Duisburg. Ehrenamtliche führen die Szene durch das Lehmbruck-Museum. Die Hoffnung der Museumsleitung: Vielleicht entwickelt sich Wertschätzung für das Haus.

Rudi betrachtet die „Sinnende“, lässt seinen Blick über den langen Hals und ihren verhältnismäßig kleinen Kopf gleiten. „Also, meine Frau sieht besser aus“, sagt er. Und Marcus stimmt zu: „Bei der passen die Proportionen überhaupt nicht.“ Das ist das Stichwort für Dr. Söke Dinkla, Direktorin des Lehmbruck-Museums, und Kunstvermittlerin Friederike Winkler von den „Artgenossen“. Sie erklären der Gruppe die Formensprache Lehmbrucks, der die Figuren überlang gemacht hat. „Er kann auch naturalistische Skulpturen, wie wir bei Mutter und Kind gesehen haben“, so Friederike Winkler. Günter Krusch, ebenfalls Ehrenamtlicher ergänzt: „Aber als er sich in Paris aufhielt und die Kunst von Maillol kennenlernte, ließ er sich inspirieren.“

Rudi und die anderen nicken. Viele von ihnen sind zum ersten Mal im Lehmbruck-Museum. Bei anderen ist es Jahre her. Einige gehören zur Drogen-Szene, die sich an den Bänken Richtung Friedrich-Wilhelm-Straße trifft. „Wir wollen unsere Nachbarn kennen lernen“, sagt Söke Dinkla. Marko Stegmann vom Verband „Junkies, Ehemalige und Substituierte“ (JES) und die Bezirksbeamten Michael Werzinger und Jürgen Brach sprechen die Personen an und laden sie zu den regelmäßigen Führungen ein. Rund zehn von ihnen schauen sich nun den Lehmbruck-Trakt an.

Kunstvermittlerin erklärt

Peter kann sich für Kunst begeistern. „Vor allem für die Ägypter, die waren tolle Baumeister. Wenn eine Sendung über ägyptische Kunst kommt, schalte ich sogar Arte ein“, erklärt der Mann mit dem Kopfschutz, der inzwischen in einer eigenen Wohnung lebt, sich mit seinen Freunden aber immer noch in der Stadt trifft. „Nur, weil ich jetzt in einer Wohnung lebe, geh’ ich doch nicht an den Jungs vorbei.“

„Meine Frau sieht besser aus“. Die Sinnende mit ihrem überlangen Hals gefällt nicht jedem.
„Meine Frau sieht besser aus“. Die Sinnende mit ihrem überlangen Hals gefällt nicht jedem. © FUNKE Foto Services

Die Plastik „Der Gestürzte“ interessiert ihn. „Der schaut zurück“, beschreibt Fabrice (27). „Ihm fehlt das Rückgrat“, ergänzt Peter. Günter Krusch erklärt, dass die Figur durchaus eine Wirbelsäule habe. „Auch wenn die Gliedmaßen bei Lehmbruck länger dargestellt sind, arbeitet er anatomisch doch sehr genau.“

Anschließend stoppt die Gruppe beim „Sitzenden Jüngling“. Sie überlegen, was die geballte Faust und der gekrümmte Rücken bedeuten könnte. Einer ahmt sogar die Position nach. „So sitze ich immer auf dem Klo“, verrät Marcel. Die anderen kichern. Fabrice erkennt in der geballten Faust nicht nur Wut, sondern auch Leid und Schmerz. „Kunst interessiert mich eigentlich nicht so. Es ist imposant hier, schick eingerichtet, aber ich weiß nicht, ob ich nochmal wiederkommen würde“, gibt Marcel zu.

Toilette würde helfen

„Das ganze Projekt beruht auf Freiwilligkeit. Wir erwarten nichts“, betont Friederike Winkler. Die Hoffnung, dass sich in der Szene durch die Besuche mehr Wertschätzung für das Museum entwickelt, gibt es aber schon. Die „Artgenossen“ sind oft von anderen Besuchern angesprochen worden, weil sie beobachtet hatten, wie sich Drogenabhängige unmittelbar vor dem Museum einen Schuss setzten oder jemand gegen die Hauswand urinierte.

„Eine öffentliche Toilette würde helfen“, findet Marco Stegmann. Er hat früher selbst konsumiert, nimmt jetzt an einem Methadon-Programm teil und besucht regelmäßig die Gruppe im Kantpark, um beispielsweise frische Spritzen zu bringen. Aufmerksam beobachten er und die anderen derzeit die Debatte um den Kantpark. Er glaubt nicht, dass sich in Zukunft durch eine aufgehübschten Park etwas ändern würde. „Der Kantpark ist so groß. Da findet sich immer ein Fleckchen, wo wir uns treffen können.“

Die „Artgenossen“ sind Ehrenamtliche, die sich für das Lehmbruck-Museum engagieren und Gruppen durch die Ausstellung führen. Die Idee, die Szene einzuladen, entstand am „Runden Tisch“ für den Kantpark. An den Sitzungen nehmen etwa Vertreter der Stadt, des Museums, von Kants Garten, Streetworker und die Polizei teil, um die Probleme zu entschärfen. Die beiden Bezirksbeamten und der Streetworker von „JES“ haben dann den Kontakt zu den Personen hergestellt, die sich meistens im Kantpark aufhalten, um dort Bier oder Drogen zu konsumieren. „Bisher ist die Resonanz positiv“, erklärt Dr. Söke Dinkla.

Dabei werde das von Museen aus anderen Teilen der Republik durchaus mitverfolgt, ob das Projekt erfolgreich ist. „Mittlerweile bekommen wir auch eine Förderung von der Bezirksregierung“, freut sich Friederike Winkler, die ihre ehrenamtlichen Mitstreiter von den Führungen mit der Szene überzeugen konnte. Die Rundgänge sollen regelmäßig stattfinden. Und der eine oder andere aus der Szene findet es durchaus gut, mal ins Museum zu kommen. Im Anschluss an die Erklärungen gibt’s meistens noch ein gemeinsames Kaffeetrinken. Und mancher Teilnehmer schätzt auch einfach die Gelegenheit, eine saubere Toilette aufzusuchen.