Duisburg. . Die „Redaktion Lokalnachrichten“ trifft sich wöchentlich, um Zeitungsartikel vorzulesen. Die CD erhalten Blinde und Sehbehinderte in Duisburg gratis.
Die Duisburger Hörzeitung feiert 2016 ihr 40-jähriges Bestehen. Einmal pro Woche trifft sich die siebenköpfige „Redaktion Lokalnachrichten“ in den Räumen des Sozialamtes, das dieses Projekt von Beginn an als Kooperationspartner begleitete. Die Ehrenamtler lesen ausgewählte Artikel aus Duisburger Tageszeitungen vor. Die Tonaufnahmen werden auf CD gespeichert, kopiert und dann per Post an etwa 55 erblindete und sehbehinderte Bürger dieser Stadt geschickt. Das Angebot ist gratis. Anlässlich des runden Geburtstages hat die WAZ das Redaktionstreffen am gestrigen Dienstag besucht.
Konferenz an jedem Dienstag
Der Weg führt hinauf in die siebte Etage des „Nürnberger Hauses“ an der Schwanenstraße in der City. Es ist 9 Uhr. Die Redaktion konferiert. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes liegen Zeitungsseiten und ausgeschnittene Artikel. „Jeder von uns trifft daheim eine Vorauswahl, was er gern vorlesen möchte“, erklärt Krista Schmette (69). Die Neumühlerin gehört seit elf Jahren zur Redaktion. Noch länger im Team ist nur Irene Bier (82) aus Alt-Homberg. „Mich hat damals eine Freundin beim Kartenspielen angesprochen. Sie war eine Mitbegründerin der Gruppe. Sie hat mich gefragt: Kannste vorlesen? Schon war ich dabei.“
Etwa 74 Minuten Spielzeit hat eine CD. Das entspricht etwa 20 bis 25 vorgelesenen Artikeln. „Parteipolitisches lassen wir weg. Tiergeschichten, Polizeiberichte und der Terminkalender sind gefragter“, sagt Schmette. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch die Sportberichte über die MSV-Fußballer oder die Eishockeyspieler der Füchse. Oder Kurioses wie die geplante Riesen-Sandburg im Landschaftspark.
Die schönste Sprecherstimme
Diesen Artikel liest Fridolin Lürzel vor. Der frühere Posaunist der Duisburger Philharmoniker (67) fragte nach seinem Eintritt in den Ruhestand beim Büro für Bürgerengagement nach einem Ehrenamt nach. Das empfahl ihm die Hörzeitungs-Redaktion. „Er hat von uns die schönste Sprecherstimme“, loben alle Mitstreiter. Vielleicht liegt das am leicht fränkischen Akzent des Ex-Profimusikers. Wie Lürzel suchte auch der frühere Thyssen-Vermesser Karl-Heinz Meuer (72) aus Buchholz nach dem Ruhestand eine sinnvolle Aufgabe: „Die habe ich hier gefunden.“
Auf Polizeithemen hat sich Ingrid Rother (53) aus Mülheim spezialisiert. „Ich bin über meine Mutter hierhin gekommen“, sagt sie – und zeigt auf Irene Bier. „Als wir mal Personalnot hatten, habe ich ausgeholfen und bin dann hier kleben geblieben.“ Petra Hofmeister (57) aus Obermeiderich kannte die Hörzeitung von zu Hause – vom erblindeten Vater. „Ich habe schon immer gern vorgelesen“, sagt sie.
Bei der Aufnahme für die CD hat jeder der Sprecher nur einen Versuch. Fridolin Lürzel bedient die Technik. Er gibt dem jeweiligen Sprecher per Handzeichen das Startkommando. Ein Glas Wasser hilft zwischendrin beim Stimmedurchspülen. Nach rund drei Stunden ist alles aufgenommen, kopiert und verpackt. Folge 1947 ist im Kasten. Bis nächste Woche!
Horst Schilbach ist ein Hörzeitungs-Nutzer der ersten Stunde
Diese Kassette aus dem Jahr 1976 hat im Archiv von Horst Schilbach einen Ehrenplatz. Denn darauf ist die allererste Ausgabe der Hörzeitung gespeichert, die damals noch Tonbandzeitung hieß. Der 73-jährige Duisserner, der seit seiner Kindheit erblindet ist, legt das Band in einen Walkman ein und drückt die Abspieltaste. Nach einer kurzen Begrüßung des Ansagers folgt eine Ansprache des damaligen Duisburger OB Josef Krings. Der sagt, dass dieser Service den Erblindeten und Sehbehinderten dabei helfen soll, „eine Brücke zu ihrer Umwelt zu schlagen“. Ein Vorhaben, das auch 40 Jahre später noch funktioniert.
Schilbach zählt zu den Nutzern der ersten Stunde. Nicht nur die erste Folge der Hörzeitung hat er aufgehoben, sondern auch die 1000. aus dem Jahr 1996 sowie die 1570. – sie war die letzte, die auf Kassette geliefert wurde. „Danach folgte die Umstellung auf CD“, so Schilbach. Doch egal, welches Speichermedium nun genutzt wurde: Die Hörzeitung hatte für den früheren Telekom-Mitarbeiter stets einen sehr hohen Stellenwert.
Lob für die Themenauswahl
„Die Themenauswahl der Redaktion finde ich immer hervorragend. Es wird immer ein schöner Querschnitt der Nachrichten vorgelesen, die sich hier bei uns vor der eigenen Haustür abspielen“, erklärt Schilbach seine Sympathie. Natürlich liest ihm auch seine Frau daheim ganz oft etwas aus der Tageszeitung vor. Doch dieses Angebot sei eine prima Ergänzung.
In den 40 Jahren hat er kaum eine Ausgabe der Hörzeitung verpasst. Die Versprecher die Sprecher, die ab und an vorkommen, stören den Zuhörer überhaupt nicht. „Im Gegenteil: Ich finde das macht die Sache authentischer. Die Leute sind ja keine Profisprecher, die machen das allesamt ehrenamtlich“, so Schilbach.
Statt des alten Walkmans für die Kassetten nutzt er heute einen so genannten Daisy-Player. Das ist ein modernes Abspielgerät, das nicht nur die handelsüblichen CDs, sondern auch andere Datenträger auslesen kann. In den 40 Jahren hat sich nicht nur die Technik, sondern auch die Nachrichtenlage geändert. „In der allerersten Folge wurde noch ein Bericht vorgelesen, dass die Renten um elf Prozent angehoben werden. Schön, wenn das heute noch so wäre“, sagt Schilbach und lacht. Der Hörzeitung will er auch in Zeiten des Internet und von lokalen Hörfunksendern weiter die Treue halten: „Sie ist für mich durch nichts zu ersetzen.“