaat in diesem Punkt auch einmal in Frage stellen dürfen.“

Weiterer Gesprächstermin wäre möglich

Bei einem zweiten Treffen am Nachmittag hatten dann Verletzte und Traumatisierte die Chance, mit Staatsanwaltschaft und Landgericht zu sprechen. „Dabei sind ganz andere, viel konkretere Fragen gestellt worden“, berichtet Pfarrer Widera. Ein Traumatisierter will als Nebenkläger dem Prozess beiwohnen, kann sich aber seit der Katastrophe nicht mehr gleichzeitig in einem Raum mit hunderten anderen Menschen aufhalten. Sie erfuhren, dass für Nebenkläger im Prozess an jedem Verhandlungstag ein Platz reserviert sein wird und dass man auch während des bereits laufenden Prozesses noch als Nebenkläger nachträglich ins Boot steigen kann.

Viele andere Betroffene hätten dieses Gesprächsangebot auch gern wahrgenommen, die emotionale Belastung am gestrigen Gedenktag war für sie aber zu groß. „Wer noch Bedarf für einen weiteren Termin hat, soll sich bei unserer Stiftung melden“, so Widera. Auch Landgerichts-Sprecher Matthias Breiden­stein versicherte, dass dies keine einmalige Angelegenheit gewesen sein muss.

>> EINDRÜCKE VON DER GEDENKSTUNDE

Ein Schlüsselsatz in der Gedenkstunden-Ansprache von Jürgen Thiesbonenkamp, Vorstandsmitglied der Loveparade-Stiftung „Duisburg 24.07.2010“ lautete: „Wir hoffen auf Gerechtigkeit!“ Viele Hinterbliebene, aber auch Verletzte und Traumatisierte setzen große Hoffnungen in die strafrechtliche Aufarbeitung der Katastrophe mit 21 Toten und Hunderten Verletzen. Der Prozess beginnt Anfang Dezember.

Die Gedenkstunde, an der auch diesmal wie bisher in jedem Jahr die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als Privatperson teilnahm, hatte mit einer Schweigeminute begonnen. Lieder erklangen, es wurde gemeinsam gebetet.

Edith Jakubassa bedankte sich nachher für die große Anteilnahme der Duisburger: „Das hilft uns allen sehr!“