Duisburg. Ex-OB Adolf Sauerland sagt als Zeuge im Loveparade-Prozess aus und zeigt viele Erinnerungslücken an die Planungen vor zehn Jahren.
Am Mittwoch hat Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland im Loveparade-Prozess als Zeuge ausgesagt. Bereits um zwanzig vor neun trifft er ein, deutlich vor Prozessbeginn um 9.30 Uhr.
Sein Bart ist grauer geworden seit seinem letzten öffentlichen Auftritt. Um 9.52 Uhr beginnt Sauerland seine Aussage mit Angaben zur Person. Inzwischen ist er 62 Jahre alt. Im Rückblick schildert er, wie es dazu kam, dass die Loveparade in Duisburg stattfinden sollte. Dass nach Essen 2009 eigentlich Duisburg dran gewesen sei, man wegen der Bauarbeiten am Autobahndeckel für die A59 aber mit Bochum getauscht habe. Letztere sagten dann wegen Sicherheitsbedenken die Veranstaltung ganz ab.
Für die Planung in Duisburg erklärt Sauerland, dass er Projektverfügungen herausgegeben habe, über die alles an Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe abgegeben worden sei. Aktiv sei er nicht beteiligt gewesen, betont Sauerland vor Gericht, die Prüfungen seien in den Verwaltungsämtern durchgeführt worden. Und das Rechtsdezernat sei die zentrale Behörde in diesem Verfahren gewesen. Ihm sei klar gewesen, dass weitere Ämter ins Spiel kommen, das Rechtsdezernat sei aber das planende und koordinierende Dezernat gewesen und dessen Leiter sei sein einziger Ansprechpartner gewesen. Rabe wurde nach der Loveparade-Katastrophe zwar als Dezernent abgewählt, gehört aber nicht zum Kreis der Angeklagten.
Sauerland benennt Rechtsdezernent Rabe als zentrale Anlaufstelle
Richter Mario Plein fragt immer wieder nach, fragt dezidiert nach einzelnen städtischen Mitarbeitern, etwa nach dem Ordnungsamtsleiter und dessen Stellvertreterin. Sauerland betont, dass er keine Infos von ihnen bekommen habe. Richter Plein konfrontiert Sauerland auch mit Aussagen, die er am 7. März 2012 in einer polizeilichen Vernehmung in Köln getroffen hat. Noch einmal betont Sauerland, dass Rabe als Rechts- und Ordnungsdezernent die Anlaufstelle war, alle Unterlagen an ihn weitergeleitet worden seien, er sei der zentrale Punkt gewesen.
Sauerland selbst habe immer nur berichtet bekommen, sei nicht aktiv involviert gewesen. Ihm sei aber klar gewesen, dass andere Behörden im weiteren Planungsprozess mit eingebunden würden, etwa Jürgen Dressler und dessen Planungsdezernat.
Sauerland betont: "Meine Aufgabe war keine Aufgabe." Er habe keine Genehmigungen vorbereiten oder erteilen müssen, sei nur der Ansprechpartner für Anfragen von außen gewesen, in der Planung nicht aktiv tätig.
Rat stimmte der Loveparade mit wenigen Gegenstimmen zu
Im Rückblick berichtet Sauerland noch einmal von dem Ratsbeschluss, mit dem die Loveparade mit nur wenigen Gegenstimmen beschlossen worden sei. Hier sei auch festgelegt worden, dass keine städtischen Gelder für die Loveparade fließen. Die schwarz-gelbe Landesregierung habe gesagt, dass sie sich kümmern wolle und z.B. für den zusätzlichen Nahverkehr aufkommen werde: "Die Stadt hat nichts mehr bezahlt."
Sauerland wirkt bei seiner Aussage kontrolliert, sehr gefasst, spricht mit ruhiger Stimme. Auch die Stimmung im Gerichtssaal ist ruhig und konzentriert.
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Richter Plein fragt noch einmal, wer am Ende Entscheidungen getroffen hat. Dazu erklärt Sauerland, dass die Entscheidungen bei den jeweiligen Fachämtern lagen.
Die Rolle, die Stadtdirektor Greulich bei der Loveparade inne hatte, beschreibt Sauerland so: Er sei nur beteiligt gewesen, als es um Rodungen auf dem Gelände ging, ansonsten sei er nicht beteiligt gewesen.
Zu den Aufgaben der Ordnungsamtsleiter und anderer erklärte Sauerland mehrfach, dass er das nicht sagen könne. Manche aus dem Bezirksamt habe er "nur namentlich" gekannt.
Nicht erreichbar in der Woche vor der Loveparade
In der Woche vor der Loveparade sei er im Urlaub in Österreich gewesen, schildert der Ex-OB. Er sei schlecht zu erreichen gewesen. Einen Tag vor der Veranstaltung habe er per SMS von seinem persönlichen Referenten erfahren, dass die grundsätzliche Genehmigung erteilt sei. Aber noch am Tag selbst mussten Genehmigungen erteilt werden, weil der Veranstalter weitere Auflagen erfüllen musste.
