Duisburg. . Max ist Autist. Einen Schulbegleiter, den seine Mutter wünscht, lehnt das Jugendamt ab. Eine Alternative scheiterte. Jetzt muss er allein klarkommen.

Auf das Foto hat Kathrin Kleisa ihren Sohn länger vorbereitet. Als es dann soweit ist, lässt sich Max (Name geändert) nur nach erneuter Diskussion darauf ein. „Aber nur von hinten und ohne meinen Tornister“, beharrt der Achtjährige. Sich auf Dinge einzulassen, die neu sind, unerwartet kommen, fällt dem Zweitklässler schwer.

Max ist Autist. Dennoch hat’s in der Grundschule für ihn bisher leidlich funktioniert. Weil nun die Probleme in der Klasse zunehmen, soll Max eine Unterrichtsbegleitung bekommen. Kathrin Kleisa möchte gern mit einem Träger zusammenarbeiten, den sie aus der Therapie mit Max kennt. Das Jugendamt lehnt das ab. Ein Fall, der die Tücken zeigt auf dem Weg zur schulischen Inklusion, dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Förderbedarf.

Alle Veränderungen sind schwierig

Dass der Junge erst als Schüler die Diagnose bekam, wundert seine Mutter noch heute. Schon als Kleinkind lief er auf Zehenspitze. „Ein klares Indiz, aber der Psychologe schloss Autismus aus“, sagt Kathrin Kleisa. Schon im Kindergarten wurde es schwierig. Der Junge bekam heftige Wutanfälle, die manchmal mehrere Stunden anhielten. Als auch seine Klassenlehrerin einen Autismus-Verdacht äußerte, folgte im November 2014 eine klare Diagnose. Kathrin Kleisa suchte und fand beim Bochumer Träger „Anderswelt“ einen Platz in einer Mutter-Kind-Therapie. „Das ist mir wichtig – schließlich muss auch ich lernen, ihn zu verstehen“, sagt die 33-Jährige. Soziale Interaktion – schwierig für Autisten – gilt etwa durch Therapie erlernbar.

Am zentralen Problem hat das bisher wenig geändert: Veränderungen an der gewohnten Ordnung sind für Max sehr schwierig. Kleinigkeiten sind das oft, wie ein Blatt, dass die Lehrerin im Stuhlkreis auf den Boden legt, damit alle Schüler es sehen können. Dann protestiert der Junge: Blätter gehören nicht auf den Boden. Bunte Zahlenketten zu malen – ganz schwierig: Beim Rechnen wird nicht gemalt. Immer wieder Wutausbrüche, „die niemand einsortieren kann“, wie seine Mutter sagt. „Wir müssen ihn dann abholen.“

Gruppenarbeit ist mit dem Jungen nicht möglich

Dankbar ist sie seiner „ganz tollen Lehrerin“ in der Grundschule Zoppenbrückstraße. „Sie will alles versuchen, damit Max in der Klasse bleiben kann.“ Doch das ist zunehmend schwierig. Weil der Junge fast ununterbrochen redet, Gruppenarbeit mit ihm nicht möglich ist, er sich allein nicht auf Aufgaben konzentrieren kann, fällt es ihm zunehmend schwer, im Unterricht mitzuhalten. In solchen Situationen müsste es jemanden geben neben der Lehrerin, der sich mit Max abseits der Klasse beschäftigt.

Einen Unterrichtsbegleiter könnte der Bochumer Träger, bei dem Max seine Therapie absolviert, auch in Duisburg stellen. Doch dieser Wahl habe das Jugendamt nicht zugestimmt, stattdessen den Träger empfohlen, der bereits an der Schule tätig ist. „Ich habe mich darauf eingelassen und versucht, Max darauf vorzubereiten“, versichert Kathrin Kleisa. Der Versuch sei gescheitert, die Dame habe „keine Ahnung“ gehabt, wie mit einem Autisten umzugehen sei.

Eine Fachkraft des Bochumer Trägers koste 30 € pro Stunde, ausreichend sei für Max eine Nicht-Fachkraft für 20 €, argumentiert das Jugendamt auf Nachfrage. Zwar gebe es das elterliche Wunsch- und Wahlrecht, Mehrkosten dürften aber nicht höher als 10 % über dem ortsüblichen Satz liegen. „Ich bestehe nicht auf einer Fachkraft. Aber es macht keinen Sinn, jemanden zu beauftragen, der sich nicht mit Autismus auskennt“, sagt Katrin Kleisa. Sie habe Verständnis für die Probleme des Jugendamtes, sagt die Meidericherin: „Aber es geht hier um meinen Sohn und seine Klasse.“

Für Begleiter 4,76 Mio Euro pro Jahr - Jugendamt erwartet weitere Steigerung 

Die Kosten für die schulische Inklusion steigen alljährlich. Der Grund: Mehr Kinder mit Behinderungen und Förderbedarf besuchen Regelschulen, müssen dabei aber von Unterrichtsbegleitern unterstützt werden. Im vergangenen Jahr zahlten die Stadt rund 4,76 Millionen Euro für die Begleitung von 388 Mädchen und Jungen. Für das laufende Jahr geht das Jugendamt von einer erneuten Kostensteigerung zwischen 8 und 10 Prozent aus, teilte das Jugendamt am Dienstag mit.

Um die Steigerungen in den Griff zu bekommen, aber auch, um einheitliche Standards bei Qualifizierung und Weiterbildung von derzeit rund 500 Begleitern zu gewährleisten und Transparenz bei deren Bezahlung zu gewährleisten, setzt die Stadt zum nächsten Schuljahr auf eine Neuordnung der Unterrichtsbegleitung. Vorgesehen ist, sechs Schulen im Stadtnorden und drei in Stadtmitte in drei Gruppen aufzuteilen, wo neun Träger mit den Schulen den Einsatz planen.

„Es sollen nicht acht Begleiter in einer Klasse sitzen“, sagt Holger Pethke. Daraus, dass sich im neuen Modell auch die Zahl der Träger reduzieren soll, macht der Leiter des Jugendamtes keinen Hehl: „Es wird auch Verlierer geben.“ Kooperationen unter Trägern sollen aber weiter möglich sein, die Wahlfreiheit der Eltern aber eingeschränkt sein: „Wenn sie möchten, dass ihr Kind eine bestimmte Schule besucht, müssen die den Träger akzeptieren, der dort tätig ist.“

Kommentar von Martin Ahlers: Mit offenen Karten spielen 

Es gibt gute Gründe, die Unterrichtsbegleitung für Kinder mit Förderbedarf neu zu ordnen. Sie sind nicht zuletzt finanzieller Natur: Kein Jugendamtsleiter kann tatenlos einem ständig steigenden Aufwand zusehen. Er muss den Spagat zwischen zwischen möglichst guter Qualität zu möglichst geringen Kosten schaffen. Bei der Neuordnung der Trägerlandschaft wird auch die Frage der Aus- und Weiterbildung, der Qualifikation jener 500 Begleiter gestellt werden, die derzeit für rund 20 Träger tätig sind.

Es wird, wie immer bei Umstellungen, Holprigkeiten geben. Der Begleiter sollte, wie der vorliegende Fall zeigt, dafür gerüstet sein, mit bestimmten Defiziten umzugehen. Wichtig ist, dass nicht nur gegenüber den Trägern, sondern auch gegenüber den Eltern mit offenen Karten gespielt wird. Verständnis für notwendige Veränderungen erreicht man durch Transparenz. Jedes Scheitern trifft in vielen Fällen nicht nur ein Kind mit Förderbedarf, sondern mit ihm auch alle anderen Schüler einer Klasse.