Duisburg. . Ein Träger der Jugendhilfe und seine Klientinnen werfen der Behörde vor, das Wunsch- und Wahlrecht von Eltern zu missachten. Das Jugendamt dementiert.

Paul-Detlef Künkes und einige Eltern, die er betreut, machen dem Jugendamt schwere Vorwürfe. Der Geschäftsführer der Sozialassistenz, einer gemeinnützigen UG mit Sitz in Neudorf, die Erziehungs- und Familienberatung anbietet, wirft der Stadt vor, das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nicht zu berücksichtigen und warnt vor einem „Klima der Angst“, das sich bei den Familien eingestellt habe. Die Behörde widerspricht den Anschuldigungen.

Eltern fühlen sich eingeschüchtert

Ende Januar reichte der Träger der Jugendhilfe einen Beschwerdebrief beim Jugendhilfeausschuss ein. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Genehmigte Hilfen zur Erziehung seien einseitig durch das Jugendamt eingestellt worden, willkürlich würden Fachleistungsstunden ausgesetzt oder reduziert. Die Mitarbeiter träfen eine Vorauswahl von Trägern für die Beauftragung genehmigter Hilfen zur Erziehung. „Durch diese Vorgehensweise wird das ‘Wunsch- und Wahlrecht’ der Leistungsberechtigten gezielt durch das Jugendamt ausgehebelt“, argumentiert der Geschäftsführer. Mitarbeiter der Jugendbehörde würden Hilfeanträge nicht unterschreiben, wenn Eltern gerne mit der Sozialassistenz zusammenarbeiten möchten.

So sei es etwa im Fall von Gabriele Herrmann und Demet Candan passiert, die als alleinerziehende Mütter seit einigen Jahren unter Betreuung des Jugendamtes stehen. „Man hat mir gedroht, dass die Hilfen gekürzt werden, wenn ich nicht einen anderen Träger annehme“, sagt Demet Candan, die Mutter einer vierjährigen Tochter ist und bereits von Sozialpädagogen der Sozialassistenz betreut wurde. Gabriele Herrmann, alleinerziehend mit zwei Kindern, berichtet Ähnliches: Hilfen wurden beantragt und abgelehnt, sobald die Sozialassistenz ins Spiel kam.

Demet Candan sei zu Hilfeplangesprächen eingeladen worden, in denen überraschend drei Mitarbeiter des Jugendamtes saßen. „In dieser Situation fühlen sich die Eltern einfach überfordert und empfinden sie mehr als Einschüchterung als ein Hilfeangebot“, sagt Künkes. Familien würden zudem respektlos angesprochen oder unter Druck gesetzt. „Hierbei vergessen so manche Sozialarbeiter den richtigen Tonfall“, findet Künkes. Prekäre Lebenssituationen von würden durch lange Bearbeitungs- und Wartezeiten verschärft, „wodurch die Situationen in den Familien eskalieren“.

„Selbstbeschaffung“ von Aufträgen

Alle Vorwürfe der Sozialassistenz seien haltlos, kontert die Stadt. Verfehlungen seitens des Jugendamtes beim Wunsch- und Wahlrecht der Eltern gemäß des Sozialgesetzbuches der Kinder- und Jugendhilfe seien nicht erkennbar, „Entscheidungen hierzu werden ausschließend zum Wohl des Kindes, des Jugendlichen, bzw. der Familie getroffen“, betont Holger Pethke, Leiter des Jugendamtes. Geht ein Träger selbst auf Klienten zu, um diese zu bewegen, erzieherische Hilfen zu beantragen, handele es sich um „Selbstbeschaffungen“ von Aufträgen. Diese wolle die Behörde möglichst vermeiden, meint Pethke.

Den Brief an den Jugendhilfeausschuss behandelt die Stadt als Dienstaufsichtsbeschwerde, die von der Bezirksregierung geprüft wird.

Es geht immer um das Kindeswohl 

Familien mit Unterstützungsbedarf können Erzieherische Hilfen beim Jugendamt beantragen. Werden diese Hilfen genehmigt, beauftragt die Stadt einen Jugendhilfe-Träger: Der Träger schickt dann einen Sozialpädagogen, der die Eltern in ihrem erzieherischen Alltag stärkt. Konkret heißt das: Er unterstützt sie etwa bei der Haushaltsführung, bei Einkäufen sowie Arzt- oder Behördengängen. Hinrich Köpcke, Leiter der Abteilung Erzieherische Hilfe im Jugendamt, erklärt das Verfahren und die Voraussetzungen.

Ab wann werden Erzieherische Hilfen gewährt?

Die Inanspruchnahme ist freiwillig. Ob eine Familie Anspruch auf diese Leistung hat, wird – wie bei anderen Sozialleistungen – nach dem Leistungsrecht des Kinder- und Jugendhilfegesetzes geprüft. Zunächst wird eine sozialpädagogische Diagnose erstellt, aus dieser resultiert der Bedarf – ob Kinder etwa in stationäre Einrichtungen sollten oder eine ambulante Betreuung sinnvoll ist.

Wie viele Träger gibt es in Duisburg?

Insgesamt sind es 45, darunter große Verbände wie Diakonie, Caritas und die Mitglieder im Paritätischen Wohlfahrtsverband, aber auch kleinere, die wir als Kommune beauftragen. Die meisten von ihnen bieten ambulante Leistungen an, fünf teilstationäre Leistungen und acht sind stationäre Träger.

Wie ist die Vergabepraxis, gibt es Hilfearten, die bevorzugt werden?

Die meisten Familien haben keine Wünsche, was den Träger angeht. Daher empfehlen wir oft Träger mit Leistungen, die zum Bedarf der Eltern passen. Natürlich fließen bei der Auswahl Erfahrungswerte ein – wo hat es gute Ergebnisse gegeben? Welcher Träger bietet welches Leistungsspektrum an? Entspricht ein spezielles Konzept nicht dem Bedarf, dann ist der Träger natürlich im Nachteil. Jedoch weisen wir alle Eltern bei Antragsstellung auf ihr Wahlrecht hin.

An wen können sich Eltern bei Problemen mit dem Jugendamt wenden?

Wir arbeiten eng mit der Ombudschaft NRW zusammen, eine übergeordnete Beschwerdestelle, an die man sich jederzeit wenden kann. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es immer um das Kindeswohl geht. Ohne Forderungen an Eltern und ohne ihre Beteiligung funktioniert eine Zusammenarbeit nicht. Das ist der Spagat, den wir schaffen müssen.