Irritiert zeigte sich Richter Plein, dass Sauerland die Loveparade als nicht so herausragendes Ereignis beschreibt. Sauerland erklärt, dass sein Fokus eher auf den World Games gelegen habe, die er nach der erfolgreichen Premiere 2005 im Jahr 2010 noch einmal durchführen wollte. Dann sei die Loveparade dazwischen gekommen.
Zweiter Teil der Aussage von Oberbürgermeister Sauerland
Gedächtnislücken bei der Zeugenaussage
Im zweiten Teil seiner Zeugenaussage vor Mittag erklärt Sauerland häufiger, dass er sich nicht erinnern könne. Ihm werden Schriftstücke vorgelegt, darunter etwa Mitteilungsvorlagen, in denen die Verwaltung dem Rat einen Sachstandsbericht liefert. Darin enthalten waren etwa Infos zu den Rahmenverträgen mit Lopavent, dokumentiert wurde auch die Suche nach der geeigneten Fläche.
Richter Plein fragt Sauerland nach seinen Erinnerungen zur Immobilienmesse in Cannes 2009. Hier habeAurelis als Eigner das Grundstück am Güterbahnhof zur Verfügung gestellt.Laut Aurelis-Regionalleiter Olaf Geist sei das auch Sauerland persönlich gesagt worden. Nach dessen Aussage sei die Anfrage für das Grundstück von Seiten der Stadt gekommen.
"Wir reden hier nicht über einen Flohmarkt in Marxloh"
Vor Gericht ging es auch um die Frage, wer Gutachter Michael Schreckenberg engagiert hatte. Nach Unterlagen, die dem Gericht vorliegen, habe Sauerlands Pressereferent Josip Sosic den Duisburger Panikforscher vorgeschlagen. Dass es ein Gutachten von Schreckenberg gab, will Sauerland erst nach der Loveparade erfahren haben. Die Dezernate könnten wissenschaftlichen Rat von außen holen, hätten selbst Budgetverantwortung.
Sauerland erklärt, er habe immer nur den allgemeinen Genehmigungsstand abgefragt. Der Richter ist verwundert: Es ginge nicht um einen Flohmarkt in Marxloh, sondern um eins der größten Ereignisse der Stadtgeschichte. Für den Laien sei schwer nachvollziehbar, wenn der oberste Bürger nicht im Bilde sei.
Sauerland erklärt, er habe von Bedenken der Planer nichts gewusst
Richter Plein wendet sich einem Schriftstück des Ordnungsamtsleiters zu. Darin werden die größten Probleme der Planer benannt, von Anfang an habe man sich etwa um die Abreise gesorgt. Sauerland weicht aus, sagt dass er wusste, dass der Ordnungsamtsleiter kein Freund der Loveparade gewesen sei. Der Richter beharrt aber, will wissen,ob ihm die Bedenken bekannt gewesen seien. "Nein", die seien ihm nicht bekannt gewesen.
Auf die Frage, ob er für oder gegen die Veranstaltung insgesamt war, sagt Sauerland, er habe damals im Rat dafür gestimmt habe und die Loveparade nach Duisburg holen wollen. Seine Bedingung damals: Es wird ein geeignetes Grundstück gefunden und die Planung ist genehmigbar.
Ideen, gesichtswahrend die Loveparade abzusagen, habe Sauerland nicht für praktikabel gehalten. Unter anderem lautete ein Vorschlag, dass man als überschuldete Kommune die finanzielle Belastung nicht stemmen könne - Sauerland verweist auf die Landesregierung, die sofort in die Bresche gesprungen wäre.
Auch am Donnerstag wird Adolf Sauerland im Zeugenstand stehen. Dann können die Opfer-Anwälte Fragen an ihn richten.
Rund um den Prozess
Medienvertreter sprechen mit Hinterbliebenen
Der erwartete Medienandrang fällt zumindest draußen kleiner aus als erwartet. Kamen zum Prozessauftakt im Dezember Medien aus aller Welt, so steht an diesem Mittwoch ein einziger Übertragungswagen vor der Messe in Düsseldorf, in der der Prozess stattfindet. Drinnen sind allerdings sechs Kamerateams unterwegs, warten bereits 20 Medienvertreter aus ganz Deutschland auf den Beginn. Im Besucherbereich sitzen rund 40 Interessierte, die den Verhandlungstag verfolgen wollen.
Einige Eltern von Opfern sind gekommen, um die Aussage von Sauerland zu hören. So etwa Manfred Reißaus, der Vater von Svenja aus Castrop-Rauxel. Seine Tochter wurde 22 Jahre alt, starb im Gedränge. Er stellt sich den Fragen der Medienvertreter.
Auch die Eltern von Clara Zapater sind aus Spanien nach Düsseldorf gereist. Ihre Tochter gehört zu den Todesopfern der Loveparade. Im Interview mit der spanischen Zeitung El Pais hatten sie vor Prozessbeginn erklärt: "Unseres Erachtens gab es kriminelle Überschneidungen, die es verdienen, verurteilt und bestraft zu werden". Den Prozess hatte die Familie wie viele andere HInterbliebene inständig erwartet.